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„Online Hate Speech“ und Plattformregulierung: Update zum NetzDG

02.11.2020

Soziale Netzwerke mit über zwei Millionen Usern sind seit dem 01.10.2017 verpflichtet, von Nutzern gemeldete rechtswidrige Inhalte innerhalb eines begrenzten Zeitraums zu sperren. Verstöße können mit Bußgeldern bis zu fünf Millionen Euro geahndet werden. Ziel des Gesetzgebers war es, gegen Hasskommentare und Falschnachrichten im Internet vorzugehen und die Gesetze der analogen Welt auch digital durchzusetzen. Bereits vor seinem Inkrafttreten wurde das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) heftig diskutiert. Kritiker sehen eine Gefahr des „Overblockings“ von Nutzerinhalten und der Schaffung einer Kultur des Denunziantentums. Nun soll das Gesetz an zwei Stellen reformiert werden. Zum einen sehen die aktuellen Vorschläge eine Pflicht der Anbieter sozialer Netzwerke zur verstärkten Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden vor (BT Drucks. 19/17741). Zum anderen sollen die Anbieter verpflichtet werden, ein Gegenvorstellungsverfahren vorzuhalten, das es den Nutzern ermöglicht, Sperrentscheidungen überprüfen zu lassen (BT Drucks. 19/18792).

Ziel der Neufassung des NetzDG

Mit der Novelle reagiert die Bundesregierung vor allem auf die vielfache Kritik, das NetzDG sei einseitig. Es setze die falschen Anreize, indem es Plattformbetreibern hohe Strafen androht, wenn sie rechtswidrige Inhalte nicht entfernen, aber keine, wenn sie rechtmäßige Inhalte sperren. Das schränke die Meinungsfreiheit unverhältnismäßig ein. Durch die Übermittlung an das Bundeskriminalamt (BKA) sollen staatliche Stellen nun die Möglichkeit erhalten, Inhalte zu überprüfen und so verhindert werden, dass die Rechtsdurchsetzung vollständig auf private Plattformbetreiber verlagert wird. Ergänzend soll Nutzern ein Mechanismus an die Hand gegeben werden, mit dem sie das Netzwerk selbst dazu veranlassen können die Entscheidung zurückzunehmen.

Die Haftungsprivilegien Sozialer Netzwerke

Das NetzDG gestaltet den rechtlichen Rahmen für die europäische Plattformökonomie weiter um. Bislang können sich soziale Netzwerke auf die Haftungsprivilegien der E-Commerce-Richtlinie berufen. Im Allgemeinen haften Internetdienste nicht für die Inhalte, die sie übertragen, zwischenspeichern oder auf ihren Servern hosten. Im Gegenzug sind die Dienste verpflichtet, illegale Inhalte nach der Benachrichtigung durch ihre Nutzer zu entfernen ("notice and take down", Art. 14 E-Commerce-Richtlinie). Plattformen haften nicht für die auf ihren Servern gespeicherten Informationen, solange sie keine tatsächliche Kenntnis von dem rechtswidrigen Content haben. Dieser Ansatz, der sich in Sec. 230 des amerikanischen Communication Decency Act wiederfindet, wurde weithin als wesentlicher Baustein des rasanten Erfolgs von Suchmaschinen, Plattformen und Cloud-Diensten im Silicon Valley angesehen. Das NetzDG, welches die Plattformbetreiber faktisch zur Überwachung von Nutzerinhalten drängt, ist ein weiterer Schritt, diesen Grundsatz umzukehren. Auf europäischer Ebene hat bereits die DSM-Richtlinie ((EU) 2019/790) neue Standards gesetzt. Internetdienste müssen nun „nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt alle Anstrengungen unternommen“ haben (Art. 17 Abs. 4 lit. b)), das Teilen urheberrechtlich geschützter Inhalte zu verhindern, wenn sie für das Verhalten ihrer Nutzer nicht verantwortlich sein wollen. Die Diskussion um diesen Paradigmenwechsel in der Haftung der Plattformen ist der breiten Öffentlichkeit unter dem Stichwort „Uploadfilter“ bekannt.

Reform verfassungswidrig?

Das NetzDG soll Falschinformationen und Hassrede im Internet den (notwendigen) Einhalt gebieten. Die Bedeutung sozialer Netzwerke für die freie Meinungsäußerung hat im Laufe des letzten Jahrzehnts stark zugenommen (und ist bereits verfassungsgerichtlich anerkannt, vgl. BVerfG, Beschl. v. 22. Mai 2019- 1 BvQ 42/19). Doch der Spagat zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Meinungsfreiheit sollte nicht alleine den sozialen Netzwerken überlassen werden. Die Kritik an der Novellierung des NetzDG entzündet sich auch an der Pflicht, die gemeldeten Inhalte an das BKA zu übermitteln. Weil die sozialen Netzwerke daran gehalten sind ihre Sperrentscheidung im Rahmen des Gegenvorstellungsverfahrens zurücknehmen, setzen sich die Verantwortlichen einem Strafbarkeitsrisiko aus, wenn die staatliche Überprüfung ergibt, dass der wiederhergestellte Inhalt doch rechtswidrig war. Darüber hinaus sollen neben dem Inhalt auch die IP-Nummern und Portnummern der Nutzer an das BKA gemeldet werden. Diese Einschnitte in die Grundrechte der Plattformbetreiber und -nutzer veranlassten sogar den Bundespräsidenten, die Ausfertigung des Gesetzes zu verweigern und die Legislative zu entsprechenden Nachbesserungen aufzufordern. Stützen kann er sich dabei auf die Einschätzung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, der die Reform ebenfalls für teilweise verfassungswidrig hält.

Ausblick

Dieser in der bundesdeutschen Verfassungsgeschichte eher seltene Vorgang zeigt wie schwer die Vereinbarung der betroffenen Grundrechte in Zeiten des digitalen Meinungsaustausches ist. Die Meinungsfreiheit und die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen sind wichtige verfassungsrechtliche Güter. Der regulatorische Ansatz zur Bekämpfung von „hate speech“ und „fake news“ sollte jedoch nicht einseitig zu Lasten der Intermediäre gehen. Die eingebrachten Reformansätze sind ein weiterer Schritt in Richtung Plattformhaftung, welche die künftige Entwicklung des Internets entscheidend beeinflussen kann.

Es bleibt zu hoffen, dass der für Ende 2020 angekündigte europäische „Digital Services Act“ den Rechtsrahmen für Onlineplattformen harmonisiert und einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz der Meinungsfreiheit, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Unternehmensfreiheit schafft.

Weitere Informationen zum NetzDG finden Sie auch im Artikel: BMJ stellt Gesetzesentwurf zur Regulierung sozialer Netzwerke vor