Verkürzung des Rechtsschutzes im Vergaberecht – Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Vergabe öffentlicher Aufträge – Noerr Insight No 1
„Das öffentliche Beschaffungswesen werden wir systematisch optimieren“, heißt es im Koalitionsvertrag (Seite 67, Zeile 2076) von CDU, CSU und SPD. Dieses Vorhaben soll nun durch den vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie („BMWE“) ausgearbeiteten und am 06.08.2025 von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Vergabe öffentlicher Aufträge angegangen werden. Nach der Pressemitteilung des BMWE sollen mit dieser Reform des Vergaberechts umfangreiche Maßnahmen zur Vereinfachung, Beschleunigung und Digitalisierung im Vergaberecht umgesetzt werden. Bereits im Jahr 2023 hatte das Ministerium eine umfangreiche öffentliche Konsultation durchgeführt, bei der über 450 Stellungnahmen von betroffenen Stakeholdern eingingen. Der aktuelle Entwurf übernimmt viele Änderungsvorschläge des vorangegangenen Entwurfs eines Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts, geht an einigen Stellen jedoch auch darüber hinaus.“
Der Entwurf setzt sich das Ziel, die öffentliche Beschaffung einfacher, schneller und flexibler auszugestalten, um die staatliche Reaktion auf die derzeitigen großen und dringlichen Herausforderungen – wie die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, die Erneuerung und Verbesserung der Infrastruktur sowie die beschleunigte Digitalisierung – angemessen zu unterstützen. Der Entwurf sieht dafür unter anderem Maßnahmen zur Vereinfachung und zum Abbau von Bürokratie, zur Beschleunigung und Digitalisierung sowie für den Mittelstand und zur Stärkung von Start-ups und Innovationen in der öffentlichen Beschaffung vor.
Unter den zahlreichen unterschiedlichen Maßnahmen fällt vor allem eine signifikante Verkürzung des vergaberechtlichen Rechtsschutzes auf. Der Gesetzentwurf sieht dafür insbesondere die folgenden Änderungen des bisherigen Rechtsrahmens für die Nachprüfungsverfahren vor:
- Erweiterungen der Entscheidungen nach Aktenlage
Nach dem geplanten § 166 Abs. 1 Satz 4 GWB-E soll eine Entscheidung nach Lage der Akten – also ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – künftig auch dann zulässig sein, wenn dies der Verfahrensbeschleunigung dient und die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist. Eine Zustimmung der Beteiligten soll hierfür nicht erforderlich sein.
- Beschränkung des Erfordernisses einer Kammerentscheidung
Bestimmte Entscheidungen der Vergabekammer sollen künftig dem Vorsitzenden oder einem hauptamtlichen Beisitzer allein übertragen werden. Das gilt bspw. für Entscheidungen über eine Beiladung, die offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit eines Nachprüfungsantrags oder Entscheidungen nach Lage der Akten.
- Entfall der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde
Eine der bedeutendsten Änderungen des Entwurfs betrifft im Rahmen der prozessualen Ausgestaltung der Rechtsschutzverfahren den geplanten Entfall der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gemäß § 173 Abs. 1 GWB. Der Entwurf sieht vor, dass eine sofortige Beschwerde künftig keine aufschiebende Wirkung mehr gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer entfalten soll, wenn diese den Nachprüfungsantrag abgelehnt hat.
Nach aktueller Rechtslage entfällt die sofortige Beschwerde in dieser Konstellation erst zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist und kann auf Antrag durch das Beschwerdegericht verlängert werden. In der Praxis wird ein solcher Verlängerungsantrag regelmäßig gestellt und hat häufig Erfolg.
- Verkürzung des Zuschlagsverbotes
Aufgrund dieses Entfalls der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde, sieht der Entwurf die Folgeänderung vor, dass das Zuschlagsverbot nicht mehr – wie bisher – bis zum Ablauf der Beschwerdefrist nach § 172 Abs. 1 GWB gilt, sondern bis zur Entscheidung der Vergabekammer. Für den Fall, dass dem Nachprüfungsantrag durch Untersagung des Zuschlags stattgegeben wurde, sieht der Entwurf weiterhin die Fortgeltung des Zuschlagsverbots bis zum Ablauf der Beschwerdefrist nach § 172 Abs. 1 GWB vor.
- Vorabgestattung des Zuschlags – Umkehr der Abwägungsentscheidung
Die Vorabgestattung des Zuschlags soll – nach der beabsichtigten Änderung des § 176 GWB – in Zukunft erfolgen können, wenn die vorteilhaften Folgen der Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die Beschwerde die damit verbundenen Nachteile nicht überwiegen.
