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Folgen des Brexits für den Arznei­mittel­vertrieb in Europa

01.02.2019

Im Rahmen unserer Reihe zum Brexit und seinen Folgen für Pharmaunternehmen (siehe unsere Beiträge „Brexit mit oder ohne Deal: Folgen für Pharmaunternehmen” sowie “Die Auswirkungen des Brexits auf Arzneimittelzulassungen”) geben wir in diesem Beitrag einen Überblick über die Folgen des Brexits auf den Arzneimittelvertrieb von Großbritannien in das Gebiet der verbleibenden Mitgliedsstaaten der EU („EU 27“).

Formal werden dabei insbesondere neue Vertriebserlaubnisse und in diesem Zusammenhang mitunter gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen erforderlich sein. In der täglichen Vertriebspraxis werden die Auswirkungen insbesondere bei der Zollabfertigung spürbar sein. Wir empfehlen, frühzeitig gegebenenfalls erforderliche Umstrukturierungsmaßnahmen in die Wege zu leiten, um für einen „No Deal“-Brexit Ende März 2019 gewappnet zu sein.

Formale Anforderungen

Sitz des Inverkehrbringers

Die für den Vertrieb von Arzneimitteln innerhalb der Europäischen Union maßgebliche Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel setzt für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln innerhalb der EU grundsätzlich nicht voraus, dass der Inverkehrbringer seinen Sitz ebenfalls innerhalb der EU hat.

Die Mitgliedsstaaten haben den Gemeinschaftskodex aber nicht einheitlich umgesetzt und manche Mitgliedsstaaten (einschließlich Deutschland) sehen in ihren nationalen Regelungen ausdrücklich das Erfordernis vor, dass der Inverkehrbringer im betreffenden Mitgliedsstaat seinen Sitz im Gebiet der Europäischen Union hat (vgl. hierzu für Deutschland § 9 Abs. 2 AMG). Ein britisches Pharmaunternehmen wäre daher beispielsweise für den Vertrieb seiner Arzneimittel in Deutschland nach dem Brexit darauf angewiesen, seinen Sitz in das Gebiet der Europäischen Union zu verlegen oder aber den Arzneimittelvertrieb über einen europäischen Repräsentanten mit der entsprechenden Großhandelserlaubnis (siehe nachfolgend) abzuwickeln. Für welche Option sich das Unternehmen auch entscheidet, in jedem Fall wird eine Neuausrichtung des Vertriebs und der gesellschaftsrechtlichen Struktur erforderlich. Es empfiehlt sich deshalb, für alle EU-Mitgliedsstaaten, in die das betroffene britische Pharmaunternehmen exportiert, die jeweiligen nationalen Anforderungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu prüfen.

Großhandelserlaubnis

Um als Großhändler Arzneimittel im Gebiet der Europäischen Union in den Verkehr zu bringen, bedarf es einer Großhandelserlaubnis (vgl. Artikel 77 Abs. 1 der RL 2001/83/EG; für Deutschland umgesetzt in § 52a AMG). Dies gilt nur dann nicht, wenn  der Inverkehrbringer bereits im Besitz einer Herstellungserlaubnis ist, weil diese die Großhandelserlaubnis einschließt (Artikel 40 Abs. 1 der RL 201/83/EG; § 13 AMG).

Der Gemeinschaftskodex sieht nicht vor, dass der Antragssteller der Großhandels- bzw. Herstellungserlaubnis seinen Sitz zwingend im Gebiet der Europäischen Union haben muss. Britische Pharmaunternehmen, die im Besitz einer solchen Großhandelserlaubnis sind, könnten demzufolge prinzipiell weiterhin den Großhandel mit Arzneimitteln  von Großbritannien aus in das Gebiet der EU 27 betreiben.

Sollte jedoch die strukturelle Neuausrichtung des Vertriebs gemäß den vorstehenden Ausführungen zum Sitz des Inverkehrbringers einen Wechsel des Großhändlers erforderlich machen, müsste der „neue“ Großhändler selbst für sich eine neue Großhandelserlaubnis beantragen. Eine Übertragung dieser Großhandelserlaubnis von dem alten auf den neuen Großhändler ist nicht möglich.

„Qualified Person responsible for Pharmacovigilance“

Weiterhin für den Vertrieb von Arzneimitteln in der EU erforderlich ist die Benennung einer für die Pharmakovigilanz verantwortlichen, entsprechend qualifizierten Person (sog. Qualified Person responsible for Pharmacovigilance, QPPV; in Deutschland bekannt als sog. Stufenplanbeauftragter) durch den jeweiligen Zulassungsinhaber (bzw. in Deutschland zusätzlich durch den Inverkehrbringer). Diese qualifizierte Person muss zwingend in der Union ansässig sein (vgl. Art. 104 Abs. 3 Unterabsatz 2 der RL 2001/83/EG; für Deutschland § 63a Abs. 1 AMG).

