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Entwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes (ZuFinG) – Zentrale aktienrechtliche Neuerungen

26.04.2023

Am 12. April 2023 haben das Bundesministerium der Finanzen und das Bundesministerium der Justiz den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG) veröffentlicht.

Kernanliegen des ZuFinG ist es, den Kapitalmarktstandort Deutschland im internationalen Vergleich zu stärken: Aktien sollen als Kapitalanlage sowohl durch Anreize auf Nachfrageseite als auch durch Stärkung der Angebotsseite im Wege der Erhöhung der Anzahl börsennotierter Unternehmen attraktiver werden. Insbesondere Start-ups, Wachstumsunternehmen sowie kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) als Treibern von Innovation soll der Zugang zum Kapitalmarkt und die Aufnahme von Eigenkapital erleichtert werden.

Zentrale – insgesamt begrüßenswerte – Neuerungen soll es daher im Aktienrecht geben: Die Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien (hierzu unter A.) und eine Trias von Regelungen zur Flexibilisierung der Eigenkapitalfinanzierung durch Kapitalmaßnahmen (hierzu unter B. bis D.).

Weitere wichtige Vorschläge betreffen die Einführung elektronischer Aktien im eWpG, börsenrechtliche Erleichterungen für IPOs und insbesondere für SPACs sowie kapitalmarkt- und übernahmerechtliche Erleichterungen und flankierende steuerliche Erleichterungen für Mitarbeiterbeteiligungsprogramme (hierzu Beitrag „Entwurf des ZuFinG – Erleichterungen für Mitarbeiterbeteiligungsprogramme“ von Andre Happel und Martin Haisch). Für Immobilienfonds bedeutsame Änderungsvorschläge sind auch für das KAGB vorgesehen (hierzu Beitrag „Neue Chancen für Immobilienfonds“ von Martin Haisch, Christoph Hons und Anette Pospich).

Das Zukunftsfinanzierungsgesetz soll noch in der ersten Hälfte der laufenden Legislaturperiode, d. h. bis spätestens Oktober 2023, in Kraft treten. Mit einem Regierungsentwurf könnte also noch vor der Sommerpause zu rechnen sein.

A. Einführung von Mehrstimmrechtsaktien
– Erhöhung der Attraktivität der AG als Kapitalmarktvehikel

Die Wiederzulassung von Mehrstimmrechtsaktien ist bereits im Koalitionsvertrag vorgesehen und ist auch im Kontext eines Entwurfs einer Mehrstimmrechtsaktien-RL als Teil des EU Listing Acts zu lesen. Sie steht im Zentrum des Anliegens, Start-ups und KMUs den Zugang zum Kapitalmarkt zu erleichtern. Denn nach Einschätzung der Entwurfsverfasser stünden der Entscheidung zugunsten einer Kapitalmarktfinanzierung oft Sorgen über den Verlust von Einfluss und der Kontrolle über die strategische Ausrichtung entgegen. Mehrstimmrechte sollen insofern eine sorgenfreiere Eigenkapitalaufnahme am Kapitalmarkt ermöglichen.

Der Gesetzgeber verweist auf die lange währende rechtspolitische Debatte über Mehrstimmrechtsaktien nach ihrer Abschaffung im Rahmen des KonTraG 1998 und beruft sich für seinen Vorschlag zum einen auf wahrgenommenen Bedarf bei Wachstumsunternehmen. Zum anderen verweist er auf Erfahrungen aus dem Ausland, die zeigten, dass an Kapitalmärkten keine allgemeine Korrelation von Kapitaleinsatz und Stimmrecht erwartet werde.

