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Neue Binnen­markt­strategie der EU-Kommission bringt Änderungen im Produkt­recht

04.06.2025

Die Europäische Kommission hat am 21.05.2025 ihre neue Binnenmarktstrategie vorgestellt. Sie soll den Binnenmarkt vereinfachen, vereinheitlichen und stärken. Dabei enthält sie Vorschläge zur Beseitigung der zehn größten Hindernisse des Binnenmarkts („terrible ten“). Die Kommission selbst bezeichnet dabei den EU-Produktrechtsrahmen als Herzstück des Binnenmarkts. Konsequenterweise sieht die neue Binnenmarktstrategie daher auch für das europäische Produktrecht zahlreiche Änderungen vor. Der unter der Bezeichnung New Legislative Framework (NLF) Ende der Nullerjahre bekannt gewordene Regelungstechnik des europäischen Produktrechts habe sich als grundlegendes Konzept der Regulierung zwar bewährt, sei aber verbesserungswürdig, so die Kommission.

Anpassung des NLF im Zuge der Digitalisierung

Zu den zehn größten Hindernissen für den Binnenmarkt gehören aus Sicht der Kommission veraltete harmonisierte Produktvorschriften. Vor diesem Hintergrund sollen erste Schritte zur Anpassung der Produktvorschriften an das digitale Zeitalter unternommen werden. Im Rahmen des ebenfalls am 21.05.2025 veröffentlichten Omnibus-IV Pakets hat die Kommission zwei Vorschläge zur Änderung zahlreicher sektoraler Produktrechtsvorschriften vorgelegt (COM(2025) 503 final und COM(2025) 504 final). Betroffen sind zahlreiche relevante Produktgruppen von Maschinen über Elektro- und Elektronikgeräten bis hin zu Aufzügen, Funkanlagen und Batterien. Die Änderungen erstrecken sich überdies nicht nur auf produktsicherheitsrechtliche Regulierung, sondern knüpfen auch an das neue Ökodesignrecht und damit an Nachhaltigkeitsthemen an.

Digitale Gebrauchsanleitung

Konkret sollen Hersteller in den betroffenen Regulierungsbereichen künftig grundsätzlich die Möglichkeit haben, ein digitales Format für die Gebrauchsanweisung zu wählen. Sicherheitsinformationen für Verbraucher müssen allerdings auch weiterhin in Papierform bereitgestellt werden. Außerdem sollen Verbraucher auf Anfrage auch nach dem Kauf eine Papierversion der Gebrauchsanweisung verlangen können. Das ist 2025 freilich noch immer eine enttäuschend langsame Digitalisierung, die ihren Namen kaum verdient. Der – gerade – private Gebrauch von vernetzten Geräten durch alle Generationen hindurch ist etablierter als die Kommission es wahrhaben will. Nach der vergleichbar schwachen Regelung in der neuen europäischen Maschinenverordnung wäre dies eine weitere verpasste Chance, der digitalen Realität auch bei Verbrauchern endlich Rechnung zu tragen.

Digitale Konformitätserklärung

Immerhin: Die für die Behörden auszustellende EU-Konformitätserklärung soll künftig nur noch in digitaler Form ausgestellt und zur Verfügung gestellt werden müssen, beispielsweise durch einen maschinenlesbaren Code.

Digitale Behördenmeldung

Auch die Meldepflichten der Wirtschaftsakteure sollen vollständig digitalisiert werden. Wirtschaftsakteure sind verpflichtet, auf eine begründete Anfrage einer zuständigen nationalen Behörde oder der Europäischen Kommission alle Informationen und Unterlagen, die zum Nachweis der Konformität erforderlich sind, bereitzustellen. Diese Bereitstellung soll künftig in elektronischer Form erfolgen.

Digitaler Produktpass

Da der digitale Produktpass in bestimmten EU-Rechtsvorschriften wie der Batterieverordnung (VO (EU) 2023/1542) bereits vorgesehen ist, sollen die Wirtschaftsakteure künftig verpflichtet werden, die in der EU-Konformitätserklärung und der Gebrauchsanweisung enthaltenen Informationen im digitalen Produktpass zu speichern, wenn sie aufgrund anderer Rechtsvorschriften bereits zur Führung des digitalen Produktpasses verpflichtet sind. Der Digitale Produktpass soll künftig das Hauptinstrument für die Offenlegung und den Austausch von Produktinformationen werden. Daher soll er schrittweise in den Produktkategorien eingeführt werden. Auch das dauert überraschend zäh.

