Die Umsetzung der ECN+-Richtlinie ((EU) 2019/1) wird zu einer Stärkung des deutschen Kartellrechts führen, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlungsbefugnisse der Kartellbehörden.
Zum einen werden Unternehmen nach dem Referentenentwurf zur 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen verpflichtet sein, bei den von den Kartellbehörden durchgeführten Durchsuchungen (sog. Dawn Raids) zu kooperieren. Die Kartellbehörden können bei Nichtbeachtung Bußgelder verhängen. Zweitens werden die Kartellbehörden in der Lage sein, Einzelpersonen zur Erteilung von Auskünften und zur Herausgabe von Dokumenten zu verpflichten. Sowohl die als Zeugen befragten Personen als auch die Personen, gegen die sich das Ordnungswidrigkeitenverfahren richtet, können die Auskunftserteilung nur verweigern, wenn sie sich dadurch selbst belasten würden.
Zwar soll der Adressat eines Auskunftsersuchens nicht gezwungen werden, eine Straftat oder einen Kartellrechtsverstoß zu gestehen. Unter bestimmten Umständen muss er aber dennoch Informationen zur Verfügung stellen, mit denen er sich selbst belastet. Diese Informationen können dann aber nicht in einem Verwaltungs- oder Strafverfahren gegen die Person, die die Informationen zur Verfügung gestellt hat, verwendet werden. Die Informationen können jedoch in einem Verfahren gegen das Unternehmen, das die Person beschäftigt, verwendet werden.
Diese Regelung trägt der Orkem-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Rechtssache 374/87) Rechnung. Allerdings wird hiermit das bislang höhere Schutzniveau in Deutschland auf das Niveau des europäischen Rechts abgesenkt, wodurch die Verteidigungsrechte der Unternehmen eingeschränkt werden. In Deutschland tätige Unternehmen müssen daher ihre internen Richtlinien für das Verhalten bei Dawn Raids überarbeiten.
Eine weitere Neuerung, die sich aus der ECN+ Richtlinie ergibt, betrifft die Bußgelder für Unternehmensvereinigungen. Künftig können gegen Unternehmensvereinigungen Bußgelder verhängt werden, die sich nicht nur nach ihren eigenen Einnahmen (in der Regel Mitgliedsbeiträge) richten, sondern auch nach den Einnahmen derjenigen Mitglieder, deren Tätigkeit mit der Verletzung des Wettbewerbsrechts durch die Vereinigung in Zusammenhang steht.
Schließlich regelt die Umsetzung der ECN+ Richtlinie im Detail die Zusammenarbeit zwischen den deutschen Kartellbehörden und den Kartellbehörden der anderen EU-Mitgliedstaaten. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Möglichkeit des deutschen Bundeskartellamtes, Bußgeldbescheide aus anderen Mitgliedstaaten in Deutschland durchzusetzen.
Die ECN+ Richtlinie wird sicherlich der nächste große Meilenstein in der Geschichte der Durchsetzung des EU-Kartellrechts sein. Die Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass die Ermittlungsbefugnisse der Kartellbehörden deutlich zunehmen und die nationalen Wettbewerbsbehörden ihre Netzwerkaktivitäten weiter intensivieren werden.