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Konsultationen zum sog. EU-Listing Act

25.01.2022
Am 19. November 2021 hat die Europäische Kommission zwei Konsultationen für den sog. „EU-Listing Act“ eingeleitet, der im dritten Quartal diesen Jahres erlassen werden soll. Ziel der Konsultationen ist es, Erkenntnisse über regulatorische Hindernisse für die Börsennotierung von Unternehmen in der EU zu sammeln. Mit dem EU-Listing Act soll vor allem auch kleineren und mittleren Unternehmen (sog. „KMU“) der Zugang zum Kapitalmarkt erleichtert werden.

I. Hintergrund des EU-Listing Act

Hintergrund des geplanten EU-Listing Act ist, dass nach Ansicht der Kommission die europäischen Kapitalmärkte – insbesondere im internationalen Vergleich – weiterhin ausbaufähig sind. EU-Unternehmen würden die Kapitalmärkte für Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung weniger stark nutzen als Unternehmen in anderen zentralen Volkswirtschaften. Dies wirke sich negativ auf das Wirtschaftswachstum und die makroökonomische Widerstandsfähigkeit der EU. Eine zentrale Aufgabe der Kapitalmarktunion sei es daher, EU-Unternehmen einen Zugang zu kapitalmarktbasierten Finanzierungsquellen in jeder Phase ihrer Entwicklung zu gewährleisten, wozu insbesondere eine Börsennotierung zähle. Zu den Vorteilen einer Börsennotierung gehöre eine geringere Abhängigkeit von der Bankfinanzierung, eine stärkere Diversifizierung der Anleger, ein leichterer Zugang zu zusätzlichem Eigen- und Fremdkapital (durch Sekundäremissionen) sowie ein größeres öffentliches Profil und ein höherer Bekanntheitsgrad. Eine ausgewogenere Finanzierungsstruktur zwischen herkömmlicher Bankfinanzierung und Kapitalmarktfinanzierung könne die Realwirtschaft widerstandsfähiger machen. Deshalb sei der Zugang zu kapitalmarktbasierten Finanzmitteln besonders wichtig, um den Aufschwung zu unterstützen und zum Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft nach der Corona-Krise beizutragen.

Viele Unternehmen, insbesondere KMU, hätten jedoch derzeit keinen Zugang zum Kapitalmarkt, was ihre Auswahl an alternativen Finanzierungsmöglichkeiten einschränke. Dies mache sie von traditionellen Finanzierungsquellen abhängig, die insbesondere in Krisenzeiten eingeschränkt seien. Im Vorfeld der Konsultationen hat die Kommission drei Hauptproblemfelder ermittelt, die im Zuge der Konsultationen näher beleuchtet werden sollen:

  1. Zulassungsfolgepflichten/-kosten

    Vielfach hielten Unternehmen, insbesondere KMU, eine Börsennotierung in der EU nicht für erschwinglich und würden aufgrund der damit verbundenen Zulassungsfolgepflichten/-kosten zögern, an die Börse zu gehen. Dies schränke das Angebot an Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen, insbesondere für KMU, ein, die expandieren und wachsen wollten.

    Das zunehmende Auftreten alternativer Formen eines Börsengangs, wie z.B. die Nutzung sog. Special Purpose Acquisition Companies („SPACs“), die eine interessante Finanzierungsmöglichkeit für Scale-up- und Start-up-Unternehmen darstellen könnten, könne daher auch als Reaktion auf die Herausforderungen gedeutet werden, denen sich Emittenten auf den europäischen Kapitalmärkten typischerweise gegenübersähen. Obwohl Börsengänge über SPACs in der EU im Vergleich zu einigen anderen Rechtsordnungen noch weniger stark verbreitet seien, müsse die EU prüfen, ob die bestehenden Vorschriften für Unternehmen/Investoren geeignet seien, um die Möglichkeiten, die SPACs bieten könnten, zu fördern und in diesem Zusammenhang angemessene Schutzmaßnahmen vorzusehen.
  1. Regulatorische Flexibilität

