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Yen-Zinsderivate-Kartelle: EuG erklärt Geldbuße gegen Broker ICAP teilweise für nichtig

21.11.2017

Mit Urteil vom 10. November 2017 hat das Gericht der Europäischen Union (EuG) einen Beschluss der Europäischen Kommission gegen den britischen Broker ICAP teilweise für nichtig erklärt (Rs. T-180/15). Die Kommission hatte die ICAP-Gruppe im Jahre 2015 mit einer Geldbuße in Höhe von fast 15 Mio. Euro belegt, weil ICAP – nach den Feststellungen der Kommission – eine Reihe bilateraler Kartelle im Bereich der Yen-Zinsderivate (YIRD) unterstützt haben soll. Gegenstand dieser Kartelle war der Austausch wirtschaftlich sensibler Informationen zu Handelspositionen und künftigen Yen-Libor-Quotierungen zwischen Bankinstituten, den ICAP aus Sicht der Kommission erst ermöglicht und gefördert haben soll. Ein Grund zum Aufatmen für die Finanzbranche ist das Urteil des EuG jedoch nicht, denn das Urteil klingt vorteilhafter, als es tatsächlich ist: Zum einen hat das EuG die Bußgeldentscheidung der Kommission nur in Teilen für nichtig erklärt. Zum anderen hat das Gericht sein Urteil auf formelle Aspekte gestützt, nämlich auf Defizite in der Beweisführung der Kommission sowie auf eine unzureichende Begründung der Methode für die Berechnung der Geldbuße. Inhaltlich hat das EuG demgegenüber wesentliche Positionen der Kommission bestätigt, mit denen die Kommission kartellrechtliches „Neuland“ betreten hatte.

Hintergrund des Falles

Wie bereits berichtet (siehe hierzu unsere News vom 23. Februar 2015), verhängte die Europäische Kommission am 4. Februar 2015 eine Geldbuße in Höhe von 14,9 Mio. Euro gegen den Broker ICAP aus Großbritannien. Die Europäische Kommission warf dem Londoner Finanzunternehmen vor, sechs Kartelle im Bereich der Yen-Zinsderivate (YIRD) unterstützt und dadurch gegen EU-Kartellvorschriften verstoßen zu haben. Bereits im Dezember 2013 hatte die Europäische Kommission – im Vergleichswege reduzierte – Bußgelder in Höhe von insgesamt ca. 670 Mio. Euro gegen die Banken RBS, Deutsche Bank, JP Morgan, Citigroup und den Broker RP Martin wegen der Manipulation des LIBOR-Zinssatzes für japanische Yen (JPY) verhängt. Einem weiteren Mitglied dieses YIRD-Kartells, der Bank UBS, war die Geldbuße erlassen worden, weil UBS sich als Kronzeugin zur Verfügung gestellt hatte.

Referenzzinssätze wie der LIBOR-Zinssatz für JPY dienen als Grundlage dafür, die Kosten der Kreditvergabe auf dem Interbankenmarkt in JPY abbilden zu können. Solche Referenzzinssätze wie JPY LIBOR und Euroyen Tibor sind auf den internationalen Geldmärkten weit verbreitet. Festgelegt werden die Referenzzinsätze durch die jeweiligen Kursnotierungen der einschlägigen Panel-Banken, die der zuständigen Berechnungsstelle täglich übermittelt werden.

Dem Broker ICAP warf die Europäische Kommission nach weiteren Ermittlungen vor, sechs der insgesamt sieben bilateralen Zuwiderhandlungen gegen EU-Kartellrecht im YIRD-Bereich unterstützt zu haben. Diese Zuwiderhandlungen hatten nach den Feststellungen der Kommission zwischen 2007 und 2010 stattgefunden und wiesen eine Dauer von einem bis zehn Monaten auf. So soll ICAP bspw. irreführende „Prognosen“ bzw. „Erwartungen“ für den JPY-LIBOR-Satz an solche JPY-LIBOR-Panel-Banken übermittelt haben, die nicht an den Zuwiderhandlungen beteiligt waren. Auf diese Weise soll ICAP diese Banken zur Angabe von LIBOR-Sätzen für JPY bewegt haben, die im Einklang mit diesen angepassten „Prognosen“ oder „Erwartungen“ standen. Daneben soll ICAP auch als Kommunikationskanal zwischen Händlern der Citigroup und der RBS gedient und auf diese Weise das kartellrechtswidrige Verhalten der beiden Banken ermöglicht haben.

Anders als die bebußten Banken, die ihre Beteiligung an den Kartellen gegenüber der Kommission einräumten und deren Verfahren daher im Vergleichswege beendet wurden, entschied sich ICAP gegen einen Vergleich, so dass ihr gegenüber das ordentliche Verfahren angewandt wurde, das am 4. Februar 2015 mit dem Beschluss der Kommission und einer Geldbuße von ca. 14,9 Mio. Euro beendet wurde. Daraufhin reichte ICAP beim EuG Klage auf Nichtigerklärung des Kommissionsbeschlusses ein, die – vor allem aus verfahrensrechtlichen Gründen – zu großen Teilen Erfolg hatte.

