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Referenten­entwurf zum Verbands­sanktionen­gesetz

14.05.2020

Am Dienstag hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz den mit den übrigen Ressorts abgestimmten Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ veröffentlicht, dessen Kernstück das „Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten“ („Verbandssanktionengesetz“ – VerSanG) ist. Die Bedeutung dieser Neuregelung für das Strafrecht und Unternehmensrecht ist kaum zu überschätzen. Im Wesentlichen wird damit nun in Deutschland ein Unternehmensstrafrecht eingeführt, auch wenn dies wegen des verfassungsrechtlichen Schuldprinzips nicht so heißen darf. Bereits vor acht Monaten war eine Vorgängerversion des Referentenentwurfs, damals noch als „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ bezeichnet, bekannt geworden. Hierzu hatten wir Sie bereits auf unserem Compliance Day am 27.09.2019 sowie in unserem Webinar am 08.10.2019 informiert.

Gegenüber diesem Entwurf ergeben sich einige Änderungen, zum Teil lediglich terminologischer, zum Teil auch aber substantieller Natur. Es ist vorgesehen, dass das Gesetz zwei Jahre nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft tritt. Wir möchten Ihnen nachstehend einen Überblick über die vorgesehenen Regelungen geben:

I. Anwendungsbereich

Das VerSanG findet Anwendung auf juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts, nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften. Anders als im Vorentwurf gilt dies aber nur dann, wenn deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Verbände und Vereinigungen, die keinen Geschäftsbetrieb unterhalten, oder staatliche Stellen fallen nicht hierunter. Gegen diese kann ggf. aber eine Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG verhängt werden.

II. Legalitätsprinzip

Anders als bislang im Verbandsbußgeldverfahren findet nunmehr das Legalitätsprinzip Anwendung. Bei allen Verbandstaten muss daher die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren auch gegen den Verband einleiten. Allerdings sehen die §§ 35, 36 VerSanG-E, ähnlich den §§ 153, 153a StPO, vor, ein Verfahren gegen den Verband wegen Geringfügigkeit oder gegen Auflagen und Weisungen ohne Verhängung einer Sanktion einzustellen.


III. Voraussetzungen der Verbandsverantwortlichkeit

Das VerSanG setzt zunächst die Begehung einer Straftat voraus, durch die den Verband treffende Pflichten verletzt wurden oder durch die der Verband bereichert werden sollte (sog. Verbandstat). Zugerechnet werden dem Verband solche Verbandstaten, die begangen wurden von

  • einer Leitungsperson (Organ, Geschäftsführer, oder in leitender Stellung tätigen Prokuristen, Handlungsbevollmächtigten oder sonstigen verantwortlich Tätigen)
  • einer in Wahrnehmung von Angelegenheiten des Verbands tätigen Person (Mitarbeiter aber ggf. auch außenstehender Dritter), sofern eine Leitungsperson die Begehung der Tat durch angemessene Vorkehrungen (Organisation, Auswahl, Anleitung oder Aufsicht) hätte verhindern oder wesentlich erschweren können. 
Anwendbar ist das VerSanG auf alle in Deutschland strafbaren Verbandstaten, auch wenn sie im Ausland begangen wurden. Darüber hinaus erfasst werden nach § 2 Abs. 2 VerSanG-E nicht in Deutschland strafbare Auslandstaten, wenn der Verband seinen Sitz in Deutschland hat, die Tat bei Begehung in Deutschland strafbar wäre und auch eine Strafbarkeit im Ausland besteht.


IV. Verbandssanktionen

1. Sanktionsrahmen

Als Sanktionen sind nur noch die Verbandsgeldsanktion sowie die Verwarnung mit Sanktionsvorbehalt („Geldstrafe auf Bewährung“) vorgesehen. Die noch in der Vorgängerfassung vorgesehene Möglichkeit der Verbandsauflösung ist entfallen. 

Der Sanktionsrahmen beträgt bei vorsätzlichen Straftaten zwischen 1.000 EUR und 10 Mio. EUR, bei fahrlässigen Straftaten zwischen 500 EUR und 5 Mio. EUR. Bei konzernangehörigen Verbänden mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Mio. EUR beträgt die Obergrenze 10 % bzw. 5 % des durchschnittlichen Konzernumsatzes. Maßgeblich ist der durchschnittliche Konzernumsatz der letzten drei Geschäftsjahre vor dem Zeitpunkt der Sanktionsverhängung, nicht dem der Tatbegehung. Bei umfassender Kooperation und Durchführung von internen Untersuchungen gibt es nach § 17 VerSanG-E die Möglichkeit einer weiteren Minderung des Sanktionsrahmens.

