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Aufsichts­rats­wahlen in Zeiten der Corona-Krise

18.05.2020

– Herausforderungen für die Wahl der Arbeitnehmervertreter -

Die Deutsche Bahn hatte es als eines der ersten deutschen Unternehmen vorgemacht: Arbeitnehmervertreter und Unternehmen einigten sich angesichts der sich zuspitzenden Krise bereits Anfang März darauf, die ursprünglich für den 10. und 11. März geplante Wahl der neuen Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat zunächst auf unbestimmte Zeit zu verschieben. 

Wenngleich die Wahl der Arbeitnehmervertreter bei der Deutschen Bahn dem Vernehmen nach zwischenzeitlich nachgeholt wurde, zeigt dieses Beispiel doch: Auch die Aufsichtsratswahlen werden durch das SARS-COV-2-Virus und die damit verbundenen Maßnahmen zur Verhinderung einer Ausbreitung der Covid-19-Pandemie erheblich beeinträchtig.

1. Praktische Herausforderungen 

Die derzeitige Situation stellt Arbeitgeber wie Arbeitnehmervertreter angesichts einer anstehenden Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern vor diverse praktische Herausforderungen. Denn auch wenn angesichts der zwischenzeitlichen Lockerungen der Regelungen zur Eindämmung des Corona-Virus die Wirtschaft in einigen Bereichen wieder Fahrt aufnimmt, so prägen Kurzarbeit und das Arbeiten im „Homeoffice“ weiterhin das Bild in vielen deutschen Unternehmen. Doch auch dort, wo das Arbeiten im Betrieb (wieder) möglich ist, hat sich der Arbeitsalltag in der Regel durch die von den Unternehmen implementierte Schutzmaßnahmen deutlich verändert. 

Die Vorschriften des Aktiengesetzes und der einschlägigen Wahlordnungen (WODrittelbG, WOMitbestG 1. – 3.) helfen angesichts der bestehenden Herausforderungen nur wenig weiter, setzen sie doch die regelmäßige Anwesenheit der Arbeitnehmer in den Betrieben  während des Verfahrens zur Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat jedenfalls praktisch voraus. Nicht nur verlangen die einschlägigen Wahlordnungen, die Wahlausschreiben und Bekanntmachungen zur Wahl im Betrieb auszuhängen, damit die Arbeitnehmer von diesen Kenntnis nehmen können. Auch der Wahlvorgang selbst soll im Regelfall durch die Abgabe des Stimmzettels im Betrieb erfolgen. 

Aber selbst das Sammeln von Stützunterschriften für die Einreichung von Wahlvorschlägen ist derzeit unter Umständen nicht oder nur zu erschwerten Bedingungen möglich. Zu Recht wird teilweise außerdem auf die Gefahr hingewiesen, dass niedrige Wahlbeteiligungen auch im Rahmen von Aufsichtsratswahlen die Wahl rechtsextremer Bewerber oder Gruppierungen erleichtern könnten. 

Angesichts der zum Teil eher unflexiblen Vorschriften der Wahlordnungen zum Wahlverfahren besteht gegenwärtig ein deutlich gesteigertes Risiko einer Anfechtbarkeit oder sogar Nichtigkeit der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat. Folge wäre nicht nur das Erfordernis einer erneuten (kosten- und zeitintensiven) Wahl. Im Falle der Nichtigkeit der Wahl wären auch alle Beschlüsse, an denen die fehlerhaft gewählten Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat beteiligt waren, unwirksam, wenn sich die Stimmen der nicht Gewählten ausgewirkt haben können. 

2. Schriftliche Stimmabgabe nicht ohne Weiteres zulässig

Auch wenn für viele Schritte des Wahlverfahrens Möglichkeiten bestehen, diese ohne die Anwesenheit der Arbeitnehmer im Betrieb vorzunehmen – so kann beispielsweise die Bekanntmachung des Wahlausschreibens auch durch den Einsatz der im Betrieb vorhandenen Informations- und Kommunikationstechnik, zum Beispiel in Form der Veröffentlichung im Intranet, erfolgen – ist die Stimmabgabe an sich nur unter den in den Wahlordnungen ausdrücklich geregelten Voraussetzungen außerhalb des Betriebes möglich.

