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Neue Leitlinien der Kommission zur GPSR – Präzisierungen und Handlungsspielräume für Unternehmen

03.12.2025

Die europäische Produktsicherheitsverordnung (EU) 2023/‌988 (General Product Safety Regulation, „GPSR“) findet seit dem 13.12.2024 Anwendung. Sie gilt für alle Arten von Non-Food Verbraucherprodukten. Die Verordnung bildet gewissermaßen ein Auffangnetz für Verbraucherschutz-Lücken in produktbezogenen Harmonisierungsrechtsvorschriften. Die Wirtschaftsakteure haben zahlreiche neue Vorgaben für den Umgang mit digitaler Produktinformation, den E-Commerce, die Marktplatzregulierung oder das Rückrufmanagement zu beachten. Bei nicht europäisch harmonisierten Produkten bestimmt sie außerdem umfassend die Anforderungen an die Produktsicherheit.

Schon seit ihrem Inkrafttreten am 10.05.2023 (dazu unser Beitrag GPSR Compliance – Wissen Sie, was ab heute alles anders läuft?) steht die Regulierung in der Kritik. Zahlreiche Vorgaben, die für die betroffenen Industrien enorme praktische Relevanz haben, sind unklar geregelt, bei wortlautgetreuem Verständnis kaum umsetzbar oder stehen mit anderen Harmonisierungsrechtsvorschriften in nicht ohne weiteres auflösbarem Konflikt.

Wegen der zahlreichen Unklarheiten wurden die im Gesetzestext der GPSR selbst angekündigten Leitlinien der Kommission (C(2025) 7699 final – „Leitlinien zur GPSR“) mit Spannung erwartet. Diese Leitlinien zur GPSR sind nun am 19.11.2025 veröffentlicht worden. Gleichzeitig hat die Kommission auch Leitlinien für das Safety Business Gateway (C(2025) 7701 final) herausgebracht. Beide Leitlinien sind nicht rechtsverbindlich. Gleichwohl zeigen diese den Kommissionsstandpunkt als eines von drei am Gesetzgebungsverfahren im europäischen Recht beteiligten Organen auf und dürften von den Vollzugsbehörden in Europa als Auslegungshilfe herangezogen werden.

Wesentliche Inhalte der Leitlinien zur GPSR

1. Harmonisierte Normen

Unter der GPSR besteht nach Art. 7 Abs. 1 GPSR eine Konformitätsvermutung, sobald ein Produkt den anwendbaren harmonisierten Normen entspricht, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind. Die Leitlinien zur GPSR schaffen Rechtssicherheit dahingehend, dass die zum Vorgängergesetz, der Produktsicherheitsrichtlinie 2001/‌95/‌EG (General Product Safety Directive, GPSD“), erlassenen harmonisierten Normen auch für die GPSR Vermutungswirkung entfalten.

2. Verhältnis zu anderen Harmonisierungsrechtsvorschriften

In Bezug auf andere Harmonisierungsrechtsvorschriften wie der Spielzeugrichtlinie 2009/‌48/‌EG oder der Typgenehmigungsverordnung (EU) 2018/‌858 wurde diskutiert, wie weit die Auffangfunktion der GPSR reicht. Vereinzelte Stimmen in der Rechtsliteratur forderten eine Gegenüberstellung der Anforderungen der Harmonisierungsrechtsvorschriften und der GPSR. Im Wege dieser Gap-Analysis sollten die verpflichteten Unternehmen bestimmen, welche z.B. Herstellerpflichten sie nach den Harmonisierungsrechtsvorschriften treffen und welche nach der GPSR. Ein solches Erfordernis ist den Leitlinien zur GPSR nicht zu entnehmen. Es ist daher überzeugend, anzunehmen, dass die Kommission die Pflichten der Wirtschaftsakteure nach Kapitel III Abschnitt 1 der GPSR nicht neben den Pflichten aus den speziellen Harmonisierungsrechtsvorschriften angewendet wissen will.

