IDW Standard zu Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement
Vorbeugen ist besser als heilen – das gilt nicht nur in der Medizin. Auch in der Betriebswirtschaft gehören Maßnahmen zur Krisenfrüherkennung und -bewältigung anerkanntermaßen zum Pflichtenprogramm der Geschäftsleitung. Doch wie muss eine moderne Corporate Governance ausgestaltet sein, um hinreichend „vorzubeugen“ und persönliche Haftungsrisiken als Geschäftsleiter zu vermeiden? Gesetzliche Vorschriften wie der 2021 in Kraft getretene § 1 des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen („StaRUG“) geben hierauf nur abstrakte Antworten, die wir bereits in einem früheren Newsroom-Beitrag konkretisiert haben: Geschäftsleiterpflichten: Pflicht zur Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement nach § 1 StaRUG.
Orientierung bietet nunmehr auch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) mit seinem „Entwurf eines IDW Standards: Ausgestaltung der Krisenfrüherkennung und des Krisenmanagements nach § 1 StaRUG (IDW ES 16)“. Er richtet sich nach eigenen Angaben primär an Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmensträger. Zwar ist der IDW ES 16 für Geschäftsleiter rechtlich nicht verbindlich, aber er kann wertvolle Anhaltspunkte für Geschäftsführungsorgane und ihre Berater liefern, da er die Meinung des IDW spiegelt, wie die Anforderungen des § 1 StaRUG zu konkretisieren sind. Bis zum 12.05.2025 konnten beim IDW Anmerkungen zu dem Entwurf eingereicht werden. Seine endgültige Verabschiedung steht noch aus.
I. Kernelemente des IDW ES 16
Der IDW ES 16 konkretisiert zwei zentrale Begriffe der Krisenfrüherkennung: fortbestandsgefährdende Entwicklungen und Unternehmensplanung.
1. Fortbestandsgefährdende Entwicklungen
Nach § 1 Abs. 1 StaRUG ist die Geschäftsleitung dazu verpflichtet, fortlaufend über Entwicklungen, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden können, zu wachen. Werden solche Entwicklungen erkannt, hat die Geschäftsführung geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen und ihre Überwachungsorgane entsprechend zu informieren. Um diesen Pflichten nachkommen zu können, ist ein Bewusstsein für die den Begriff der fortbestandsgefährdenden Entwicklungen ausfüllenden Kriterien essentiell.
Der IDW ES 16 knüpft hierfür an anerkannte Definitionsansätze an und fasst unter diesen Begriff Entwicklungen, die ohne geeignete Gegenmaßnahmen zu erheblichen negativen Veränderungen in der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft führen und dadurch das Insolvenzrisiko deutlich erhöhen können. Sie können in allen Krisenstadien und entsprechend deutlich vor dem Vorliegen von Insolvenzeröffnungsgründen eintreten. Fortbestandsgefährdende Entwicklungen können finanzwirtschaftlichen, betrieblichen oder sonstigen Ursprungs sein.
2. Unternehmensplanung für mindestens 12 Monate
Als „zentralen Bestandteil“ eines Krisenfrüherkennungssystems ordnet der IDW ES 16 die Unternehmensplanung ein. Ihre genaue Ausgestaltung sei von den spezifischen Gegebenheiten des betroffenen Unternehmens abhängig. Die Errichtung einer Unternehmensplanung als solcher zähle zu den Sorgfaltspflichten eines jeden ordentlichen Geschäftsleiters, ungeachtet einer Krise. In der Unternehmensplanung sei insbesondere die zu erwartende Liquiditätsentwicklung des Unternehmens auf Grundlage plausibler, d.h. konsistenter, nachvollziehbarer, und widerspruchsfreier Annahmen aus Ex-ante-Perspektive darzustellen.
Der IDW ES 16 geht dabei in Anknüpfung an die sog. Fortbestehensprognose des § 19 Abs. 2 S. 1 InsO von einem Planungshorizont von mindestens zwölf Monaten aus. Einen Zeitraum von 24 Monaten bezeichnet das IDW als zweckmäßig. Je nach Geschäftsmodell und laufenden Projekten könne auch eine noch längerfristige Planung geboten sein; entscheidend sei auch hier eine Betrachtung der individuellen Umstände des betroffenen Unternehmens.
II. Fortlaufender Soll-Ist-Abgleich
Einmal aufgestellt ist die Unternehmensplanung fortlaufend zu überprüfen und mit den tatsächlichen Ergebnissen abzugleichen, um notwendige Anpassungen vorzunehmen. Der IDW ES 16 begründet dies damit, dass ein kontinuierlicher Soll-Ist-Abgleich der tatsächlichen Unternehmensentwicklung mit den Prognosen der Unternehmensplanung fortbestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig identifiziere und rechtzeitige Gegenmaßnahmen ermögliche. Die Dokumentation dieser Überprüfung sei aus Gründen der rechtlichen Absicherung von besonderer Bedeutung.