    Auch die regulatorische Flexibilität sei unzureichend. So fehle Unternehmenseigentümern die Möglichkeit, die Kontrolle über ihr Unternehmen nach einem Börsengang durch die Ausgabe von Aktien mit Mehrstimmrechten zu behalten. Zudem bestehe ein Mangel an Klarheit in den einschlägigen Rechtsvorschriften hinsichtlich einer Doppelnotierung (sog. Dual Listing). Solche regulatorischen Beschränkungen und Unsicherheiten würden einige Unternehmen davon abhalten, die europäischen Kapitalmärkte zu nutzen und somit die Attraktivität der EU als Zieldestination für Börsengänge, auch im globalen Kontext, beeinträchtigen.

  2. Aktienanalysen und Liquidität

    Schließlich seien die Wertpapiere von KMUs in der Regel durch eine geringe Liquidität gekennzeichnet, da diese Unternehmen von Anlegern, insbesondere institutionellen Anlegern, als unattraktiv wahrgenommen würden. Die begrenzte Liquidität lasse sich durch eine Reihe von Faktoren erklären, wie z.B. den Mangel an verfügbaren Aktienanalysen, insbesondere für KMU. Darüber hinaus fürchteten institutionelle Anleger möglicherweise ein Reputationsrisiko, wenn sie in Unternehmen investieren, die an multilateralen Handelssystemen (sog. MTF), einschließlich KMU-Wachstumsmärkten, notiert sind, da für Emittenten an diesen Handelsplätzen keine Mindestanforderungen an die Unternehmensführung (Corporate Governance) bestünden.

II. Ziele des EU-Listing Act

Der EU-Listing Act soll den vorstehenden Problemen Rechnung tragen. Das Hauptziel des EU-Listing Act sei es, einen ungehinderten Kapitalmarktzugang aller Unternehmen in der EU, insbesondere für KMUs, d.h. für Unternehmen, die weniger als 250 Personen beschäftigen und einen Umsatz von höchstens EUR 50 Mio. und/oder eine Bilanzsumme von höchstens EUR 43 Mio. haben, sicherzustellen. Es solle daher geprüft werden, ob die Vorschriften für eine Börsennotierung weiter vereinfacht werden könnten, auf welche Weise der Zugang zu den Kapitalmärkten für Unternehmen in der EU verbessert werden könne und wie die Primär- und Sekundärmärkte in der EU funktionierten. Darüber hinaus solle die von der Kommission bereits im Oktober 2020 eingesetzte Technical Expert Stakeholder Group (TESG) das Funktionieren und den Erfolg der KMU-Wachstumsmärkte überwachen.

Im Ergebnis zielt der EU-Listing Act damit darauf ab, den Emittenten innerhalb der EU den Zugang und die Nutzung der Kapitalmärkte durch

  • die Vereinfachung und Erleichterung der Anforderungen an eine Börsennotierung und die laufende Börsennotierung, u.a. durch Kostensenkung und der Erhöhung der Rechtssicherheit für Emittenten;
  • die Beseitigung regulatorischer Beschränkungen; und
  • die Erhöhung der Sichtbarkeit von KMU gegenüber Investoren und Verbesserung ihrer Attraktivität

zu erleichtern, um ihnen die Gelegenheit zu geben, ihre Geschäftstätigkeit zu finanzieren, zu wachsen und Arbeitsplätze zu schaffen. Dabei soll gleichzeitig auch ein hohes Maß an Anlegerschutz und Marktintegrität gewährleistet werden.

Diese Ziele möchte die Kommissionen u.a. durch

  • gezielte Änderungen der geltenden Bestimmungen in mehreren EU-Rechtsakten (z.B. Prospektverordnung, Marktmissbrauchsverordnung (MAR), MiFID II und Börsenzulassungsrichtlinie), z.B. durch Vereinfachungen der (i) Dokumentationspflichten für einen Börsengang, (ii) der Voraussetzungen für einen Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen und (iii) der Marktsondierungsregelungen; sowie
  • die Einführung neuer Bestimmungen, z.B. zu Aktien mit Mehrfachstimmrechten und vereinfachten Corporate-Governance-Standards für KMUs

erreichen.