Danach setzt die Stimmabgabe durch Briefwahl im Regelfall die Initiative der an der persönlichen Stimmabgabe gehinderten Arbeitnehmer voraus, indem diese die Briefwahlunterlagen beim Wahlvorstand anfordern. Von sich aus soll der Wahlvorstand die Briefwahlunterlagen zudem denjenigen Arbeitnehmern zur Verfügung stellen, von denen er sicher weiß, dass sie an einer persönlichen Stimmabgabe gehindert sind. Die Wahlordnungen nennen hierzu insbesondere die Fälle der Heim- und Telearbeit sowie die Beschäftigung im Außendienst. 

Geschaffen wurden diese Regelungen jedoch ausschließlich für den Einzelfall. Eine generelle Anordnung der Briefwahl für alle Arbeitnehmer eines Betriebes soll auch nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur in den vom Gesetzgeber ausdrücklich geregelten Ausnahmefällen zulässig sein (vgl. BAG v. 27.01.1993 - 7 ABR 37/92). Die vor diesem Hintergrund geschaffenen Ausnahmefälle in den Wahlordnungen, die eine generelle Anordnung der Briefwahl durch die Wahlvorstände zulassen, (i) wenn diese Anordnung weit vom Hauptbetrieb entfernte Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, betreffen bzw. (ii) wenn die Mehrheit der wahlberechtigten Arbeitnehmer an einer persönlichen Stimmabgabe im Betrieb verhindert ist, dürften indes vielfach nicht weiterhelfen. So kommt die Anordnung einer generellen Briefwahl im letzteren Fall schon dann nicht mehr in Betracht, wenn mehr als 25 Wahlberechtigte ihre Arbeit weiterhin vor Ort im Betrieb erbringen. Eine weitere Unsicherheit besteht außerdem vor dem Hintergrund, dass von der Rechtsprechung bislang nicht geklärt ist, ob auch die Abwesenheit im Betrieb aufgrund von Kurzarbeit einen zur schriftlichen Stimmabgabe berechtigenden Umstand darstellt.

3. Keine „Corona-Kriseninstrumente“

Erleichterungen , wie sie etwa für die Anteilseigner in Bezug auf das Abhalten virtueller Hauptversammlungen in Form von Videokonferenzen oder Lifestreams sowie die erleichterte Durchführung einer Briefwahl zur Wahl der Anteilseignervertreter in den Aufsichtsrat, die nunmehr auch ohne eine entsprechende Satzungsermächtigung möglich ist, geschaffen wurden, gibt es für die Wahl der Arbeitnehmervertreter nicht. Auch die beschlossene Gesetzesänderung, nach der eine Beschlussfassung des Betriebsrates (zunächst befristetet bis zum 31.12.2020) auch per Telefon- oder Videokonferenz zulässig sein soll, dürfte in Bezug auf die Wahl der Anteilseignervertreter in den Aufsichtsrat kaum Erleichterungen schaffen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass – anders als für die Personalratswahlen nach dem Personalvertretungsgesetz – auch für das Betriebsverfassungsgesetz keine Regelungen zur Durchführung einer betriebsweiten Briefwahl vorgesehen wurden. 

4. Empfehlungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes für Aufsichtsratswahlen während der Corona Krise

Angesichts der vorstehend skizzierten Herausforderungen hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Empfehlungen herausgegeben, in denen er sich ausdrücklich gegen eine Durchführung der Wahl bzw. sogar den Abbruch bzw. die Unterbrechung einer bereits initiierten Wahl während der Corona-Krise ausspricht.

a) Abbruch von Wahlen im Anfangsstadium 

So sollen Wahlen, die sich noch im Anfangsstadium befinden, grundsätzlich durch den Wahlvorstand abgebrochen werden. Im Anwendungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes soll ein Abbruch etwa dann erfolgen, wenn die Bekanntmachungen über die Art der Wahl und die Einreichung von Wahlvorschlägen noch nicht erfolgt ist; im Bereich des Drittelbeteiligungsgesetzes, solange das Wahlausschreibens noch nicht ausgehängt wurde.

