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Brexit-Update: Vollstreckung von Urteilen aus UK ab dem 01.01.2021

04.05.2021

Das Vereinigte Königreich hat die Europäische Union („EU“) am 31.01.2020 verlassen. Seitdem war das Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU im Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (2019/C 384 I/01) („Austrittsabkommen“) geregelt. Art. 66 ff. des Austrittsabkommens regeln die justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen während der Übergangsphase. Laut Art. 67 Abs. 2 lit. a) des Austrittsabkommens findet die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („EuGVO“) Anwendung auf die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen, die in vor dem Ablauf des Übergangszeitraums eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ergangen sind. Diese Übergangsphase ist jedoch mit Ablauf des 31.12.2020 zu Ende gegangen.

Zwar haben das Vereinigte Königreich und die EU am 30.12.2020 ein Handels- und Kooperationsabkommen geschlossen. Dieses Abkommen spart jedoch den Bereich des europäischen Zivilprozessrechts aus, was einem sog. „harten Brexit“ in diesem Teilbereich gleichkommt. Auch der Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 („LugÜ“) scheint gescheitert. Zwar hatte das Vereinigte Königreich am 08.04.2020 seinen Beitrittswillen zum LugÜ erklärt. Die notwendige Zustimmung aller Vertragsparteien liegt jedoch auch nach Ablauf der Jahresfrist in Art. 72 Abs. 3 LugÜ nicht vor.

Damit verbleiben als Optionen für die Vollstreckung von Urteilen aus dem Vereinigten Königreich in den Mitgliedsstaaten der EU bzw. für die Vollstreckung von Urteilen aus den Mitgliedsstaaten der EU im Vereinigten Königreich das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.06.2005 („HGÜ“), bilaterale Übereinkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und einzelnen Mitgliedsstaaten sowie das jeweils anwendbare nationale Recht.

Unsere frühere News zum Thema Vollstreckung britischer Urteile bei einem No-Deal Brexit finden Sie hier.

1. Option: Vollstreckung nach dem Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen

Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind – mit Ausnahme Dänemarks – seit dem 01.10.2015 aufgrund Erklärung der EU Kommission dem HGÜ beigetreten. Das Vereinigte Königreich hat mit einer Erklärung vom 31.01.2020 erklärt, während des im Austrittsabkommens festgelegten Übergangszeitraums weiter aufgrund dieser Erklärung der EU Kommission an das HGÜ gebunden zu sein. Mit Erklärung vom 28.09.2020 trat das Vereinigte Königreich dann mit Wirkung zum 01.01.2021 dem HGÜ bei.

Das HGÜ regelt neben der Zuständigkeit von Gerichten, die in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung benannt sind, auch die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen eines in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung benannten Gerichts eines Vertragsstaats in den anderen Vertragsstaaten. Gemäß Art. 8 Abs. 1 und 2 HGÜ sind solche Entscheidungen grundsätzlich ohne Nachprüfung der Entscheidung in der Sache anzuerkennen und zu vollstrecken, sofern keine Anerkennungs- und Vollstreckungshindernisse vorliegen.

Insbesondere kann gemäß Art. 11 Abs. 1 HGÜ die Vollstreckung von punitive und exemplary damages versagt werden.

Aber: Enger und zeitlich ungeklärter Anwendungsbereich des Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen

Das HGÜ bleibt jedoch – anders als beispielsweise die EUGVO oder das LugÜ – in seinem Anwendungsbereich begrenzt. Abgesehen davon, dass das Übereinkommen nur die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen von in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung benannten Gerichten zum Gegenstand hat, enthält Art. 2 HGÜ einen umfassenden Katalog von Sachverhalten, die von der Anwendung ausgenommen sind. Hierzu gehören neben Verbrauchersachen auch außervertragliche Ansprüche aus unerlaubter Handlung wegen Sachschäden sowie Miet- und Pachtsachen.

