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Geschäftsleiter­pflichten: Pflicht zur Krisen­früh­erkennung und Krisen­management nach § 1 StaRUG

24.03.2022
Nach § 1 Abs. 1 StaRUG ist die Geschäftsleitung eines haftungsbeschränkten Rechtsträgers verpflichtet, fortlaufend über Entwicklungen, die den Fortbestand ihrer Gesellschaft gefährden können, zu wachen. Sie hat geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen und ihren Überwachungsorganen – Aufsichtsrat oder Gesellschafterversammlung – Bericht zu erstatten, wenn sie solche Entwicklungen erkennt.

Bestandsgefährdende Entwicklungen

Unter die Pflichten nach § 1 StaRUG fallen nur für die Gesellschaft bestandsgefährdende Entwicklungen. Was genau darunter zu fassen ist, sagt weder das Gesetz noch die Gesetzesbegründung. Vielfach werden darunter Entwicklungen verstanden, die eine wesentlich nachteilige Auswirkung auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft haben können und daher bei ungehindertem Fortgang die Gefahr und das Potential der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft bergen.

Pflicht zur Krisenfrüherkennung

§ 1 Abs. 1 StaRUG schreibt eine Überwachungspflicht vor. Zur Erfüllung dieser Pflicht sind Geschäftsleiter gehalten, ein Organisationssystem zu schaffen, durch das eine fortlaufende Überwachung der relevanten Entwicklungen gewährleistet ist. Die Ausformung und Reichweite der Pflicht (also das WIE, nicht das OB) hängt von Größe, Branche und Struktur des Unternehmens sowie von der Rechtsform der Gesellschaft ab. Der Gesetzgeber ließ sich von der Erkenntnis leiten, dass die überschaubaren Verhältnisse bei kleinen Unternehmen es erlauben, den Risikoüberwachungsgeboten auch ohne größere organisatorische Vorkehrungen gerecht zu werden, die kleinere Unternehmen in der Regel überfordern würden.

Da das Ziel der Überwachung ist, den Entwicklungen rechtzeitig erfolgreich entgegenzuwirken, muss auch sichergestellt sein, dass die Entwicklungen hinreichend früh erkannt werden können.

Konkret sind insbesondere folgende Maßnahmen zu empfehlen, wobei je nach Größe, Branche und konkreter Situation des Unternehmens Besonderheiten gelten können:

    • Überwachung der Finanz- und Ertragslage, unter anderem im Rahmen einer Liquiditätsplanung mit 18 bis 24 Monaten Planungshorizont (Turnus der Aktualisierung richtet sich nach dem Stadium der Krise, Gleiches gilt für die Aufstellung eines Plan/Ist-Abgleichs);
    • Integrierte Finanzplanung, die auch unterjährig aktualisiert wird;
    • Einrichtung eines geeigneten Berichtswesens und von Reporting-Linien verbunden mit der Beförderung eines adäquaten Risikobewusstseins im Unternehmen;
    • Beobachtung und Bewertung von (nicht nur branchenspezifischen) wirtschaftlichen und rechtlichen Entwicklungen mit dem Fokus auf Risikoidentifizierung und -bewertung für das konkrete Unternehmen und sein Geschäftsmodell;
    • Analyse der Entwicklung des Auftragsbestands, der Kunden und der Lieferanten, ggf. unter Nutzung von Checklisten und betrieblichen Statistiken mit Daten aus dem Bereich Beschaffung, Produktion, Absatz und Logistik.

Dabei sind immer auch Implikationen aus bestehenden Konzernverhältnissen zu berücksichtigen, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich Risiken, die auf der Ebene von Konzerngesellschaften entstehen, auf andere Gesellschaften durchschlagen können. Notwendig ist eine klare Bestimmung von Verantwortlichkeiten und Rollen. Es sind genügend Ressourcen zur Verfügung zu stellen und die Aufgabenträger müssen entsprechend ausgebildet sein. Die Umsetzung der Maßnahmen sollte ausreichend dokumentiert werden, um im Ernstfall Nachweise zur Hand zu haben.