b) Unterbrechung bereits laufender Wahlen

Weiter empfiehlt der DGB, laufende Wahlen, die bereits über das Anfangsstadium hinausgegangen sind, zu unterbrechen. Selbst Wahlen, die in den nächsten Tagen vor dem Abschluss stehen, sollten unterbrochen werden. Begründet wird dies nicht nur, mit den rechtlichen Schwierigkeiten der Einführung einer Briefwahl, sondern auch aus praktischen Erwägungen heraus, etwa dem logistischen Aufwand der Beschaffung von Briefwahlunterlagen. 

Die praktische Umsetzung einer solchen Unterbrechung könne – abhängig vom jeweiligen Stadium der Wahl – unterschiedlich ausfallen. So könne es möglich sein, die Wahl schlicht „anzuhalten“ und nach Normalisierung der Lage weiterzuführen. Es könne aber auch notwendig werden, bereits durchgeführte Maßnahme nach Wiederaufnahme des Wahlverfahrens zu wiederholen. Außerdem sei vor einer Wiederaufnahme des Wahlverfahrens stets zu prüfe, ob etwaig zwischenzeitlich eingetretene Veränderungen ggf. einen kompletten Neubeginn der Wahl erfordern. Dies könne etwa der Fall sein, wenn zwischenzeitliche Umstrukturierungen eine Veränderung der Wählersite bedingt hätten. 

c) Ausnahme Delegiertenwahl

Eine denkbare Ausnahme von seiner Empfehlung zur Unterbrechung der Wahl, nennt der DGB in Bezug auf die Delegiertenwahl. Hier bestehe etwa die Möglichkeit zwischen der Wahl der Delegierten und der Durchführung der Delegiertenversammlung eine mehrmonatige Pause einzulegen. So gebe es zwar eine „Soll-Vorschrift“, nach der die Delegiertenversammlung innerhalb eines Monats nach der Meldung der gewählten Delegierten an Haupt- oder Unternehmenswahlvorstand durchgeführt werden soll. Von dieser Regelung könne aber bei Vorliegen eines sachlichen Grundes abgewichen werden. 

Bei schon weiter fortgeschrittenem Wahlverfahren käme – anders als bei einer Urwahl durch die Arbeitnehmer – außerdem eine Briefwahl in Betracht. Die Öffentlichkeit bei der Stimmenauszählung könne hier möglicherweise durch Internet-Lösungen hergestellt werden.

Praxishinweis:

Ob die Voraussetzungen für die schriftliche Stimmabgabe vorliegen, ist auch bei der der Delegiertenwahl im Einzelfall zu prüfen und kann zudem nicht vom Arbeitgeber angeordnet werden. 

Ob die „Öffentlichkeit“ der Stimmenauszählung, wie vom DGB vorgeschlagen, durch eine Übertragung im Internet hergestellt werden kann, ist fraglich und dürfte ein erhebliches Anfechtungsrisiko mit sich bringen, da der Gesetzgeber auf „Corona-Kriseninstrumente“ in Bezug auf die Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat gerade verzichtet hat. Dass dies lediglich eine unbewusste Entscheidung war, dürfte angesichts der erwähnten, für andere Bereiche geschaffenen Kriseninstrumente, nur schwer zu begründen sein.

d) Bevorstehende Wahlen

Für noch anstehende Wahlen, empfiehlt der DGB eine Verschiebung der Wahl, etwa im Gleichlauf mit einer Verschiebung der Hauptversammlung. 

Praxishinweis:

Durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.03.2020 muss die Hauptversammlung einer AG oder KGaA im Jahr 2020 nicht in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahres durchgeführt werden. Das Gesetz sieht insofern verschiedene Erleichterungen für eine Verschiebung vor, von denen zahlreiche Unternehmen bereits Gerbrauch gemacht haben.

