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Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 – Neues Rechtsregime für Maschinen in Europa

30.06.2023

Nun ist sie da – die lange erwartete EU-Maschinenverordnung (EU) Nr. 2023/1230 wurde am 29.06.2023 im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Wirtschaft und Behörden erhalten ein neues Regelwerk für die Sicherheit von Maschinen, das die seit 17 Jahren geltende EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ablösen wird. Auch wenn die EU-Maschinenverordnung für die Industrie kein Paradigmenwechsel ist, bringt sie dennoch zahlreiche praxisrelevante Änderungen mit sich, mit denen sich die Wirtschaftsakteure zur Sicherstellung der Product Compliance befassen müssen.

I. Alter Wein in neuen Schläuchen?

Dem aktuellen europäischen Regulierungstrend im Produktsicherheitsrecht folgend kommt die zentrale Rechtsvorschrift für den Maschinen- und Anlagenbau künftig als unmittelbar geltende europäische Verordnung daher. Nachdem im Gesetzgebungsverfahren noch bis zuletzt der Begriff „Maschinenprodukteverordnung“ im Raum stand, bleibt es nun doch beim weniger sperrigen Begriff der Maschinenverordnung. Ohne ersichtlichen Grund hat der europäische Gesetzgeber dagegen die Nummerierung der zahlreichen Anhänge, die dem Anwender aus der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG bekannt waren, auf den Kopf gestellt. So finden sich die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen nicht mehr in Anhang I, sondern jetzt in Anhang III. Das ist misslich, weil es den Vergleich zwischen  altem und neuem Recht sowie die reibungslose Anwendung in der Praxis grundlos erschwert.

Der sachliche Anwendungsbereich der neue Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 entspricht dagegen weitgehend dem der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. Erfasst werden nicht nur Maschinen und unvollständige Maschinen, sondern auch auswechselbare Ausrüstungen, Sicherheitsbauteile, Lastaufnahmemittel, Ketten, Seile und Gurte und abnehmbare Gelenkwellen. Der Begriff des Sicherheitsbauteiles wurde allerdings erweitert und erfasst nun auch Software und andere digitale Bauteile, die für sich allein stehen und Sicherheitsfunktionen ausführen. Die nicht erschöpfende Liste der Sicherheitsbauteile findet sich nun in Anhang II EU-Maschinenverordnung, statt wie bisher in Anhang V der EG-Maschinenrichtlinie.

II. Anpassung des europäischen Maschinenrechts an den New Legislative Framework

Die neue Verordnung orientiert sich am sog. New Legislative Framework, sodass das Maschinenrecht systematisch und terminologisch auf den neuesten Stand der europäischen Regelungstechnik zur Product Compliance gebracht wird. Diese Anpassung bedingt zum einen, dass Importeure und Händler in das Maschinenrecht einbezogen werden und die bereits aus dem New Legislative Framework bekannten Pflichten auch im Hinblick auf Maschinen zu erfüllen haben. Zu erwähnen ist an dieser Stelle insbesondere die behördliche Meldepflicht im Falle erkannter Produktrisiken, die jetzt Hersteller, Importeure und Händler gleichermaßen treffen kann. Zum anderen wird der zeitliche Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie erweitert.

III. Kodifikation der wesentlichen Veränderung

Ein Dauerbrenner des Maschinenrechts ist seit jeher die Frage, welche Änderungen an Maschinen nach dem Inverkehrbringen bzw. der Inbetriebnahme vorgenommen werden dürfen, ohne dass die Maschine dadurch zu einer neuen wird und deshalb u.a. ein neues Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen muss. Die EG-Maschinenrichtlinie schwieg zur Abgrenzungsfrage zwischen gebrauchter und neuer Maschine, weshalb die Praxis auf Interpretationshilfen (z.B. Blue Guide, Interpretationspapier des Bundesarbeitsministeriums) ausweichen musste. Die in den Interpretationshilfen niedergelegten Grundsätze werden jetzt in der EU-Maschinenverordnung kodifiziert. Als wesentliche Veränderung ist danach jede vom Hersteller nicht vorgesehene oder geplante physische (oder digitale) Veränderung zu verstehen, die nach dem Inverkehrbringen bzw. nach der Inbetriebnahme vorgenommen wird. Diese Veränderung muss eine neue Gefährdung schaffen oder ein bestehendes Risiko erhöhen, sodass neue Schutzmaßnahmen erforderlich werden. Die Person, die eine wesentliche Veränderung vornimmt, wird ausdrücklich zum Hersteller mit allen damit verbunden Pflichten, die die Verordnung in Art. 10 auflistet. Unvollständige Maschinen werden von den Vorgaben zur wesentlichen Änderung dagegen nicht erfasst, da diese lediglich dazu bestimmt sind, in eine Maschine eingebaut zu werden.