Im Verhältnis zum Vereinigten Königreich ist schließlich der zeitliche Anwendungsbereich fraglich und bisher ungeklärt. Gemäß Art. 16 Abs. 1 HGÜ ist das Übereinkommen auf ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen anzuwenden, die geschlossen werden, nachdem das Übereinkommen für den Staat des vereinbarten Gerichts in Kraft getreten ist. Das Vereinigte Königreich hat in seiner Beitrittserklärung vom 28.09.2020 erklärt, davon auszugehen, seit dem 01.10.2015 ohne Unterbrechung Vertragsstaat gewesen zu sein. Wie die deutschen Gerichte bei Vollstreckungsverfahren diese Erklärung des Vereinigten Königreichs im Hinblick auf den zeitlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens werten werden, bleibt abzuwarten.

Ein großer Vorteil der Vollstreckung von Entscheidungen im Anwendungsbereich des HGÜ in Deutschland wird allerdings sein, dass dieses Übereinkommen gemäß § 1 Nr. 2 lit. b) AVAG in den Anwendungsbereich des letztgenannten Gesetzes fallen. Damit ist das in §§ 3 ff. AVAG geregelte Verfahren zur Zulassung der Zwangsvollstreckung aus ausländischen Titeln anwendbar. Gemäß § 4 Abs.1 AVAG wird der ausländische Titel dadurch zur Zwangsvollstreckung zugelassen, dass er auf Antrag mit der Vollstreckungsklausel versehen wird. Das Gericht entscheidet laut § 6 Abs. 1 AVAG ohne Anhörung des Verpflichteten. Dies stellt gegenüber dem Verfahren nach § 722 ZPO, welches ein Vollstreckungsurteil erfordert, eine deutliche Erleichterung dar.

2. Option: Bilaterales Übereinkommen zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich

Deutschland und das Vereinigte Königreich haben am 14.07.1960 das deutsch-britische Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („deutsch-britisches Abkommen“) geschlossen. Zu der Frage, ob dieses Übereinkommen mit dem Wegfall der EuGVO wieder auflebt, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Selbst wenn dieses Übereinkommen wieder auflebt, ist dessen Inhalt weit entfernt von dem moderner Regelwerke.

Aber: Formelles gerichtliches Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren

Gemäß Art. VII des deutsch-britischen Abkommens ist für die Vollstreckung von Urteilen aus dem Vereinigten Königreich in Deutschland ein Antrag auf Vollstreckbarerklärung notwendig. Laut dem Ausführungsgesetz zum deutsch-britischen Abkommen erfolgt die Vollstreckbarerklärung unter entsprechender Anwendung der Regelungen zu Schiedssprüchen in § 1063 Abs. 1 und § 1064 Abs 2 ZPO. Das heißt im Ergebnis findet auch hier grundsätzlich keine Nachprüfung der Entscheidung in der Sache statt, sondern die Prüfung von Anerkennungs- und Vollstreckungshindernissen. Allerdings wird über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung durch Beschluss nach Anhörung des Gegners entschieden, was den Verlust des Überraschungsmomentes bedeutet.

3. Option: Anerkennung und Vollstreckung nach nationalem Recht

Falls kein internationales Übereinkommen Anwendung findet, können Urteile aus dem Vereinigten Königreich in Deutschland nach autonomem deutsches Recht vollstreckt werden. Praktisch geschieht dies im Weg einer Vollstreckungsklage nach §§ 328, 722 ZPO, welcher stattgegeben wird, sofern keine Vollstreckungshindernisse vorliegen. Das so erwirkte Vollstreckungsurteil wird in Deutschland wie ein deutsches Urteil vollstreckt.

Fazit

Es sollte für jeden Einzelfall genau geprüft werden, welche Option für die Vollstreckung von Urteilen aus dem Vereinigten Königreich ab dem 01.01.2021 zur Verfügung steht und wie sie praktisch am besten durchzusetzen ist. So können zeitliche Verzögerungen und Mehrkosten vermieden werden. 

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