News

Vergabe öffentlicher Aufträge in Bezug auf die Corona-Pandemie

02.04.2020

Die Europäische Kommission hat am 1. April 2020 Leitlinien zur Auslegung des europäischen Rechtsrahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge im Zusammenhang mit der durch COVID-19 verursachten Notsituation veröffentlicht (2020/C 108 I/01 – Leitlinien). Die Kommission erläutert darin Möglichkeiten zur Flexibilisierung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, die mit Blick auf die gegenwärtige Krise besonders eilbedürftig sind.

Die Kommission betont, dass die Leitlinien schwerpunktmäßig auf Beschaffung spezifisch medizinischer Ausrüstung wie beispielsweise „Gesichtsmasken und Schutzhandschuhe, Medizinprodukte (insbesondere Beatmungsgeräte)“ aber auch für Dienstleistungen wie „Krankenhaus- und IT-Infrastrukturen“ ausgerichtet sind. Die Leitlinien dienen gleichwohl allgemein der Erleichterung der Rechtsauslegung der europäischen Vergaberechtsrichtlinie (RL 2014/24/EU – VergabeRL) und sind in ihrem Anwendungsbereich nicht auf öffentliche Aufträge zur Bewältigung der COVID-19-Krise beschränkt.

Die Leitlinien dienen lediglich der Auslegung der bestehenden Verfahrensregeln. Eine Lockerung der Vorschriften für Vergabeverfahren sieht die Kommission nicht vor. Auf nationaler Ebene hat das BMWi bereits mit einem Rundschreiben vom 19. März 2020 zu den Umsetzungsvorschriften des GWB und der VgV entsprechende Erläuterungen veröffentlicht. Für Aufträge unterhalb der Schwellenwerte liegen mittlerweile Rundschreiben und Verwaltungsvorschriften einiger Bundesländer vor.

Instrumente zur beschleunigten Auftragsvergabe

Die Kommission erläutert in den Leitlinien im Wesentlichen die Möglichkeiten zur Verkürzung des offenen oder nichtoffenen Verfahrens in Fällen von Dringlichkeit sowie zur Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Auftragsveröffentlichung in Fällen äußerster Dringlichkeit. Die Ausführungen sind auf die im Wesentlichen gleichlautenden Vorschriften der nationalen Umsetzungsnormen übertragbar.

Verkürzte Fristen im offenen und nichtoffenen Verfahren

Die Kommission führt zunächst aus, dass in dringenden Fällen die VergabeRL eine erhebliche Verkürzung der Verfahrensfristen ermöglicht. Im Einzelnen weist die Kommission dabei auf folgendes hin:

    1. In offenen Verfahren kann die Frist für die Einreichung des Angebots von 35 Tagen auf 15 Tage ab Absendung der Auftragsbekanntmachung verkürzt werden.

    2. In nicht offenen Verfahren können die Fristen von mindestens 30 Tagen für die Einreichung des Teilnahmeantrags für den Eingang der Angebote auf 15 bzw. 10 Tage verkürzt werden.

Verhandlungsverfahren in Fällen äußerster Dringlichkeit

 

Zudem weist die Kommission auf das Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung (Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb) als Instrument zur schnellen Auftragsvergabe in äußerst dringlichen Fällen hin. Dabei betont die Kommission, dass dieses Verfahren vom europarechtlichen Transparenzgrundsatz abweicht und daher „weiterhin nur in Ausnahmefällen“ unter den eng auszulegenden Bedingungen des Art. 32 VergabeRL angewendet werden soll.

Ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Auftragsveröffentlichung ermöglicht eine direkte und formlose Kontaktaufnahme und Verhandlung des öffentlichen Auftraggebers mit potentiellen Auftragnehmern beispielsweise per Telefon oder E-Mail und erlaubt daher eine besonders schnelle Auftragsvergabe. Erforderlich ist

    1. zunächst ein Ereignis, welches „die betreffenden öffentlichen Auftraggeber nicht voraussehen konnten“; dieses Kriterium soll bei dringenden Beschaffungsvorgängen wegen der COVID-19-Krise vorliegen.

    2. Weiterhin muss „zwingende Dringlichkeit, die eine Einhaltung der allgemeinen Fristen nicht zulässt“ vorliegen. Dieses Kriterium ist auch im Kontext der COVID-19-Krise in jedem Einzelfall zu prüfen. Eine Berufung auf zwingende Dringlichkeit scheidet aus, wenn die Auftragsvergabe innerhalb der Fristen des beschleunigten offenen oder nichtoffenen Verfahrens möglich ist.

    3. Ferner ist ein „Kausalzusammenhang zwischen dem nicht voraussehbaren Ereignis und der zwingenden Dringlichkeit“ erforderlich. Nach den Ausführungen der Kommission besteht daran jedenfalls dann keine Zweifel, wenn es um die „Erfüllung des unmittelbaren Bedarfs der Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen“ in sehr kurzer Zeit geht.

    4. Schließlich betont die Kommission, dass es sich hierbei nur um Überbrückungsmaßnahmen handelt, „bis langfristigere Lösungen verfügbar sind“. Das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung ist insofern eine Möglichkeit zur angemessenen Deckung des „unmittelbaren“ Bedarfs. Langfristige Lösungen wie beispielsweise Rahmenverträge sollen über die regulären Vergabeverfahren einschließlich der beschleunigten Verfahren vergeben werden.

Die Leitlinien der Kommission stimmen im Übrigen im Wesentlichen mit den Ausführungen des BMWi im Rundschreiben vom 19. März 2020 überein (hier S. 2 ff.).

Fazit

Ob die Voraussetzungen für „Eilvergaben“ vorliegen ist immer im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, andernfalls laufen öffentliche Auftraggeber Gefahr, Bieterrechte zu Unrecht einzuschränken!

 

Corona Task Force
Regulierung & Governmental Affairs

Share