Die Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien erfolgt durch Aufhebung des bisherigen Verbots in § 12 Abs. 2 AktG zugunsten eines engen Regulierungsrahmens in einem neuen § 134 Abs. 2 AktG-E, der vom Gedanken des Anleger- und Minderheitenschutzes getragen ist. Wesentliche Parameter für Mehrstimmrechtsaktien sind:

  • Schaffung unabhängig von Börsennotierung: Die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien dient zwar der Erleichterung des Wegs an die Börse, ist aber nicht hiervon abhängig.
  • Namensaktien: Mehrstimmrechte sollen nur für Namensaktien zulässig sein.
  • Schaffung durch Einstimmigkeit: Mehrstimmrechte können bei Gründung der AG oder durch Satzungsänderung geschaffen werden. Es ist stets die Zustimmung aller betroffenen Aktionäre, d.h. Einstimmigkeit erforderlich. Dies gilt auch bei der Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung. Eine Ausgabe im Wege des genehmigten Kapitals ist nicht möglich.
  • Begrenzte Mehrstimmkraft: Die Stimmkraft von Mehrstimmrechtsaktien wird auf maximal des Zehnfache des Stimmrechts der Nicht-Mehrstimmrechtsaktien begrenzt. Dies soll sicherstellen, dass die Inhaber der Mehrstimmrechte für die Kontrolle zumindest einen relevanten Anteil am Grundkapital halten müssen.
  • Zeitliche Begrenzung der Mehrstimmkraft: Mehrstimmrechte sollen auf den Zeitraum von zehn Jahren nach dem Börsengang befristet werden, allerdings mit der Möglichkeit einer Verlängerung um bis zu weiteren zehn Jahren per Hauptversammlungsbeschluss, und anschließend ipso iure erlöschen (sog. sunset clause).
  • Anlassbezogene Beendigung der Mehrstimmkraft: Zudem ist eine anlassbezogene Beendigung der Mehrstimmrechte bei Übertragung der Mehrstimmrechtsaktien nach dem Börsengang vorgesehen.

Ergänzt wird der Regelungsrahmen durch technische Folgeänderungen in § 129 Abs. 1 Satz 2 AktG zu den Angaben im Teilnehmerverzeichnis der Hauptversammlung und in § 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AktG zur Feststellung über die Beschlussfassung in börsennotierten Gesellschaften. Wichtig ist, dass Transparenz über Mehrstimmrechtsaktien für börsennotierte Gesellschaften über eine marginale Ergänzung von § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG herbeigeführt werden soll.

Aus Sicht der Unternehmenspraxis ist die Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien zu begrüßen: Mit dem Konzept punktueller Deregulierung des starren Aktienrechts schafft der RefE neue Gestaltungsoptionen. Dies gilt für Unternehmen an der Schwelle zum Kapitalmarkt, aber auch für solche, die nicht an die Börse streben. Allein für bereits börsennotierte Gesellschaften kommt die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien aufgrund des Einstimmigkeitserfordernisses de facto nicht in Betracht.

Insbesondere für Start-ups und KMUs wird die Rechtsform der AG deutlich attraktiver: Musste bisher die Möglichkeit flexibler Ausgestaltung des Stimmrechtseinflusses in der bis dato für Wachstumsunternehmen präferierten GmbH gegen die IPO Readiness in der Rechtsform der AG/SE eingetauscht werden, heißt es fortan nicht mehr „entweder oder“, sondern: „sowohl als auch“! Bereits als GmbH gegründete Wachstumsunternehmen profitieren davon, dass etwaige Regelungen zur Stimmkraft auch im Falle einer Umwandlung erhalten bleiben können – die umständliche Neugründung einer AG ist mithin nicht erforderlich.