2. Bemessung der Sanktion

Grundlage für die eigentliche Bemessung der Verbandsgeldsanktion sind u.a. die Bedeutung der Verbandstat, Schwere und Ausmaß von Aufsichtspflichtverletzungen und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verbandes. Ausdrücklich klargestellt ist in § 15 Abs. 2 Satz 2 VerSanG-E, dass der Konzernumsatz bei der Bemessung der Verbandsgeldsanktion nicht berücksichtigt werden darf. § 15 Abs. 3 VerSanG-E enthält verschiedene Zumessungsgesichtspunkte, insbesondere auch die vor bzw. nach der Verbandstat getroffenen Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Taten. Dies erlaubt die strafschärfende, aber auch strafmildernde Berücksichtigung des Vorhandenseins bzw. Fehlens oder der nachträglichen Implementierung von Compliance-Management-Systemen.

3. Verwarnung anstelle Verbandsgeldsanktion

Statt eine Verbandsgeldsanktion zu verhängen, kann das Gericht auch eine Verwarnung aussprechen und die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion vorbehalten. Dies gilt wenn nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion nicht erforderlich ist, um dem Verband zu künftigen rechtskonformen Verhalten anzuhalten. Eine Verbandsgeldsanktion wird erst dann fällig, wenn der Verband trotz der Verwarnung weitere Verbandstaten begeht oder gegen Auflagen und Weisungen verstößt.

Möglich ist auch eine Kombination beider Sanktionsmöglichkeiten, nämlich die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion, bei der bis zur Hälfte „zur Bewährung“ vorbehalten bleibt.

4. Auflagen und Weisungen, Monitorship

Die Verwarnung kann mit Auflagen versehen werden, insbesondere der Wiedergutmachung des durch die Verbandstat verursachten Schadens oder der Zahlung eines Geldbetrags zu Gunsten der Staatskasse. Insofern ähnelt die Verwarnung der Einstellung nach
§ 153a StPO. 

Ferner können dem Verband Weisungen auferlegt werden, um der Begehung von Verbandstaten entgegenzuwirken. In Betracht kommen insbesondere Weisungen zur Einführung von Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten, beispielsweise zur Einführung oder Fortentwicklung von Compliance-Prozessen. Die Erfüllung dieser Vorgaben ist durch Vorlage der Bescheinigung einer sachkundigen Stelle nachzuweisen. Die Möglichkeit der Anordnung eines Monitorships ist im Gesetz hingegen nicht ausdrücklich vorgesehen.

V. Rechtsnachfolge

Im Hinblick auf die Rechtsnachfolge übernimmt der Entwurf die durch die 9.GwB-Novelle eingeführten Regelungen zur Schließung der „Wurstlücke“. Eine Umgehung von Sanktionen im Wege von Umstrukturierungsmaßnahmen wird somit erschwert. Die §§ 6 und 7 VerSanG-E sind angelehnt an die kartellrechtlichen Vorschriften in §§ 81, 81a GWB. § 6 VerSanG-E entspricht inhaltlich zum einen
§ 30 Abs. 2a S. 1 OWiG und zum anderen § 81 Abs. 3b GWB. Die Regelung ermöglicht die Verhängung von Geldsanktionen gegen den Rechtsnachfolger des eigentlich zu sanktionierenden Unternehmens im Wege der Aufspaltung. § 7 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E entspricht § 81a GWB und erlaubt die Sanktionierung der Konzernmutter, wenn durch Erlöschen des Unternehmens oder Vermögensverschiebung die Verhängung oder Vollstreckung einer Sanktion vereitelt oder voraussichtlich vereitelt wird.

VI. Öffentliche Bekanntmachung der Verbandssanktion

Bei einer größeren Anzahl von Geschädigten kann die Verurteilung des Verbandes öffentlich bekannt gemacht werden, bei Bekanntmachung im Internet für die Dauer eines Jahres (§ 14 VerSanG-E). Bei einer Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nach § 17 VerSanG-E und Gewährung der Milderung entfällt eine Bekanntmachung, ebenso im Falle der Verhängung eines Sanktionsbescheides.

