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Chinesische Investoren am deutschen Markt für öffentliche Übernahmen

11.02.2015

In den vergangenen Jahren spielten chinesische Investoren als Teilnehmer am deutschen Markt für die Übernahme börsennotierter Gesellschaften eine zunehmend wichtigere Rolle. Dr. Laurenz Wieneke und Dr. Stephan Schulz, beide Aktien- und Kapitalmarktrechtler bei der Noerr LLP, haben die rechtlichen Strukturen der Public M&A-Transaktionen mit chinesischer Beteiligung in den Jahren 2011 bis 2013 in einem kürzlich erschienenen Handbuchbeitrag untersucht. Sie kommen insgesamt zu einer positiven Bewertung der untersuchten Transaktionen: „Chinesische Unternehmen treten am deutschen Markt für öffentliche Übernahmen als strategische Investoren mit großer Finanzkraft auf. Fälle, in denen der Einstieg der chinesischen Investoren gegen den Willen des Managements der Zielgesellschaft erfolgte (sog. feindliche Übernahmen), konnten wir nicht entdecken.“, erläutert Dr. Stephan Schulz.

Planen chinesische Unternehmen den Erwerb einer Beteiligung an einer deutschen börsennotierten Gesellschaft, müssen sie sich mit den Vorgaben des deutschen Aktien- und Kapitalmarktrechts vertraut machen. Dr. Laurenz Wieneke erklärt: „Das Aktien- und Kapitalmarktrecht prägt bei öffentlichen Übernahmen sämtliche Phasen der Transaktion, von der Vorbereitungsphase, über die Verhandlungs- und Umsetzungsphase bis hin zur Post-Closing-Phase. Daraus resultieren erhebliche Unterschiede im Vergleich zu privaten M&A Transaktionen.

Besondere Bedeutung hat das im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) geregelte Angebotsverfahren. Jeder Investor, der den Erwerb von mindestens 30% der Stimmrechte an einer börsennotierten Gesellschaft anstrebt oder die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt hat, muss ein an alle Aktionäre der Zielgesellschaft gerichtetes Übernahme- oder Pflichtangebot abgeben, für das insbesondere Mindestpreisvorschriften gelten. Die Einhaltung dieser Vorgaben wird durch die Bundesanstalt von Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) überwacht. Die BaFin muss die Angebotsunterlage, in der die Einzelheiten des Angebots geregelt werden, vor ihrer Veröffentlichung billigen.

Einige der Besonderheiten von Public M&A-Transaktionen, die für chinesische Investoren von besonderer Bedeutung sein können, seien im Folgenden angesprochen:

  • Dem Bieter wird es weder durch den Abschluss von Aktienkaufverträgen mit Großaktionären noch durch ein Übernahme- oder Pflichtangebot gelingen, sämtliche Aktien der Zielgesellschaft zu erwerben. Daher ist bereits bei der Transaktionsstrukturierung zu bedenken, dass der Ausschluss von Minderheitsaktionären (sog. Squeeze-out) erforderlich werden kann, wenn der Investor den Erwerb von 100% der Aktien anstrebt. Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich eine Bietergesellschaft in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft oder societas europeae (SE), da der Ausschluss hiermit bereits ab einer Beteiligungsquote von 90% realisiert werden kann. In jeder anderen Rechtsform ist ein Squeeze-out erst ab einer Beteiligungsquote von 95% möglich.

  • Im Vorfeld öffentlicher Übernahmen sind Due Diligence-Prüfungen durch den Bieter möglich und üblich. Allerdings muss sich der Bieter dazu an die Zielgesellschaft wenden, weil veräußerungswillige Aktionäre meist keinen Zugriff auf die erforderlichen Informationen haben. Der Vorstand des Zielunternehmens muss die Due Diligence Prüfung nicht zulassen, da er nur dem Unternehmensinteresse verpflichtet ist und weisungsfrei handelt. Er wird es aber regelmäßig tun, wenn die Transaktion nach seiner Einschätzung im Unternehmensinteresse liegt und die Vertraulichkeit der weitergegebenen Informationen gewahrt werden kann.

  • Der Bieter muss die verschiedenen kapitalmarktrechtlichen Veröffentlichungspflichten beachten. So hat der Bieter den Abschluss von Aktienkaufverträgen oder Irrevocable Undertakings (verbindlichenZusagen von Aktionären, das Angebot anzunehmen) zu veröffentlichen, wenn auf die zu erwerbenden Aktien mehr als 5 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft entfallen. Derartige Veröffentlichungen können Spekulationen auf eine anstehende Übernahme auslösen, durch die sich der im Rahmen des Angebots zu zahlende Mindestpreis für die Aktien der Gesellschaft erhöhen kann (eingehend hier im nächsten Absatz). Die Abgabe eines sog. befreienden Übernahmeangebots zeitgleich mit dem Abschluss der Vereinbarung kann diesen Effekt verhindern. Die zeitliche Abstimmung des Abschlusses der Vereinbarungen über Aktienerwerbe, der Pflichtveröffentlichungen und der Abgabe des Angebots ist daher von großer Bedeutung.

