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ESG-Litigation – Prozessrisiken frühzeitig strategisch angehen

19.06.2023

Aktivisten, Shareholder und andere Akteure setzen Unternehmen in Deutschland, Europa und global durch Prozesse im Bereich ESG (Environmental, Social, Governance) zunehmend unter Druck. Mit der richtigen Strategie kann es den Unternehmen gelingen, sich gegen solche ESG-Klagen erfolgreich zu verteidigen. Daher sollten Unternehmen neben der Prävention (Stichwort: Compliance) frühzeitig auch mögliche Prozessrisiken berücksichtigen und Prozessanwältinnen und Prozessanwälte in die strategische Planung einbinden.

Da besonders im Bereich ESG mit Klageverfahren stets die Gefahr negativer Presse einhergeht, wird es in diesen Fällen zudem häufig sinnvoll sein, eng mit unternehmenseigenen und/oder externen PR-Experten zusammenzuarbeiten.

I. ESG-Prozesse – ein (zunehmend) ernstzunehmendes Phänomen

Immer häufiger geht es nicht mehr nur um die Durchsetzung vertraglicher oder außervertraglicher Ansprüche in einem Zwei-Personen-Verhältnis. Vielmehr wird zunehmend die ökologische und soziale Verantwortung der Unternehmen zum Gegenstand zivilrechtlicher Verfahren gemacht (sog. Private Enforcement), wobei die von den Klageparteien begehrten Rechtsfolgen immer drastischer werden.

  • Im Fall des peruanischen Bergbauern Lliuya gegen den Energiekonzern RWE ist die Klage (nur) auf eine anteilige Kostenübernahme von Schutzmaßnahmen gerichtet, die aufgrund des Klimawandels erforderlich sein sollen.
  • Royal Dutch Shell hingegen wurde in den Niederlanden erstinstanzlich verurteilt, die CO2-Emissionen (des gesamten Konzerns) bis zum Jahr 2030 um 45 % im Vergleich zum Jahr 2019 zu reduzieren. Gegen diesen tiefgreifenden Eingriff in das Geschäftsmodell hat Royal Dutch Shell Rechtsmittel eingelegt, sodass die Rechtsmittelentscheidung abzuwarten bleibt.
  • Einen ähnlich tiefgreifenden judikativen Eingriff in das Geschäftsmodell der Autohersteller Mercedes-Benz, Volkswagen und BMW sowie des Energieunternehmens Wintershall Dea begehren Kläger mit den sog. „Klimaklagen“ in Deutschland. Die Kläger wollen erreichen, dass die beklagten Unternehmen ihr Geschäftsmodell ab 2030 grundlegend im Sinne des Umweltschutzes ändern. Noerr berichtete.

Diese Beispiele sind nur ein kleiner Ausschnitt. Statistisch sind ESG-Prozesse ein zunehmendes Phänomen. Außerhalb der USA gibt es über 400 Verfahren gegen Regierungen mit Bezug zum Klimawandel sowie mehr als 100 Verfahren gegen Unternehmen und natürliche Personen (Global Climate Change Litigation - Climate Change Litigation (climatecasechart.com)).

II. Trends im Bereich ESG-Litigation – was kommt?

Die Rolle und Verantwortung von Unternehmen bei der Bewältigung des Klimawandels und bei der gesamtgesellschaftlichen Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit und zu mehr sozialer Verantwortung stehen zunehmend im Fokus der Öffentlichkeit. Unternehmen sehen sich vermehrt mit Klagen konfrontiert, mit denen sie zu mehr Nachhaltigkeit, mehr Anstrengung bei der Einsparung von Treibhausgasemissionen und zu mehr sozialer Verantwortung verpflichtet werden sollen.

Gleichzeitig reguliert der Gesetzgeber ESG-Bereiche immer stärker. Zu nennen sind etwa das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), die geplante EU-Richtlinie Corporate Sustainability Due Diligence (CSDD) oder die sog. EU-Taxonomie-Verordnung (2020/852). Die Gesamtanstrengung des EU-Gesetzgebers wird auch unter dem Stichwort „European Green Deal“ zusammengefasst. Aufgrund dieser neuen gesetzlichen Vorgaben ergeben sich für Unternehmen weitere prozessuale Risiken, für eine (vermeintlich) fehlerhafte oder zu langsame Transformation in Anspruch genommen zu werden.