IV. Erweiterung der Grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen

Die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen in Anhang III der Maschinenverordnung wurden überarbeitet und erweitert. Besonders hervorzuheben sind die neuen Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen zu Cybersicherheit und Künstlicher Intelligenz. Hersteller müssen künftig ausreichende Sicherheitsvorkehrungen treffen, die in angemessener Weise gegen unbeabsichtigte oder vorsätzliche Angriffe Dritter schützen. Die Sicherheitsanforderungen zur Künstlichen Intelligenz wurden in die bestehende Systematik eingefügt, ohne den Begriff „Künstliche Intelligenz“ zu erwähnen. Hersteller sind gehalten, die „Lernphase“ einer Künstlichen Intelligenz in der Risikobeurteilung zu berücksichtigen sowie die Grenzen des Lernens im Voraus festzulegen und mit Schutzmaßnahmen abzusichern. Die ursprünglich geplante Verzahnung der neuen europäischen KI-Verordnung mit der EU-Maschinenverordnung ist dem europäischen Gesetzgeber leider nicht gelungen. Dadurch besteht das Risiko, dass es künftig zu Inkonsistenzen zwischen beiden Rechtsakten kommt, die gegebenenfalls durch kurzfristige Anpassung der EU-Maschinenverordnung wieder ausgeräumt werden müssen.

V. Halbherzige Digitalisierung

Die Digitalisierung hält auch in die EU-Maschinenverordnung Einzug, allerdings bei weitem nicht in dem Umfang, der aktuell in Zusammenhang mit dem digitalen Produktpass diskutiert wird. Gerade bei den Vorgaben zur Betriebsanleitung bleibt der Gesetzgeber halbherzig. Während Konformitäts- bzw. Einbauerklärung künftig stets in digitaler Form zur Verfügung gestellt werden dürfen, gilt dies für die umfangreichen Betriebsanleitungen, die heute – einschließlich erforderlicher Sprachfassungen – erheblichen Papierumfang einnehmen, nur sehr eingeschränkt. Für reine B2B-Maschinen werden digitale Betriebsanleitungen grundsätzlich gestattet; Papierfassungen müssen allerdings auf Wunsch des Endkunden innerhalb eines Monats nach Kauf zur Verfügung gestellt werden. Bei Vertrieb über den Handel kann der Hersteller also noch lange Zeit nach dem Inverkehrbringen mit der Forderung nach kurzfristiger Lieferung einer Anleitung in Papierform konfrontiert werden. Ist die Verwendung der Maschine durch private Nutzer für den Hersteller vorhersehbar, müssen zumindest die Sicherheitsinformationen dagegen auch künftig auf unabsehbare Zeit in Papierform beigefügt werden. Sinn und Notwendigkeit dieser Regelung erschließen sich mit Blick auf die Verbreitung von Smartphones unter den europäischen Verbrauchern heute kaum noch.

VI. Ausblick

Die neue Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 wird am 19. Juli 2023 in Kraft treten und nach einer Übergangszeit von dreieinhalb Jahren zwingend anzuwenden sein. Bis dahin werden für Maschinen möglicherweise zusätzlich bereits die neuen Anforderungen der europäischen KI-Verordnung gelten. Die Wirtschaftsakteure sollten die weitere Entwicklung im Blick behalten und sich mit den zahlreichen Neuerungen vertraut machen. Das gilt insbesondere für die erweiterten Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen sowie für die neuen Pflichtenkataloge für Hersteller, Bevollmächtigte, Einführer und Händler. Für die Unternehmen geht es darum, ihr Product Compliance Management rechtzeitig an das neue Rechtsregime anzupassen.