3. Risikoanalyse und Vorlage für technische Unterlagen

Unterliegt ein Produkt den Anforderungen der GPSR, bedarf es nach Art. 9 Abs. 2 GPSR stets einer Risikoanalyse, die in den technischen Unterlagen dokumentiert ist. Der Umfang der technischen Unterlagen richtet sich nach der Komplexität des Produkts. Im Mindestmaß umfassen die technischen Unterlagen eine allgemeine Beschreibung des Produkts und seiner für die Bewertung seiner Sicherheit relevanten wesentlichen Eigenschaften. Für die technische Dokumentation wird in den Leitlinien zur GPSR eine für viele Unternehmen praktisch nützliche Vorlage abgebildet. Diese umfasst eine Anleitung zur Produktbeschreibung und Vorgaben zum Risikohandling.

4. Kennzeichnung/‌Labelling und elektronische Adresse

Hinsichtlich der Angabe der elektronischen Adresse bei Hersteller (Art. 9 Abs. 6 GPSR), Einführern (Art. 11 Abs. 3 GPSR) oder EU-Verantwortlichen (Art. 16 Abs. 3 GPSR) trifft die Kommission in den Leitlinien zur GPSR eine Klarstellung, die sich schon in den von der Kommission herausgegebenen FAQ fand. Nach ihrer Auffassung ist eine elektronische Adresse im Sinne der GPSR eine E‑Mail-Adresse oder ein spezieller Bereich der Website des Unternehmens, der es Verbrauchern ermöglicht, es direkt und einfach zu kontaktieren.

5. Unfallmeldung

Mit der Unfallmeldung nach Art. 20 GPSR wurde für verpflichtete Unternehmen eine gänzlich neue Meldepflicht eingeführt. Nach Absatz 1 der Vorschrift sorgt der Hersteller dafür, dass ein Unfall, der durch ein in Verkehr gebrachtes oder auf dem Markt bereitgestelltes Produkt verursacht wurde, ab dem Zeitpunkt, zu dem er Kenntnis von dem Unfall hat, unverzüglich den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem sich der Unfall ereignet hat, über das Safety-Business-Gateway gemeldet wird.

Bei der Unfallmeldung nach Art. 20 GPSR war im deutschen Gesetzestext unklar, ob die Meldepflicht zeitweilige, nicht schwerwiegende nachteilige Auswirkungen umfasst. In den Leitlinien zur GPSR wird klargestellt, dass nur Vorkommnisse, die zum Tod eines Menschen oder zu schwerwiegenden nachteiligen Auswirkungen führen, die Meldepflicht auslösen. Damit zeigt sich, dass die Meldung erst ab Überschreiten einer Erheblichkeitsschwelle notwendig ist.

6. Ergebnis

Viele Fragen bleiben weiterhin offen – etwa der Normkonflikt zwischen dem Gebot digitale Informationen nach Art. 21 GPSR nur „zusätzlich“ zur Verfügung zu stellen und der Vorschrift des Art. 10 Abs. 7 der Maschinenverordnung (EU) 2023/‌1230, die für Verbraucher stets ausdrücklich eine digitale Betriebsanleitung zulässt. Dennoch bringen einige Abschnitte der Leitlinien zur GPSR – wie im Fall der Unfallmeldung oder der Vorlage zur technischen Dokumentation – endlich mehr Klarheit für Anwender. Am Ende bleiben die Leitlinien der Kommission zur GPSR lediglich eines von vielen Auslegungsinstrumenten. Sie sind nicht rechtsverbindlich und ersetzen keinesfalls den Gesetzestext. Wer sich dies vor Augen hält, verhindert, dass die Kommission faktisch zur alleinigen Interpretin der Vorschriften wird – ein Szenario, das sich etwa bei der Entwaldungsverordnung (EU) 2023/1115 bereits abzeichnet.

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