In vielfältigen Bereichen sollten sich Unternehmen auf Prozesse vorbereiten. Ein Trend zeichnet sich jetzt schon bei folgenden Themenfeldern ab:

  • Climate Change Litigation: Umweltverbände und mit ihnen kooperierende Einzelpersonen wollen (in großem Umfang) emittierende Unternehmen zivilrechtlich zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen verpflichten.
  • Klagen (aktivistischer) Shareholder: Aktivistische Anteilseigner wollen Vorstände zu mehr Klimaschutz verpflichten. So hat etwa die Umweltrechtsorganisation Client Earth Anteile an Shell erworben und vor dem High Court in Großbritannien gegen den Vorstand Klage erhoben. Ziel der Klage ist, den Vorstand zu verpflichten, Shell auf einen strengeren (Emissions-)Reduzierungspfad zu führen (Redirecting Shell | ClientEarth). Das Gericht hat hier nach Lage der Akten entschieden und die Klage abgewiesen. Gleichwohl hat es dem Antrag von Client Earth auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung stattgegeben. Diese bleibt abzuwarten. Denkbar sind Shareholder-Klagen etwa auch im Anwendungsbereich des LkSG.
  • Greenwashing: Greenwashing wird laut Taxonomie-Verordnung definiert als Praxis, durch Bewerbung eines Finanzproduktes als umweltfreundlich einen unfairen Wettbewerbsvorteil zu erlangen, obwohl das Produkt den grundlegenden Umweltstandards nicht entspricht. Gerade im Fondsbereich wurden bereits entsprechende Unterlassungsverfahren angestrengt (siehe hierzu Greenwashing bei der Geldanlage: Werbung mit Nachhaltigkeit | Verbraucherzentrale Baden-Württemberg (verbraucherzentrale-bawue.de).
  • Schadensersatzhaftung wegen Umweltverschmutzung: Denkbar ist auch eine Haftung von Unternehmen wegen von ihnen verursachten Umweltverschmutzungen.

Neben den privaten Unternehmen richten sich Klagen mit ESG-Bezug auch gegen Staaten und Regierungen. Gemeinsames Ziel dieser Klagen ist, die Beklagten zu einer ambitionierteren Klimapolitik zu verpflichten. Global gibt es bereits mehr als 80 solcher Verfahren.

III. ESG-Prozesse – ein (mediales) Risiko

ESG-Prozesse sind mit Risiken verbunden. Die sog. Klimaklagen haben gezeigt, dass nicht viel Zeit bleibt, auf entsprechende Verfahren zu reagieren und adäquate Verteidigungsstrategien zu entwickeln. Die Deutsche Umwelthilfe hat innerhalb von nur drei Wochen nach Übersendung der strafbewehrten Unterlassungserklärung an Mercedes-Benz Klage erhoben.

Gleichzeitig haben die Sachverhalte oft eine globale Dimension mit erheblichem (Haftungs-)Risiko. Die Klage des peruanischen Bergbauern Lliuya gegen RWE vor einem deutschen Zivilgericht macht dies deutlich. Es besteht die Gefahr des sog. „Forum Shoppings“ (König/Tetzlaff, RIW 2022, 25).

Zudem handelt es sich oftmals um juristisches Neuland. Rechtsprechungspraxis und anerkannte Haftungsmaßstäbe fehlen. Im Fall der Treibhausgasminderungsklagen werden die Klagen etwa auf die Staatszielbestimmung in Art. 20a GG und einen Eigentumsstörungsanspruch oder deliktischen Anspruch gestützt. Im Fall von Royal Dutch Shell hat das Gericht ungeschriebene Normen sozialadäquaten Verhaltens als haftungsbegründend herangezogen.

Der Kreis potentieller Kläger ist groß. Die diversen Möglichkeiten von Verbandsklagen im ESG-Bereich werden mit der neuen Abhilfeklage noch erweitert.

IV. Auf eine (rechtzeitige) interdisziplinäre Vorbereitung kommt es an

In diesem Umfeld kann der Faktor Zeit entscheidend sein. Unternehmen, die frühzeitig, d.h. schon bei der Compliance-Beratung, Prozessanwältinnen und -anwälte einbinden, sind unmittelbar auf Prozesse vorbereitet. Dies gilt angesichts der zunehmenden Prozessrisiken insbesondere im ESG-Bereich.

Dabei kann eine frühzeitige und enge Zusammenarbeit mit Litigation PR-Experten geboten sein, um – selbst bei günstigem Ausgang vor Gericht – einen Reputationsverlust, etwa durch tendenziöse Berichterstattungen mit „Prangerwirkung“, zu vermeiden.

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