VII. Compliance-Management-Systeme

Compliance-Management-Systemen (CMS) wird künftig eine wesentlich höhere Bedeutung zukommen als bisher. Ein effektives CMS kann dazu führen, dass bei Begehung von Verbandstaten durch Mitarbeiter oder Dritte schon die Zurechnung an den Verband nach
§ 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E entfällt, von der Fortführung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Verband nach §§ 35, 36 VerSanG-E abgesehen oder lediglich eine Verwarnung nach § 10 Abs. 1 VerSanG-E ausgesprochen wird.


Ein fehlendes oder unzureichendes CMS kann nach § 15 Abs. 3 Nr. 6 VerSAnG-E sanktionsschärfend, ein hinreichendes sanktionsmildernd gewertet werden. Selbst ein erst nach Begehung einer Verbandstat eingeführtes oder verbessertes CMS kann nunmehr nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 VerSanG-E als sanktionsmindernd berücksichtigt werden.

Der Gesetzgeber macht jedoch keine Angaben dazu, wie seiner Meinung nach ein CMS beschaffen sein sollte, um eine Verbandssanktion zu verhindern oder jedenfalls als Milderungsgrund zu gelten.

VIII. Internal Investigations

Mit Spannung erwartet wurden vor allem die Regelungen zu Internal Investigations. Sie sind nun enthalten in
§§ 16 f. VerSanG-E. 

1. Milderung der Sanktionen bei Kooperation

Eine Milderung der Verbandssanktionen sieht § 17 VerSanG-E vor, wenn der Verband wesentlich dazu beigetragen hat, die Verbandstat aufzuklären, er ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeitet, eine interne Untersuchung durchführt und deren Ergebnisse einschließlich wesentlicher Dokumente und Abschlussbericht zur Verfügung stellt. In diesem Fall kann die Höchstgrenze der Verbandssanktion auf die Hälfte gemindert werden. Zudem entfällt dann die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes.

Im Gegensatz zur Vorgängerfassung enthält der Referentenentwurf verschiedene Klarstellungen. So soll eine Zusammenarbeit mit den Verfolgungsbehörden auch noch während eines eingeleiteten Ermittlungsverfahrens möglich sein, spätestens bis zur  Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 17 Abs. 3 Satz 2 VerSanG-E). Die Milderung des Verbandssanktionsrahmens bei einer Zusammenarbeit steht nicht mehr im freien Ermessen des Gerichts, sondern es besteht ein gebundenes Ermessen („soll“). Maßgebend ist insbesondere Art und Umfang der  offenbarten Tatsachen, deren Bedeutung für die Aufklärung der Tat, der Zeitpunkt der Offenbarung und das Ausmaß der Unterstützung. 

2. Trennung von Untersuchungsführer und Verteidiger

Ebenso wie bislang sieht der Entwurf in § 17 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E bei internen Untersuchungen durch beauftragte Dritte eine Trennung der Funktion von Untersuchungsführer und Verteidiger vor. Das bedeutet, dass die Kanzlei, die mit einer Internal Investigation beauftragt ist, nicht gleichzeitig auch die Verteidigung des Unternehmens übernehmen kann. Zwar ist Sachverhaltsaufklärung auch für eine verteidigende Kanzlei möglich und bis zu einem gewissen Punkt für eine sinnvolle und erfolgreiche Verteidigung auch unabdingbar. Eine Privilegierung bei der Strafzumessung – wie sie eben für Internal Investigations vorgesehen ist – kann damit aber nicht erreicht werden.

3. Erstmals Regelungen zur Befragung von Mitarbeitern

Obgleich das Gesetz die umstrittene Frage der Aussagepflicht von Mitarbeitern bei internen Untersuchungen nicht allgemein klärt, sieht es vor, dass eine Sanktionsmilderung nur gewährt wird, wenn die die Grundsätze eines fairen Verfahrens beachtet werden. Hierzu gehört nach § 17 Abs. 1 Nr. 5 VerSanG-E, dass die Mitarbeiter vor der Befragung darüber belehrt werden, dass ihre Angaben in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können, ihnen ein Recht zur Auskunftsverweigerung auf solche Fragen zusteht, bei deren Beantwortung sie sich oder einen Angehörigen der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit aussetzen können und sie zur Befragung einen Rechtsanwalt oder ein Mitglied des Betriebsrates hinzuziehen können.