Entscheidung des EuG

EuG bestätigt wettbewerbswidrigen Zweck der bilateralen Kartelle

In seinem Urteil vom 10. November 2017 hielt das EuG zunächst allerdings ausdrücklich fest, dass der Kommission bei ihrer Feststellung, wonach die ICAP zur Last gelegten Zuwiderhandlungen einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt hätten, weder ein Rechts- noch ein Beurteilungsfehler unterlaufen sei. Das Urteil bringt somit zum ersten Mal gerichtliche Klarheit in Bezug auf die – bislang nicht unumstrittene – Frage, ob eine Abstimmung bzw. ein Austausch über Referenzzinssätze wettbewerblich überhaupt relevant ist. So wurde in der Vergangenheit unter anderem auch die Ansicht vertreten, bei den Referenzzinssätzen handele es sich nicht um preisrelevante Bestandteile, sondern vielmehr um einen kartellrechtlich neutralen reinen „Vertrauensindikator“ der Kreditwirtschaft. So wandte auch ICAP etwa ein, dass zwischen den beteiligten Banken schon kein Wettbewerbsverhältnis bestehe.

Das EuG ließ diesen Einwand jedoch nicht gelten, sondern bestätigte ausdrücklich die Einschätzung der Kommission, dass sich der Informationsaustausch sogar in doppelter Hinsicht auswirke, nämlich auf beide Bestandteile („legs“) der Zinsderivate. Denn er reduziere jeweils die Unsicherheit über das Niveau der Referenzzinssätze des JPY LIBOR erheblich und ermögliche den am Austausch beteiligten Banken auch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber unbeteiligten Banken bei der Verhandlung und den Angeboten von Derivaten. Auswirkungen ergäben sich

  • zum einen für laufende Verträge, und zwar insbesondere für den variablen Zinssatz (sog. „floating leg“), der unmittelbar durch die Referenzzinsätze (und somit auch eine Abstimmung darüber) beeinflusst werden könne;
  • zum anderen auch für den fixen Zinssatz (sog. „fixed leg“) bei künftigen Verträgen, weil die Berechnung dieser Zinssätze eine Prognose erfordere und sich diese Prognose wesentlich auf die Entwicklung der Zinskurve bei Derivaten stütze, die wiederum von den Referenzzinssätzen abhänge.

ICAP-Beteiligung an bilateralem Kartell zwischen UBS und RBS im Jahr 2008 nicht bewiesen

In der Folge stellte das EuG allerdings fest, dass die Kommission im Zusammenhang mit einem bilateralen Kartell – nämlich zwischen UBS und RBS aus dem Jahr 2008 – nicht den Beweis habe erbringen können, dass ICAP wusste oder zumindest den Verdacht hätte schöpfen müssen, dass die Anfragen von UBS im Jahr 2008 auf einer Kollusion mit RBS beruhte. Entsprechend erklärte das Gericht den Beschluss im Hinblick auf diese vorgeworfene Beteiligung im Jahre 2008 für nichtig.

Dauer der ICAP-Beteiligung an drei weiteren Kartellen nicht hinreichend bewiesen

Zudem erkannte das Gericht, dass die Europäische Kommission auch die Dauer von drei weiteren Kartellen, an denen ICAP beteiligt gewesen sein soll, nicht hinreichend sicher habe beweisen können.

Methodik der Geldbußenberechnung nicht erläutert

Im Anschluss an die – allerdings nicht entscheidungserhebliche – Feststellung, dass die Kommission gegenüber ICAP die Unschuldsvermutung verletzt habe, rügte das EuG schließlich, dass die Kommission die von ihr angewendete Methode zur Festsetzung der verhängten Geldbußen nicht erläutert habe. Insbesondere habe die Kommission nicht hinreichend die Gründe dafür dargelegt, weshalb es von ihren in den Bußgeldleitlinien von 2006 niedergelegten Grundsätzen abgewichen sei. Dies sei jedoch erforderlich, da das Ermessen der Kommission durch die Leitlinien grundsätzlich gebunden sei und ein Abweichen eine hinreichende Darlegung von Gründen für das Abweichen erfordere. Daher sei der Kommissionsbeschluss wegen unzureichender Begründung auch hinsichtlich der Geldbußenfestsetzung nichtig.

Bewertung und Folgen für die Praxis

Durch die erste gerichtliche Entscheidung im Bereich der Zinsderivate wird deutlich, dass sich die Europäische Kommission – trotz des auf den ersten Blick für sie negativen Verfahrensausgangs – in ihrem Standpunkt und bei der Verfolgung von Kartellen im Finanzsektor bestärkt sehen dürfte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Europäische Kommission ihre Lehren aus dem EuG-Urteil ziehen wird und die Kartellbekämpfung – unter Berücksichtigung dieser jüngsten Erkenntnisse – im Finanzsektor auch in Zukunft einen Schwerpunkt in der Praxis der Europäischen Kommission bilden wird. Die Höhe des ursprünglich gegen den Broker ICAP verhängten Bußgelds zeigt zudem, dass sich die Europäische Kommission bei der Kartellverfolgung nicht auf die Sanktionierung von „Schwergewichten“ in der Finanzbranche und nicht nur auf Kreditinstitute beschränkt. Auch daran wird sich in Zukunft aller Voraussicht nach nichts ändern.

Vor diesem Hintergrund wächst auch die Bedeutung wirksamer kartellrechtlicher Compliance-Maßnahmen in der Finanzwirtschaft. Selbst im Falle eines Verstoßes kann mit der richtigen Verteidigungsstrategie und einer umfassenden kartellrechtlichen Beratung schon während des kartellbehördlichen Ermittlungsverfahren oder – wie das EuG-Urteil zeigt – sogar noch vor den grundsätzlich eher „kommissionsfreundlichen“ Unionsgerichten noch viel erreicht werden.

Das Urteil des EuG vom 10. November 2017 in Sachen ICAP u.a./Kommission (Rs. T-180/15) ist unter diesem Link (Volltext in englischer Sprache) abrufbar. Die deutsche Pressemitteilung des EuG zum Urteil ist unter diesem Link abrufbar.

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