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Knapp zwei Jahre Vertikal-GVO und Sonstiges aus der Welt des Vertriebs­kartellrechts

17.01.2024

Obgleich schon bald zwei Jahre alt, sorgt die im Mai 2022 aktualisierte Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen („Vertikal-GVO“) nebst zugehörigen Leitlinien nach wie vor für Themen im Vertriebskartellrecht. Vertikale Vereinbarungen zwischen Unternehmen auf verschiedenen Stufen der Produktions- oder Vertriebskette werden unter den Voraussetzungen der Vertikal-GVO vom Kartellverbot freigestellt (Safe Harbour). Vor allem die Neuerungen in den Bereichen Online-Vertrieb, Online-Handelsplattformen und Hybrid-Plattformen sowie der Informationsaustausch im dualen Vertrieb rufen einen besonderen Beratungsbedarf in der Praxis hervor, dazu bereits unser Competition Outlook 2023. Wir erwarten, dass dies auch 2024 die Schwerpunkte bleiben. Obgleich Vertikal-GVO und Vertikal-Leitlinien zu den genannten Themen im Vergleich zu den nicht mehr geltenden Vorgängerfassungen bereits hilfreiche Klarstellungen enthalten, existieren einige nicht auf den ersten Blick ersichtliche Fallstricke, die schnell zu einem Kartellrechtsverstoß führen können und die es daher zu meiden gilt. Allerdings eröffnen sich auch Spielräume, die bei der Ausgestaltung eines Vertriebsmodells genutzt werden können oder sollten.

Daneben ist die „Super Bock Entscheidung“ (Rechtssache C-211/22) des Europäischen Gerichtshofs  vom 29.06.2023 hervorzuheben (siehe bereits unseren Beitrag auf Noerr News). In dem Verfahren ging es um die Frage, ob die Festsetzung eines Mindestpreises durch einen Lieferanten für den Weiterverkauf durch seine Abnehmer stets als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung anzusehen ist. Eine derartige Preisvorgabe gilt jedenfalls als Kernbeschränkung im Sinne der Vertikal-GVO, so dass eine solche Vereinbarung vom Safe Harbour der Gruppenfreistellung ausgenommen und im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt wird.

Der Europäische Gerichtshof hat klargestellt, dass die Kategorie der „Kernbeschränkung“ nicht mit der Kategorie der „bezweckten“ Wettbewerbsbeschränkung gleichgesetzt werden kann. Handelt es sich bei einer Vereinbarung um eine bezweckte Beschränkung, muss eine Wettbewerbsbehörde nachteilige Auswirkungen auf den Markt nicht mehr prüfen und nachweisen, um einen Verstoß gegen das Kartellverbot festzustellen. Dadurch wird der Ermittlungsaufwand für die Wettbewerbsbehörden erheblich reduziert. Allerdings ist dies laut Europäischem Gerichtshof nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt. Allein die Tatsache, dass eine Vereinbarung eine Kernbeschränkung darstellt, entbindet die Wettbewerbsbehörde nicht von ihrer Pflicht, einen Verstoß gegen das EU-Wettbewerbsrecht nachzuweisen. Die Wettbewerbsbehörde muss die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigen, um eine bezweckte Beschränkung annehmen zu können. Zwar lässt sich festhalten, dass mit dieser Entscheidung der Begründungsaufwand für die Behörden gestiegen ist. Allerdings sollte die Entscheidung nicht als Freifahrtschein für vertikale Preisbindungen gesehen werden, deren Verfolgung für viele Wettbewerbsbehörden eine Priorität ist und voraussichtlich auch bleiben wird.

 

Dieser Artikel ist Teil des Competition Outlook 2024. Alle Artikel des Competition Outlooks finden Sie hier.