  • Der börsliche oder außerbörsliche Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft vor oder während der Annahmefrist oder auch nach ihrem Ablauf kann Auswirkungen auf die Mindesthöhe der Gegenleistung haben, die der Investor den Aktionären im Rahmen des Übernahme- oder Pflichtangebots anbieten muss. Maßgeblich für die Höhe der Mindestgegenleistung ist grundsätzlich der gewichtete durchschnittliche inländische Börsenkurs während der drei Monate vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots (bei Übernahmeangeboten) bzw. vor der Veröffentlichung der Kontrollerlangung (bei Pflichtangeboten). Darüber hinaus können Vor-, Parallel- und Nacherwerbe Auswirkungen auf den Angebotspreis haben bzw. Nachzahlungspflichten begründen:
    • Der Angebotspreis muss mindestens dem Wert der höchsten innerhalb des Zeitraums von sechs Monaten vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage für den Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft gewährten oder vereinbarten Gegenleistung entsprechen (sog. Vorerwerbe).
    • Werden nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage und vor der Veröffentlichung über den Ablauf der Annahmefrist Aktien der Zielgesellschaft zu einer Gegenleistung erworben, die höher ist als der Angebotspreis, erhöht sich der Angebotspreis um den Differenzbetrag (sog. Parallelerwerbe).
    • Werden innerhalb eines Jahres nach der Veröffentlichung über den Ablauf der Annahmefrist außerbörslich Aktien der Zielgesellschaft zu einer höheren Gegenleistung als dem – ggf. um die Auswirkungen von Parallelerwerben angepassten – Angebotspreis, schuldet der Bieter den Inhabern der Aktien, für die das Angebot angenommen wurde, eine Geldzahlung in Höhe des Differenzbetrags (sog. Nacherwerbe). Erwirbt der Bieter hingegen börslich Aktien zu einem höheren Preis, hat dies keine Auswirkungen.
       
  • Der Bieter muss eine Angebotsunterlage erstellen und veröffentlichen, in der den Aktionären alle erforderlichen Informationen über das Angebot und den Bieter zur Verfügung gestellt werden. Für die Gestaltung der Angebotsunterlage hat sich mittlerweile ein Marktstandard entwickelt. Einige der Punkte, die in der Angebotsunterlage behandelt werden müssen, sind für chinesische Bieter unter Umständen mit Schwierigkeiten verbunden:
    • In der Angebotsunterlage sind sämtliche mit dem Bieter „gemeinsam handelnde Personen“ namentlich zu benennen. Als gemeinsam handelnde Personen gelten unter anderem die den Bieter kontrollierenden Personen und deren Tochterunternehmen. In einem Fall hat dieses Erfordernis dazu geführt, dass ein chinesisches Unternehmen im mittelbaren Staatseigentum sämtliche von der Volksrepublik China kontrollierte Unternehmen in ihrer Angebotsunterlage angeben musste. Die Erstellung der Angebotsunterlage kann in diesen Fällen sehr umfangreich werden.
    • Ferner muss die Angebotsunterlage die erwarteten Auswirkungen eines erfolgreichen Angebots auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Bieters und – soweit die Bietergesellschaft einem Konzern angehört – des Konzerns darstellen. Dieses Erfordernis kann für das Rechnungswesen des Bieters aufwendig zu erfüllen sein, insbesondere wenn Zielgesellschaft (IFRS) und der Konzern des Bieters (China GAAP) unterschiedliche Rechnungslegungsstandards verwenden.
    • Spätestens zur Billigung der Angebotsunterlage durch die BaFin muss eine Finanzierungsbestätigung eines unabhängigen Wertpapierdienstleistungsunternehmens (aus Deutschland oder einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums) vorliegen. Darin erklärt das bestätigende Unternehmen (typischerweise eine Bank), dass der Bieter die notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zum Zeitpunkt der Abwicklung des Angebots (Settlement) zur Verfügung stehen. Dabei muss grundsätzlich unterstellt werden, dass das Angebot für alle nicht vom Bieter gehaltenen Aktien angenommen wird (unterstellte Annahmequote von 100%). In der Praxis verlangen Banken für die Abgabe einer Finanzierungsbestätigung, dass der erforderliche Betrag auf einem bei ihnen geführten Sonderkonto hinterlegt worden ist. Eine Bank wird ferner auch dann zur Abgabe der Finanzierungsbestätigung bereit sein, wenn sie mit dem Bieter einen Darlehensvertrag geschlossen hat und die Erfüllung der Auszahlungsvoraussetzungen sichergestellt ist.
       
  • Die Nutzung der finanziellen Ressourcen der Zielgesellschaft zur Finanzierung des Angebots (in Form von Darlehens- oder Sicherheitengewährungen der Zielgesellschaft an den Investor) ist rechtlich und praktisch nicht möglich. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Verbot der finanziellen Unterstützung des Erwerbs von Aktien der Gesellschaft (§ 71a AktG) und der – oben bereits abgesprochenen – Unabhängigkeit des Vorstands einer deutschen AG (§ 76 AktG).

Eine eingehende Auseinandersetzung mit den Rechtsfragen der öffentlichen Übernahme deutscher börsennotierter Unternehmen durch chinesische Investoren findet sich bei Wieneke/Schulz, Strukturierungsfragen beim Erwerb der Kontrolle über deutsche börsennotierte Unternehmen durch chinesische Investoren, in: Bu (Hrsg.), Chinesische Outbound-Investitionen in Deutschland - Rechtlicher Rahmen, Fälle und Analysen, 2014, Seite 109 – 140. Wenn Sie Fragen zum oben stehenden Beitrag haben oder weitere Informationen wünschen, kontaktieren Sie gerne die Autoren Dr. Stephan Schulz und Dr. Laurenz Wieneke, LL.M.

Die Informationen in diesem Beitrag sind allgemeiner Art und stellen keine Rechtsberatung im Einzelfall dar. Sie beziehen sich auf bei der Veröffentlichung geltende Rechtslage und werden nicht regelmäßig aktualisiert.