Bis zu einer (ggf. auch erst nach der Krise) nachzuholenden Wahl soll nach den Empfehlungen des DGB als Übergangslösung eine gerichtliche Bestellung der Aufsichtsratsmitgliedern gem. § 104 AktG erwogen werden. 

Praxishinweis:

Eine gerichtliche Bestellung kann sowohl auf Antrag des Vorstands bzw. der Geschäftsführung, eines Aufsichtsratsmitglieds oder eines Aktionärs, als auch durch die wahlberechtigten Arbeitnehmer selbst bzw. deren betrieblichen Vertreter sowie durch die im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften und deren Spitzenorganisationen erfolgen.

Soweit die gerichtliche Bestellung im Einvernehmen von Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertretern erfolgt, ist es in der Regel sinnvoll, den Vorschlag zur registergerichtlichen Ersatzbestellung mit dem Wahlvorstand sowie den Betriebsrats-Gremien abzustimmen. 

5. Keine einseitige Verlegung oder Abbruch durch Arbeitgeber

Ungeachtet der vorstehenden Empfehlungen des DGB sollten Arbeitgeber anstehende Aufsichtsratswahlen nicht einseitig verlegen oder – soweit dies überhaupt in ihrer Macht steht – abbrechen, sondern nach Möglichkeit die Initiative der Arbeitnehmer hierzu abwarten. Soweit eine Verlegung oder ein Abbruch der Wahl – etwa zur Vermeidung späterer Anfechtungsrisiken – auch aus Arbeitgebersicht geboten erscheint, ist es denkbar, Wahlvorstand bzw. die Betriebsrats-Gremien auf die Empfehlungen des DGB zu Aufsichtsratswahlen der Corona Pandemie hinzuweisen und sich – sollte die Arbeitgeberseite für eine Verlegung bzw. einen Abbruch der Wahl aussprechen - ggf. zu einer gerichtlichen Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder abzustimmen. Der Eindruck einer arbeitgeberseitigen Einflussnahme auf die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat sollte jedoch in jedem Fall vermieden werden. 

6. Alternative Handlungsvorschläge

Kommt eine Verlegung der Aufsichtsratswahlen nicht in Betracht, sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter sich – um eine Anfechtbarkeit der Wahl und das Risiko einer geringen Wahlbeteiligung zu vermeiden – zu etwaigen Strategien (etwa im Rahmen bereits erarbeiteter betrieblicher Hygienekonzepte) abstimmen. Bei Betrieben mit beengten Betriebsräumen kann es im Einzelfall sinnvoll sein, für die Wahl Räumlichkeiten außerhalb des Betriebes anzumieten, die es aufgrund ihrer Größe ermöglichen, den erforderlichen Abstand von 1,5 bis 2 Metern zwischen den wählenden Arbeitnehmern einzuhalten. Denkbar ist auch – soweit dies die betrieblichen Gegebenheiten zulassen – eine Wahl unter freiem Himmel (z.B. in nach oben offenen „Behelfs-Wahlkabinen“) durchzuführen.

Erwogen werden sollte außerdem, die Arbeitnehmer zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes während Stimmabgabe und etwaiger Wartezeit sowie zur Nutzung eines eigenen (persönlichen) Stiftes aufzufordern und – für den Notfall – eine gewisse Anzahl an Stiften und ggf. Einmalmasken vorzuhalten. Um sicher zu stellen, dass nicht alle Arbeitnehmer gleichzeitig ihre Stimme abgeben, kann es zudem sinnvoll sein, die Arbeitnehmer in Gruppen zu unterteilen, denen jeweils ein bestimmter Zeitraum zur Stimmabgabe zugeteilt wird. Nicht zuletzt, um eine Anfechtbarkeit der Wahl zu vermeiden, sollte in diesem Fall allerdings sichergestellt werden, dass den Arbeitnehmern eine Teilnahme an der Wahl im zugewiesenen Zeitfenster arbeitgeberseitig auch tatsächlich ermöglicht wird.