Stärkung von Marktüberwachung und Zoll

Fehlende Produktkonformität hat die Kommission zudem als erhebliches Hindernis für den Binnenmarkt ausgemacht. Die große Anzahl an unsicheren, nachgeahmten oder nicht konformen Produkten aus Drittländern belaste die Zoll- und Marktüberwachungsmechanismen der Mitgliedsstaaten erheblich und erschwere die vollständige Durchsetzung europäischer Vorgaben zur Product Compliance. Um eine koordinierte und wirksame EU-weite Reaktion auf risikobehaftete Produkte zu gewährleisten, sollen Verfahren optimiert und im Zuge einer Zollreform eine neue Zollbehörde eingerichtet und ein EU-Zolldatendrehkreuz geschaffen werden. Dem Kernpunkt aller Beschwerden aus Industrie und Handel, der fehlenden Compliance von Produkten, die von Verbrauchern über Online-Plattformen direkt importiert werden, wird damit gleichwohl zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet.

Europäische Marktüberwachungsbehörde

Auch die Marktüberwachung soll künftig stärker auf EU-Ebene organisiert werden, um eine effiziente Koordination und Ausrichtung von Kontrollen zu ermöglichen und um die Kapazitäten und Fachkenntnisse der nationalen Marktüberwachungsbehörden zu bündeln. Eine EU-weite Marktüberwachung unter Schaffung einer europäischen Marktüberwachungsbehörde soll aus Sicht der Kommission in strategisch wichtigen Regulierungsbereichen erwogen werden. Immerhin: Dies soll insbesondere für den Import von Waren im Fernabsatz gelten. Zentralisierung ist in diesem Zusammenhang begrüßenswert. Allerdings fehlt der Kommission bis heute jede Vollzugserfahrung im Bereich der Produktregulierung, was absehbar zu Schwierigkeiten für die Wirtschaftsakteure führen dürfte.

Reform der europäischen Normung

Die langen Verzögerungen bei der Normung werden von der Kommission als weiteres Binnenmarkthindernis ausgemacht. Die sog. Normungsverordnung (EU) 1025/2012 gibt bis heute den aktuellen Rahmen für die Ausarbeitung von Normen vor, an die eine Konformitätsvermutung geknüpft ist. Dieser Normungsrahmen werde den Anforderungen des Marktes aber nur schwer gerecht. Dies betreffe insbesondere die Aktualität, die Einbeziehung der relevanten Interessengruppen und den Zugang zu den Normen. Unternehmen seien daher mit dem Fehlen oder der verspäteten Verfügbarkeit harmonisierter Normen konfrontiert. Bei dieser Analyse fehlen allerdings selbstkritische Aussagen zum fehlenden Widerstand gegen das „Malamud“-Urteil des EuGH und zähe Freigabeabläufe bei harmonisierten Entwürfen.

Vor diesem Hintergrund sieht die Binnenmarktstrategie vor, die europäische Normungsverordnung zu überarbeiten und sie zukunftssicher zu machen. Geschwindigkeit und Flexibilität des Normungsprozesses sollen erhöht, ein von den Interessengruppen gesteuerter Prozess mit ausgewogener Beteiligung (Start-ups, KMU, Zivilgesellschaft und Wissenschaft) gewährleistet und der Zugang zu Normen verbessert werden.

Falls keine harmonisierten Normen existieren oder diese unzureichend sind, soll der Kommission vorübergehend die Befugnis erteilt werden, Durchführungsrechtsakte zu erlassen. Diese dienen dazu, Gemeinsame Spezifikationen für die grundlegenden Sicherheits-, Gesundheitsschutz- oder andere erforderliche Anforderungen festzulegen. Den Herstellern soll dadurch ihre Pflicht zur Einhaltung dieser Anforderungen erleichtert werden. Im Rahmen des Omnibus IV Pakets hat die Kommission diesbezüglich zwei Vorschläge zur Änderung der entsprechenden sektoralen Produktrechtsvorschriften (COM(2025) 503 final und COM(2025) 504 final) vorgelegt. Wie immer stellt sich bei Gemeinsamen Spezifikationen die grundlegende Frage, woher die Kommission den notwendigen technischen Sachverhalt bekommen will, wenn die Normung nicht liefern kann/will.

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