III. Konkrete Instrumente der Krisenfrüherkennung
Zur näheren Ausgestaltung des Krisenfrüherkennungssystems steht der Geschäftsleitung laut IDW der nachfolgende Werkzeugkasten zur Verfügung; die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Elemente überlässt das IDW wiederum den individuellen Umständen des betroffenen Unternehmens:
- Risikokultur: Etablierung einer Risikokultur als Teil der Unternehmenskultur zur Förderung des Risikobewusstseins;
- Risikotragfähigkeit: Bestimmung der maximalen Risikoauswirkung, die das Unternehmen ohne Bestandsgefährdung tragen kann;
- Risikoorganisation: Definition von Verantwortlichkeiten im Planungsprozess unter klarer Zuordnung von notwendigen Ressourcen und Kompetenzen, idealerweise mit einer zentralen Organisationsstelle;
- Risikoidentifikation: Systematische Erkennung von Risiken unter ganzheitlicher Betrachtung der Unternehmensbereiche und -prozesse;
- Risikobewertung: Bewertung identifizierter Risiken in Bezug auf Wahrscheinlichkeit und Auswirkungen, wobei grundsätzlich auf das wahrscheinlichste Szenario abzustellen ist;
- Risikosteuerung: Entwicklung von Maßnahmen zur Reduzierung oder Bewältigung identifizierter Risiken (z.B. Bereinigung des Leistungsportfolios, Preisverhandlungen mit Lieferanten und Kunden);
- Risikokommunikation: Gewährleistung eines effektiven Informationsaustauschs innerhalb des Unternehmens zur Weitergabe von Risikomeldungen;
- Risikoüberwachung: Auch hier fortlaufender Soll-Ist-Vergleich und ggf. Anpassung und Verbesserung der Krisenfrüherkennungsinstrumente.
IV. Krisenmanagement
Mit Verdichtung fortbestandsgefährdender Entwicklungen besteht die Gefahr, dass die unter der Krisenfrüherkennung getroffenen Maßnahmen zur Risikosteuerung nicht mehr genügen, um den tatsächlichen Eintritt einer Krise abzuwenden. In diesem Fall wandelt sich die Pflicht zur Krisenfrüherkennung gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 StaRUG in eine Pflicht zum Krisenmanagement. Eine hinreichende Verdichtung zu einer Krise kann laut IDW ES 16 bereits vorliegen, wenn der Eintritt des betrachteten Risikofaktors nicht überwiegend wahrscheinlich ist, er aber erhebliche negative Auswirkungen auf den Unternehmensträger hätte.
Soweit es die zu ergreifenden Maßnahmen zur Überwindung einer fortgeschrittenen Risikolage betrifft, verweist der IDW ES 16 auf die Ausführungen in dem separaten Standard zu Sanierungskonzepten (IDW S 6) und benennt die folgenden Maßnahmen:
- Analyse der rechtlichen und wirtschaftlichen Ausgangslage (inkl. Vermögens-, Finanz-, Ertragslage);
- Analyse von Krisenstadium und -ursachen sowie der Insolvenzgefahr;
- Entwicklung eines (sanierten) Unternehmensleitbilds;
- Identifikation von Maßnahmen zur Abwendung der Insolvenzgefahr und zur Krisenbewältigung;
- Erstellung eines integrierten Unternehmensplans.
Auch hier bestehe eine kontinuierliche Pflicht zur Überwachung und ggf. Neujustierung. Kommt die Geschäftsleitung zu der Erkenntnis, dass Insolvenzgründe vorliegen, hat sie bei Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) unverzüglich, spätestens aber nach Ablauf von drei bzw. sechs Wochen Insolvenzantrag zu stellen und in der Zwischenzeit auf die sog. Notgeschäftsführung umzustellen; nähere Ausführungen zu der insoweit anzustellenden Prüfung finden sich in dem Standard zur Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11). Bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) kommt anstelle eines (freiwilligen) Insolvenzantrags je nach Einzelfall ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG in Betracht.
V. Fazit und Bedeutung
Der IDW ES 16 bietet einen Leitfaden für Geschäftsleiter, um potenzielle Krisen rechtzeitig zu erkennen und auf erste Anzeichen geeignet zu reagieren. Der Entwurf fügt sich in die bereits vorhandenen weiteren Standards des IDW ein und verweist dementsprechend wiederholt auf IDW S 6 und IDW S 11.
Die mit der offenen Formulierung von § 1 StaRUG einhergehenden Unklarheiten kann der IDW ES 16 naturgemäß nicht beseitigen. Vielmehr belässt der Leitfaden Flexibilität, um die Spezifika des jeweiligen Unternehmens zu berücksichtigen. Es wäre wünschenswert, dass in der finalen Fassung zusätzlich konkrete Beispiele aufgenommen werden, um weiteren Mehrwert zu bieten, da etwa die oben aufgezählten Krisenfrüherkennungsinstrumente gerade in gesunden Zeiten des Unternehmens erfahrungsgemäß schwer zu greifen sind.
Zur Vermeidung persönlicher Haftungsrisiken sollten Geschäftsleiter sich mit den Anforderungen an Krisenfrüherkennung und -management auseinandersetzen, eine aussagekräftige Unternehmensplanung unter Berücksichtigung der identifizierten Risikofaktoren implementieren und geeignete Krisenfrüherkennungssysteme im Unternehmensalltag etablieren. Entsprechende Maßnahmen sind zu dokumentieren, um auch nachträglich eine pflichtgemäße Corporate Governance nachweisen zu können.
Zeigen sich Anzeichen einer Krise, dürfte es vom Einzelfall abhängen, ob tatsächlich die Vorgaben für Sanierungskonzepte nach IDW S 6 einzuhalten sind (wie vom IDW ES 16 empfohlen). In jedem Fall gilt auch hier wie in der Medizin: Je früher professionaler Rat eingeholt wird, desto aussichtsreicher lassen sich Gegenmaßnahmen ergreifen. Mit den Worten des Existenzgründungsportals des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie: „In jedem Fall: Beratung“.
Bestens
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