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Vergleichsverhandlungen 2.0

22.01.2021

Vergleichsverhandlungen im Rahmen von Kündigungsschutzklagen sind mittelbar von der Höhe des Annahmeverzugsrisikos des Arbeitgebers geprägt. Der Arbeitgeber trägt das Risiko, im Fall der Unwirksamkeit der Kündigung dem Arbeitnehmer die wegen vermeintlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gezahlte Vergütung als Annahmeverzugslohn leisten zu müssen. Anrechnen lassen müssen sich Arbeitnehmer allerdings realen oder böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienst. Letzteren darzulegen und zu beweisen, stellte Arbeitgeber bisher jedoch vor hohe Hürden. Das BAG hat mit seinem Urteil v. 27. Mai 2020 (5 AZR 387/19) nun die Spielregeln geändert und Arbeitgebern neue Verteidigungsmöglichkeiten eröffnet. Das wird auch erheblichen Einfluss auf Vergleichsverhandlungen haben.

Klage auf Annahmeverzugslohn und Widerklage auf Auskunft zur Vorbereitung der Anrechnung

Die Ausgangssituation des kürzlich vom BAG entschiedenen Falles ist nicht ungewöhnlich: Der Arbeitgeber sprach gegenüber einem Arbeitnehmer mehrere Kündigungen aus, u.a. eine außerordentliche fristlose Kündigung. Gleichzeitig stellte er auch die Zahlung der Vergütung ein. Der Arbeitnehmer wehrte sich gegen diese Kündigungen. Der Kündigungsschutzprozess dauerte circa zwei Jahre. Letztlich wurde festgestellt, dass die Kündigungen keinen Bestand hatten und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht wirksam beendet worden ist. Der Arbeitnehmer erhob danach Klage auf Zahlung von Annahmeverzugslohn für den Zeitraum zwischen dem vermeintlichen Beendigungstermin des Arbeitsverhältnisses und der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung.

Der Arbeitgeber wandte dagegen ein, der Arbeitnehmer habe es böswillig unterlassen, anderweitig Verdienst zu erzielen und müsse sich den Betrag, den er hätte erzielen können, auf den Annahmeverzugslohn anrechnen lassen. Gleichzeitig erhob er Widerklage und beantragte, den Arbeitnehmer zu verurteilen, ihm Auskunft zu erteilen, welche Arbeitsplatzangebote dem Arbeitnehmer durch die Agentur für Arbeit und das Jobcenter unterbreitet wurden. Dabei sollten die angebotene Tätigkeit, die Arbeitszeit, der Arbeitsort und die Höhe der Vergütung genannt werden.

BAG bejaht Auskunftsanspruch des Arbeitgebers

Der 5. Senat des BAG hat den Arbeitnehmer verurteilt, dem Arbeitgeber mitzuteilen, welche Arbeitsplatzangebote er von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter zu welchen Konditionen erhalten hat. Sofern keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Arbeitnehmer unvermittelbar oder die Arbeitsagentur ihren Pflichten nicht nachgekommen ist, sei es - so das BAG - naheliegend, dass der Arbeitnehmer nur böswillig keine der Vermittlungsvorschläge angenommen habe und somit auch eine Anrechnung böswillig unterlassenen Verdienstes erfolgen muss.

Allein die Kenntnis der an den Arbeitnehmer unterbreiteten Vermittlungsvorschläge begründe zwar nicht bereits den Einwand böswilligen Unterlassens anderweitiger zumutbarer Arbeit. Der Arbeitgeber habe vielmehr noch mittels der erlangten Auskünfte seinen Vortrag zu substantiieren. An diesem Punkt hilft dem Arbeitgeber aber die abgestufte Darlegungs- und Beweislast: Kann der Arbeitgeber Indizien für ein böswilliges Unterlassen darlegen und ggf. beweisen (nicht das böswillige Unterlassen selbst), ist es Sache des Arbeitnehmers, diese Indizien zu widerlegen. Der 5. Senat des BAG stellt in diesem Zusammenhang fest, dass es – anders als nach der bisherigen Rechtsprechung – z.B. ein Indiz für die Böswilligkeit des Unterlassens darstellt, wenn der Arbeitnehmer sich nicht arbeitssuchend meldet. Der 9. Senat des BAG (Urteil v. 16. Mai 2000 (Az.: 9 AZR 203/99)) hatte dies vor 20 Jahren noch anders gesehen und keine Folgen hieran knüpfen wollen. Die neue Rechtsprechung des 5. Senats ändert die Spielregeln. Der Arbeitnehmer wird z.B. darlegen müssen, warum er sich nicht beworben hat oder warum erfolgte Bewerbungen nicht erfolgreich waren.

Vorteile und Handlungsoptionen für Arbeitgeber

Arbeitnehmer können nach Erhalt einer Kündigung also nicht mehr entspannt den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses abwarten. Das BAG hat die Aussichten auf ungeschmälerten Annahmeverzugslohn deutlich verringert. Das hat auch Auswirkungen auf Vergleichsgespräche: Die Vergleichsbereitschaft von Arbeitnehmern dürfte erheblich steigen.

Das gilt umso mehr, als Arbeitnehmer laut dem 5. Senat ausdrücklich zur Mitarbeit an der Vermeidung von Arbeitslosigkeit verpflichtet sind. Das eröffnet für Arbeitgeber - über die bloße Frage nach den Vermittlungsvorschlägen der Agentur für Arbeit hinaus - die Chance, zur Reduzierung des Annahmeverzugsrisikos selbst als „Arbeitsvermittler“ tätig zu werden. Schon der 9. Senat des BAG hatte in seinem Urteil v. 16. Mai 2000 (Az.: 9 AZR 203/99) darauf hingewiesen, der Arbeitgeber könne den Arbeitnehmer über konkrete Stellenangebote anderer Unternehmen informieren und ihn damit unter „Zugzwang“ setzen.

Arbeitgeber sollten daher im Falle eines Streits über die Wirksamkeit einer Kündigung den Arbeitnehmer zunächst unmittelbar nach (vermeintlicher) Beendigung des Arbeitsverhältnisses auffordern, offenzulegen, ob er eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Hilfsweise sollte erfragt werden, ob er sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat und welche Vermittlungsvorschläge zu welchen Konditionen unterbreitet wurden. Zur weiteren Risikominimierung können dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber auch zusätzlich Stellenangebote bei anderen Unternehmen mitgeteilt werden, die z.B. aus öffentlichen Stellenbörsen bekannt sind. Letzteres gilt allerdings auch bei Freistellungen während des Arbeitsverhältnisses und durch sie bedingtem Annahmeverzug.

Erteilt der Arbeitnehmer die angefragten Auskünfte nicht, steht es Arbeitgebern offen, mit Verweis auf den Auskunftsanspruch zunächst den Annahmeverzugslohn einzubehalten und/oder die Auskünfte zusätzlich selbständig oder widerklagend gerichtlich geltend zu machen.

Fazit

Die neue Rechtsprechung des BAG räumt dem Arbeitgeber im Prozess um Annahmeverzugslohn und damit mittelbar auch in Kündigungsschutzprozessen neue Verteidigungsmöglichkeiten ein, die sein wirtschaftliches Risiko deutlich minimieren und seine Aussichten auf einen wirtschaftlich sinnvollen Vergleich deutlich steigern können. Diese Chancen sollten von Unternehmen genutzt und mit weiteren Risikominimierungsstrategien kombiniert werden. So sollte z.B. auch bei außerordentlichen Kündigungen eine vorsorgliche Urlaubsgewährung erfolgen.

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