Ob sich die AG mit Mehrstimmrechten bei Wachstumsunternehmen durchsetzt, hängt auch davon ab, ob Mehrstimmrechte trotz ausdrücklich unveränderter qualifizierter Kapitalmehrheiten für Grundlagenentscheidungen als Instrument der Einflusssicherung angenommen werden. Es bleibt auch abzuwarten, ob Gründer die Möglichkeit der Einflusssicherung höher bewerten als die Fungibilität am Kapitalmarkt und wie der europäische Kapitalmarkt die Mehrstimmrechte als wertbildenden Faktor einpreist. Dabei dürfte auch eine Rolle spielen, ob die Mehrstimmrechte tatsächlich zum legitimen Gründer- und Innovatoren-Schutz verwendet werden, oder ob Mehrstimmrechte – wie zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts – aus politisch fragwürdigen Motiven eines „Überfremdungsschutzes“ gegen ausländisches Kapital oder bestimmte Investoren zweckentfremdet werden.

Schließlich kommen auf die Kautelarpraxis neue Herausforderungen zu: Bisher bekannte Instrumente der Einflusssicherung in Shareholder-, Investment- bzw. Business Combination Agreements dürften im Hinblick auf einen IPO zukünftig anders aussehen. Gründer sind zur Sicherung ihres Einflusses bei Börsennotierung fortan nicht mehr auf schuldrechtliche Instrumente (z.B. Stimmbindungen) und ein entsprechendes Durchsetzungsrisiko angewiesen, sondern können fortan gesellschaftsrechtlich auf Mehrstimmrechte bauen. Darüber hinaus sollte bedacht werden, dass die Fungibilität der Anteile und mithin ein ggf. auch nur partieller Verkauf (auch über den Kapitalmarkt) mit dem Verlust der betreffenden Mehrstimmrechte bezahlt wird; dies dürfte jedenfalls für die Bewertung bei Exit-Optionen relevant werden.

B. Flexibilisierung der Eigenkapitalfinanzierung I
– Erweiterung des erleichterten Bezugsrechtsausschluss beim genehmigten Kapital

Für den vereinfachten Bezugsrechtsausschluss im Rahmen des genehmigten Kapitals soll die Grenze von bisher 10 % des Grundkapitals auf 20 % angehoben werden.

Auch diesem Vorschlag unterliegt der Tenor des ZuFinG, wonach insbesondere Start-Ups und Wachstumsunternehmen die Eigenkapitalaufnahme erleichtert werden soll, da diese häufig wegen der langen Entwicklungszeiten bis zur Produktreife und profitablen Skalierung außerordentlich kapitalintensiv und damit auf flexible Kapitalinstrumente angewiesen seien. Altaktionäre sollen wirtschaftlich weiterhin durch Bindung des Ausgabebetrags an den Börsenkurs und die damit verbundene Möglichkeit von börslichen Nachkäufen geschützt sein. Flankierend tritt im Falle zu niedriger Preisfestsetzung künftig der Anspruch auf bare Ausgleichszahlung nach § 255 Abs. 3-6 AktG-E hinzu (hierzu unter D.).

Aus Sicht der Unternehmenspraxis ist dieser Vorschlag zu begrüßen, und zwar nicht nur für die Start-up-Branche. Er erhöht die Finanzierungsflexibilität und Kosteneffizienz, insbesondere aufgrund der damit einhergehenden Akkordierung mit dem europäischen Prospektrecht: Bis zur Schwelle von 20 % können fortan Aktien mit erleichtertem Bezugsrechtsausschluss ausgegeben und binnen 12 Kalendermonaten prospektfrei zum Handel zugelassen werden. Den ersten Markttest wird die Regelung in der Hauptversammlungssaison gegenüber den Stimmrechtsberatern zu bestehen haben. Es bleibt abzuwarten, ob entsprechende Vorschläge zur Satzungsänderung ihre Gefolgschaft finden. Die 20 %-Schwelle für den Bezugsrechtausschluss ist zwar sogar von ihnen geforderte Praxis, bisher als Begrenzung des Bezugsrechtsausschlusses insgesamt, noch ungetestet allerdings als Erweiterung des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses.