III. Mögliche Inhalte des EU-Listing Act

Ein Blick auf die zwei laufenden Konsultationen lässt bereits erahnen, in Bezug auf welche Rechtsquellen die Kommission Reformbedarf identifiziert hat:

  • Die offene öffentliche Konsultation umfasst sieben allgemeine Fragen zum Funktionieren des EU-Rechtsrahmens, insbesondere hinsichtlich der Zielerreichung des bestehenden Rechtsrahmens und zu den verantwortlichen Faktoren der mangelnden Attraktivität der europäischen Kapitalmärkte.
  • Die gezielte, technische Konsultation umfasst über 100 zusätzliche Fragen zu technischen Themen und richtet sich an Kapitalmarktpraktiker, zuständige Behörden und Wissenschaftler. Hier werden insbesondere mögliche Änderungen der Prospektverordnung, der Marktmissbrauchsverordnung (MAR), der MiFID II, dem Gesellschaftsrecht und der Börsenzulassungsrichtlinie adressiert. Dabei sollen die aufwändigsten Anforderungen identifiziert und erörtert werden, wie diese ohne Beeinträchtigung der Marktintegrität und der allgemeinen Transparenzregelung verringert werden könnten.

    Im Rahmen der gezielten, technischen Konsultation werden insbesondere die folgenden Rechtsquellen und Themen adressiert:

    • Prospektverordnung: Mögliche Vereinfachungen der Prospekterstellung (insbesondere inhaltliche Vorgaben, Ausnahmen, Format und Sprache), Sekundäremissionen, Haftungsregime, Prüfung und Billigung des Prospekts, einheitliches Registrierungsformular;

    • Marktmissbrauchsverordnung: Anwendungsbereich, Definition des Begriffs „Insiderinformation“ und Präzisierung der Vorhaben für den Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen, Erleichterungen für Emittenten von Schuldverschreibungen, Eigengeschäfte von Führungskräften, Insiderlisten, Vereinfachungen von Marktsondierungen, Sanktionen, Liquiditätsverträge, Transparenz von Anlageempfehlungen;

    • MiFID II: Registrierung von MTF als KMU-Wachstumsmarkt, Zweitnotierung (sog. Dual Listing), Aktienanalysen von KMU;

    • Transparenzrichtlinie: Vereinfachung der Regelungen zur periodischen Publizität und zur Beteiligungspublizität;

    • SPAC: Eignung des aktuellen Rechtsrahmens für SPAC und Schaffung spezieller Regelungen;

    • Börsenzulassungsrichtlinie: Definitionen, Zulassungsbedingungen, zuständige Behörden;

    • Gesellschaftsrecht: Mehrstimmrechte und Corporate-Governance-Standards für KMU;

Bemerkenswert dabei ist, dass die Kommission auch Fragen zum sog. „Gold-Plating“ von EU-Rechtsakten durch die Mitgliedstaaten aufwirft, d.h. der Übererfüllung von mindestharmonisierenden EU-Rechtsakten durch die EU-Mitgliedsstaaten mittels strengerer Regelungen. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Kommission auch eine stärkere Vollharmonisierung des europäischen Kapitalmarktrechts ins Auge fassen könnte, um strengere, nationale Regelungen sowie Abweichungen der Regelwerke zwischen den verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten zu vermeiden.

IV. Ablauf und Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Das Konsultationsverfahren der Kommission läuft noch bis zum 11. Februar 2022. Die Ergebnisse der Konsultationen sollen sodann in einem Bericht zusammengefasst und danach über weitere Einzelheiten entschieden werden. Ein erster Vorschlag für den EU-Listing Act ist derzeit für September 2022 geplant.

Über das Ergebnis der Konsultationen und den weiteren Gesetzgebungsprozess zum EU-Listing Act werden wir Sie an dieser Stelle laufend informiert halten.