Britische Zulassungsinhaber, die Arzneimittel in das Gebiet der EU 27 exportieren, sind somit auf die Benennung einer solchen im Gebiet der EU 27 ansässigen Person angewiesen. Die Nachfrage nach solchen qualifizierten Personen wird daher in den kommenden Wochen bzw. Monaten voraussichtlich gravierend steigen. Dies schon deshalb, da bis heute ein Großteil der in der EU benannten qualifizierten Personen ihren Sitz im Vereinigten Königreich hat. Daher ist bereits die Zahl der zu ersetzenden qualifizierten Personen hoch. Zum anderen ist das Angebot an qualifizierten Personen außerhalb des Vereinigten Königreichs begrenzt. Wir empfehlen daher, die Benennung einer qualifizierten Person mit Sitz im Gebiet der EU 27 so schnell wie möglich zu veranlassen, um diesem Engpass zuvorzukommen.

Einfuhrerlaubnis/ Einfuhrzertifikat

Schließlich wird Großbritannien nach dem Brexit als Drittstaat angesehen werden, weshalb es erforderlich sein wird, dass der jeweilige Abnehmer im Gebiet der Europäischen Union eine Erlaubnis zur Einfuhr von Arzneimitteln innehat (vgl. Art. 40 Abs. 3 der RL 2001/83/EG; für Deutschland § 72 AMG). Für die Einfuhr von Wirkstoffen benötigt der Abnehmer zudem ein Zertifikat zur Bestätigung, dass die eingeführten Wirkstoffe nach den Standards hergestellt worden sind, die bei der Herstellung von Wirkstoffen innerhalb der EU zu beachten sind (vgl. Art. 46b der RL 2001/83/EG; für Deutschland § 72a AMG).

Zollabfertigung

Bis zum Austritt aus der Europäischen Union ist das Vereinigte Königreich in zollrechtlicher Hinsicht noch ein Mitgliedstaat. Nach dem Austritt allerdings werden aufgrund der dann notwendigen Zollformalitäten alle Warenlieferungen in die EU am Zoll abgefertigt werden müssen. Aufgrund des damit verbundenen Mehraufwandes der zuständigen Zollbehörden ist mit langen Wartezeiten bei den Zollkontrollen zu rechnen, die aufgrund der längeren Lagerzeit etc. zu Störungen der äußerst sensiblen Lieferketten führen können. Gemeinsam mit dem Logistiker sollten daher Maßnahmen veranlasst werden, um den Schutz der Arzneimittel/ Wirkstoffe während der Zollabfertigung sicherzustellen.

Für weiterführende Informationen zu Auswirkungen des Brexits auf Zollabfertigungen empfehlen wir die Informationsseite der Generalzolldirektion. 

Noch einmal kurz zusammengefasst:
Was ist zu tun?

Insbesondere vor dem Hintergrund, dass das britische Unterhaus den von Theresa May ausgehandelten Exit-Vertrag und die EU 27 Neuverhandlungen abgelehnt haben, sollten sich Unternehmen darauf einstellen, dass es Ende März zu einem „No-Deal“ Brexit kommen wird. Dies bedeutet insbesondere, dass es keinen Übergangszeitraum geben wird, der den Unternehmen noch bis Ende 2020 erlaubt, sich auf die neuen Situation einzustellen. Die oben genannten Maßnahmen sollten daher bereits jetzt und so schnell wie möglich in die Wege geleitet werden. Dies beinhaltet, sofern noch nicht geschehen, insbesondere…

… für den Lieferanten:

• gegebenenfalls Verlagerung des Unternehmensstandortes in das Gebiet der EU 27 bzw. Bestimmung eines europäischen Repräsentanten, über den der Vertrieb in das Gebiet der EU 27 erfolgt;

• gegebenenfalls Beantragung einer Großhandelserlaubnis für den aufgrund der Umstrukturierung neu gewählten Großhändler;

• Benennung einer in dem Gebiet der EU 27 ansässigen qualifizierten Person;

• Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Lieferung unter Berücksichtigung der zukünftig erforderlichen Zollabfertigung.

… für den Abnehmer:

• Beantragung einer Einfuhrerlaubnis sowie gegebenenfalls eines Zertifikats zur Bestätigung, dass die eingeführten Wirkstoffe nach den Standards hergestellt worden sind, die bei der Herstellung von Wirkstoffen innerhalb der EU zu beachten sind.

Weiterführende Links:

Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel

Im Fokus: Brexit:

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