Mit der erhöhten Flexibilität für Vorstände geht auch eine höhere Verantwortung einher, von der Ermächtigung mit gebotener Sorgfalt Gebrauch zu machen und sachlich zu begründen. Dies gilt vor allem für Barkapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss zugunsten von Altaktionären oder falls eine Kapitalmaßnahme mit vereinfachtem Bezugsrechtsausschluss in den Verdacht geraten könnte, von der Abwehr einer Übernahme motiviert zu sein.

C. Flexibilisierung der Eigenkapitalfinanzierung II
– Erhöhung der Schwellenwerte des bedingten Kapitals für Mitarbeiterbeteiligungen und Unternehmenszusammenschlüsse

Das ZuFinG schlägt eine generelle Erhöhung des Schwellenwerts für das bedingte Kapital auf 60 % vor, mit der insbesondere dessen Einsatz zu Unternehmenszusammenschlüssen gestärkt werden soll. Ferner soll die Schwelle für Bezugsrechte von Arbeitnehmern und Mitgliedern der Geschäftsführung von 10 % auf 20 % verdoppelt werden. Allein für die Bedienung von Umtausch- oder Bezugsrechten auf Grund von Wandelschuldverschreibungen soll die Schwelle bei den bisherigen 50 % bleiben.

Dieser Regelungsvorschlag ist aus Sicht der Unternehmenspraxis zu begrüßen. Es wird die Finanzierungsflexibilität der AG, die mit genehmigtem und bedingtem Kapital bisher bei 100 % des Grundkapitals gedeckelt war, in begrüßenswerter Weise über diese Grenze hinaus erweitert. Wichtiger als die Erhöhung der Schwelle für die Zwecke des Unternehmenszusammenschlusses wäre für die Praxis allerdings diejenige für Wandelschuldverschreibungen gewesen; letztere spielen als Akquisitionswährung eine größere Rolle als ersterer. Begrüßenswert ist die – in der Tat für Wachstumsunternehmen relevante – Flexibilisierung bei der aktienbasierten Vergütung von Mitarbeitern und Unternehmensleitung.

D. Flexibilisierung der Eigenkapitalfinanzierung III
– Verweisung von Streitigkeiten über Angemessenheit des Ausgabebetrags ins Spruchverfahren (§ 255 AktG)

Das ZuFinG schlägt eine weittragende Neukonzeption des Wertverwässerungsschutzes in § 255 AktG vor. An die Stelle der bisherigen Anfechtungslösung in § 255 Abs. 2 AktG soll eine Ausgleichslösung treten, wenn der Ausgabebetrag nicht nur unerheblich unter dem „wahren Wert“ der neuen Aktie liegt, und Bewertungsrügen ins Spruchverfahren verwiesen werden (§ 255 Abs. 2-6 AktG-E). Diese Ausgleichslösung soll auch bei Nutzung des genehmigten Kapitals gelten. Bei börsennotierten Gesellschaften soll der Unternehmenswert dabei, angelehnt an die Delisting-Regelung in § 39 Abs. 3 Satz 3 und 4 BörsG, anhand des durchschnittlichen Börsenkurses bemessen werden.

Aus Sicht der Unternehmenspraxis ist dieser Vorschlag uneingeschränkt zu begrüßen: Erstens würde hiermit, nachdem bereits das Freigabeverfahren Obstruktionen gegen Sachkapitalerhöhungen erfolgreich die Grenzen aufzeigte, endlich auch das Verzögerungspotential in einem zentralen Aspekt weiter eingedämmt. Es ist auch in diesem Kontext sachgerecht, Bewertungsrügen in ein spezielles Verfahren zu verweisen. Zweitens schafft die Maßgeblichkeit des Durchschnittsbörsenkurses, der insofern für börsennotierte Gesellschaften als „wahrer Wert“ gilt, Bewertungs- und Rechtssicherheit. Und drittens schließlich werden Gesellschaften dadurch entlastet, dass sie zwar Schuldner des Ausgleichsanspruchs wären, wirtschaftlich über Freistellungs- und Erstattungsansprüche aber der eintretende Aktionär belastet werden soll.