4. Verjährungsunterbrechung bei interner Untersuchung

Um dem Unternehmen, bzw. der beauftragten Kanzlei ausreichend Zeit zur Durchführung einer Internal Investigation zu geben, besteht in § 41 VerSanG-E eine Möglichkeit zur vorläufigen Einstellung des Sanktionsverfahrens für die Dauer der Investigation, die nach einer Neufassung des § 78c StGB gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 VerSanG-E auch zu einem Ruhen der Verjährung führt. Hintergrund ist, dass die Staatsanwaltschaft eine laufende Investigation nicht durch verjährungsunterbrechende Maßnahmen stören muss, wenn ansonsten Verjährung drohte. Damit diese Regelung nicht angesichts parallel laufender Ermittlungsverfahren gegen den individuell Beschuldigten leerläuft, ruht nach einer Neufassung des § 78b StGB auch die Verjährung der Verbandsstraftat des individuell Beschuldigten.

IX. Beschlagnahme

Relevant sind auch die Änderungen im Beschlagnahmeprivileg nach § 97 StPO im Nachgang der Jones Day-Entscheidung des BVerfG (siehe hierzu auch unser Webinar vom 01.08.2018). So wird die Gelegenheit genutzt, den Wortlaut des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO an diesen Beschluss anzupassen, auch hier ein Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und Zeugnisverweigerungsberechtigten vorauszusetzen. Damit sind Erkenntnisse aus vor der Einleitung von Ermittlungsverfahren vorgenommenen internen Untersuchungen in keinem Fall mehr beschlagnahmefest.

Für nach Beginn eines Ermittlungsverfahrens vorgenommene interne Untersuchungen gilt Folgendes: Wird die interne Untersuchung durch den Verband selbst oder von einem Verteidiger vorgenommen, sind die Erkenntnisse hieraus nach §§ 148, 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO beschlagnahmefrei, unabhängig davon, ob sie sich beim Verteidiger oder beim Verband befinden. Erfolgt die interne Untersuchung nicht durch einen Verteidiger, sind die Unterlagen stets beschlagnahmefähig. Dies unabhängig davon, ob sich das Unternehmen entschließt, diese Erkenntnisse nach § 17 Abs. 1 Nr. 4 VerSanG-E mit den Ermittlungsbehörden zu teilen.

X. Sanktionsbescheid

Für Unternehmen besonders attraktiv dürfte die Möglichkeit der Verhängung eines „verbandssanktionsrechtlichen Strafbefehls“, nämlich des Sanktionsbescheids nach § 50 VerSanG-E, sein. Im Fall von durchgeführten Internal Investigations ist dieser bei Zustimmung des Verbands obligatorisch. Da in diesem Fall auch ein Naming and Shaming entfällt, können Unternehmen, die Internal Investigations durchführen, mangels öffentlicher Hauptverhandlung und öffentlicher Bekanntmachung ein Strafverfahren völlig an der Öffentlichkeit vorbei führen, zumindest solange die Ermittler mitspielen.

XI. Vergabesperre

Eine obligatorische Vergabesperre kann nach Anpassung des § 123 GWB nun auch folgen, wenn gegen das Unternehmen eine Sanktion nach dem VerSanG verhängt wurde. Der Straftatenkatalog des § 123 GWB bleibt dabei unberührt.

XII. Verhältnis zu Kartellverfahren

§ 42 VerSanG-E sieht vor, dass in Fällen, in denen sowohl eine Verbandstat als auch eine Kartellzuwiderhandlung stattfand, das Verbandssanktionenverfahren einzustellen ist, wenn die Kartellbehörde beabsichtigt, eine Kartellbuße gegen den Verband zu verhängen oder ein solches Verfahren einzustellen. Neu aufgenommen wurde, dass Gleiches auch für Ermittlungen der EU-Kommission gilt. Abweichend von der Grundregel des § 21 OWiG kommt insoweit dem Kartellverfahren ein Vorrang vor dem Verbandssanktionsverfahren zu.

Über die Folgen dieses Referentenentwurfs für Unternehmen und ihre Mitarbeiter wollen wir Sie in Kürze im Rahmen einer Webinar-Reihe unterrichten. Um eine Einladung hierfür zu erhalten, senden Sie bitte eine E-Mail an events@noerr.com.
 

Compliance & Interne Untersuchungen

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