Nach der bisherigen Regelung kann die Vorabgestattung des Zuschlags genau andersherum erfolgen – nämlich nur, wenn die nachteiligen Folgen der Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die Beschwerde die damit verbundenen Vorteile überwiegen. Im Ergebnis bedeutet diese Umkehrung, dass die Vorabgestattung des Zuschlags erleichtert wird: Denn bei einem Interessengleichgewicht soll die Abwägungsentscheidung zugunsten einer raschen Zuschlagserteilung ausfallen.
- Absehen von der Unwirksamkeit des Zuschlags bei rechtswidriger De-Facto-Vergabe
Nach bisheriger Rechtslage führt ein erfolgreicher Nachprüfungsantrag rechtswidriger De-Facto-Vergabe zwingend zur Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags (§ 135 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 GWB). Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Nachprüfungsinstanzen von dieser Rechtsfolge ausnahmsweise absehen und stattdessen alternative Sanktionen – etwa eine Geldsanktion oder eine Verkürzung der Vertragslaufzeit – verhängen können. Diese Abweichung soll nur bei zwingenden Gründen eines Allgemeininteresses zulässig und erfordert eine umfassende Abwägung. Als solche Gründe nennt der Entwurf insbesondere. Leistungen der Daseinsvorsorge, die nicht unterbrochen werden dürfen und sicherheits- oder verteidigungspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland.
Diese Änderungen an den Bestimmungen für das Nachprüfungsverfahren sind – zumal in der Summe – rechtspolitisch sehr bedenklich. Die geplanten Verkürzungen können dazu führen, dass ein Rechtsschutz, der rechtstaatlichen Maßstäben genügt, in der öffentlichen Beschaffung künftig nicht mehr gewährleistet ist.
Hierfür muss man sich vor Augen führen, was die Kombination der unterschiedlichen Maßnahmen im Einzelfall konkret bedeuten kann:
Ein erheblicher Vergaberechtsverstoß – bspw. ein diskriminierender Ausschluss eines Newcomers vom Vergabeverfahren – wird zum Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens. Da die Sache nach Ansicht der Vergabekammer keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, entscheidet hierüber allein ein hauptamtlicher Nebensitzer ohne Befähigung zum Richteramt nach Lage der Akten. Lehnt dieser den Antrag ab, bleibt dem ausgeschlossenen Bieter jeglicher richterlicher Primärschutz versagt, weil der Zuschlag trotz sofortiger Beschwerde sogleich erteilt werden kann.
Das ist eine gravierende – nach Ansicht der Verfasser nicht hinnehmbare – Einschränkung des Bieterrechtsschutzes. Es muss die Möglichkeit gewahrt bleiben, dass sich Unternehmen gegen Rechtsverletzungen vor Gericht wehren können. Der vorliegende Entwurf verweist die Bieter insofern auf die Möglichkeit Schadenersatz geltend zu machen: Die Interessen der Teilnehmer seien hinreichend berücksichtigt, da der Beschwerdeführer eine Feststellungsentscheidung erwirken und ggf. Schadenersatz einklagen kann.
Dieser Sekundärrechtsschutz wird aber den Interessen der betroffenen Unternehmen meist nicht gerecht. Gerade junge Unternehmen und Newcomer, die versuchen sich auf dem deutschen Markt zu etablieren, scheuen davor zurück, einen Schadensersatzanspruch durchzusetzen. Zudem kann ein solcher Schadenersatz einen Zuschlag auch nur unzureichend kompensieren. Den Unternehmen entgehen insbesondere Referenzen, die durch die Durchführung eines öffentlichen Auftrags entstehen und für künftige Auftragsvergaben von erheblicher Bedeutung sein können. Zudem entgeht den Unternehmen die Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln und bei öffentlichen Auftraggebern Vertrauen zu erwerben.
Die geplante Verkürzung des vergaberechtlichen Rechtsschutzes steht auch in Widerspruch zu den ausdrücklichen Zielen des Gesetzentwurfs gerade die Beteiligung von jungen und innovativen Unternehmen an öffentlichen Ausschreibungen zu erhöhen. Gerade Newcomer, die neue und innovative Lösungen einbringen können, brauchen die Möglichkeit eines effektiven, richterlichen Rechtsschutzes. Im Zweifel sind es diese jungen und innovativen Unternehmen, die im Vergabeverfahren gegenüber den „bekannten und bewährten“ Anbietern benachteiligt werden.
Eine Reform des Vergaberechts, die eine effizientere Beschaffung ermöglicht, ist aus Sicht der Verfasser einschränkungslos wünschenswert. Eine Verkürzung des Rechtsschutzes und damit des Wettbewerbs dient diesem Ziel aber letztlich nicht. Es bleibt daher zu hoffen, dass der richterliche vergaberechtliche Rechtsschutz im parlamentarischen Verfahren gerettet werden kann.
Der Beitrag ist der Auftakt einer Reihe von Beiträgen zur geplanten Vergaberechtsnovelle.
Bestens
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