Pflicht zum Krisenmanagement

Hat die Geschäftsleitung bestandsgefährdende Risiken erkannt, ist sie verpflichtet, das Ausmaß der Krise und die Gründe dafür zu analysieren und anschließend alle in Betracht kommenden Gegenmaßnahmen mit der Sorgfalt einer ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitung zu prüfen. Sie muss angemessene und erfolgversprechende Maßnahmen (je nach Rechtsform) in Abstimmung mit den Gesellschaftern und ggf. wesentlichen Gläubigern umsetzen.

Die konkreten Maßnahmen richten sich danach, wie der identifizierten Krisenlage der Gesellschaft am besten begegnet werden kann. Folgende Handlungen kommen grundsätzlich in Betracht:

    • Ergreifen von leistungswirtschaftlichen/operativen oder finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen;
    • Verhandlungen mit den finanzierenden Banken oder anderen Gläubigern über eine finanzielle Restrukturierung, z.B. Stundungen oder Verzichte;
    • Bemühen um Eigenkapitalmaßnahmen oder Gesellschafterdarlehen;
    • Bemühungen, staatliche Hilfen zu nutzen oder gesetzliche Erleichterungen in Anspruch zu nehmen;
    • Verhandlungen mit Geschäftspartnern über mögliche Anpassungen von bestehenden vertraglichen Vereinbarungen (wo möglich und angemessen);
    • Vorbereitung und Durchführung eines StaRUG-Verfahrens (bei bereits eingetretener drohender Zahlungsunfähigkeit).

Der Geschäftsleitung steht ein Beurteilungsspielraum zu.

Berichtspflichten der Geschäftsleitung

Die Geschäftsleitung muss den diese überwachenden Organen unverzüglich Bericht erstatten von (i) den erkannten Risiken sowie (ii) den zu ergreifenden Gegenmaßnahmen und dem jeweiligen Umsetzungsstand. Sofern erforderlich, müssen sie die Organe einbeziehen und unverzüglich notwendige Beschlüsse herbeiführen. Ob ein Überwachungsorgan (Aufsichtsrat oder Gesellschafterversammlung) vor bestimmten Maßnahmen befragt werden muss, richtet sich nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regelungen. Typischerweise treffen hierzu Gesellschaftsverträge bzw. Satzungen und Geschäftsordnungen der Geschäftsleitung entsprechende Vorgaben. Bei Kapitalgesellschaften können sich darüber hinaus besondere Mitteilungspflichten bei Verlust des hälftigen Stamm- bzw. Grundkapitals ergeben (vgl. § 49 Abs. 3 GmbHG, § 92 AktG).

Fazit

Die am 01.01.2021 in Kraft getretene Regelung des § 1 StaRUG normiert eine rechtsformübergreifende Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement. Diese Pflicht ergab sich vor Einführung dieser Vorschrift im Grundsatz bereits aus dem allgemeinen Pflichtenprogramm der Geschäftsleitung gegenüber der Gesellschaft. Sie ist Teil des allgemeinen Risikomanagements der Geschäftsleitung und greift nicht nur ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit, wie man angesichts der Verortung der Vorschrift im Normgefüge des StaRUG erwarten würde. Auch wenn die Pflichten nicht erst mit dem StaRUG begründet wurden, gibt es bisher keine genauen Maßgaben der Rechtsprechung und keine Leitlinien der üblichen Standardsetzer (wie z.B. des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V.), was die Geschäftsleitung konkret zur Erfüllung dieser Pflichten tun muss. Das birgt gewisse Risiken. Ist nicht klar, was die Pflicht genau umfasst, so ist im Ernstfall auch unklar, welche Anforderungen ein Gericht stellen würde, damit ein Mitglied der Geschäftsleitung sich potentiellen Haftungsansprüchen erfolgreich zur Wehr setzen kann.

Bei schuldhafter Verletzung der Pflichten droht der Geschäftsleitung eine zivilrechtliche Haftung gegenüber der Gesellschaft. Die im Rahmen dieses Beitrags skizzierten Maßnahmen zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement geben Anhaltspunkte dafür, wie die Geschäftsleitung Haftungsgefahren minimieren kann. Solange konkrete Vorgaben der Rechtsprechung fehlen, sollten Unternehmen sich individuell beraten lassen, welche Maßnahmen in ihrem konkreten Fall – unter Berücksichtigung der bereits im Unternehmen vorhandenen Systeme – geboten sind.

Restrukturierung & Insolvenz

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