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Veranstaltungs­ausfall im Zusammen­hang mit dem Coronavirus

07.04.2020

Wegen des pandemischen Verlaufs von SARS-CoV-2/Covid-19 sind Veranstaltungsausfallversicherer teilweise dazu übergegangen, die Deckung für Corona-bedingte Absagen und Verbote von (Groß-)Veranstaltungen unter Hinweis auf eine sogenannte Gefahrerhöhung abzulehnen. Versicherungsnehmer haben Anlass, diese Position zu hinterfragen.

Europaweit zählen Veranstaltungsverbote zu den wichtigsten Maßnahmen der Seuchenschutzbehörden gegen die Ausbreitung von SARS-CoV-2/Covid-19. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Einschränkungen für kommerzielle Veranstaltungen wie Messen, Sportwettkämpfe oder Konzerte in der ersten Jahreshälfte 2020 gelockert werden. Aus Sicht von Veranstaltungsausfallversicherern realisiert sich deswegen ein Kumulrisiko. Mit dem Argument einer unkalkulierbaren Gefahrenlage leiten manche Versicherer eigene Rechte aus den §§ 23 ff. Versicherungsvertragsgesetz (VVG) her. Das gewaltige Ausmaß der SARS-CoV-2/Covid-19 Epidemie berechtigt die Versichererseite allerdings nicht per se zur Verweigerung der Deckung.

§§ 23 ff. VVG ermöglicht es dem Versicherer, die Leistung zu verweigern, die Versicherung zu kündigen oder die Konditionen bestehender Verträge anzupassen. Kernvoraussetzung ist eine sogenannte Gefahrerhöhung. Letztere wird von Rechtsprechung sinngemäß als neue Entwicklung definiert, die einen Gefahrverlauf auslöst, 

  • der nicht von der Risikobeschreibung des Versicherungsvertrags umfasst ist und
  • der vom Versicherer mit den Mitteln vernünftiger Versicherungstechnik unvorhersehbar war.

Es spricht viel dafür, dass diese Voraussetzungen in der Veranstaltungsausfallversicherung im Zusammenhang mit dem Ausbruch der aktuellen SARS-CoV-2/Covid-19 Epidemie nicht erfüllt sind. 

Erstens ist die Absage der Veranstaltung wegen einer äußeren Gefahrenlage typischerweise ein versichertes Risiko in der Veranstaltungsausfallversicherung. Diesem Versicherungsfall ist es immanent, dass sich der Veranstalter erst bei einer qualitativ schwerwiegenden und konkret verdichteten Gefahrenlage zur Absage entscheidet. Mit dem Ausbruch von SARS-CoV-2/Covid-19 verdichtet sich das bis dato abstrakte Pandemierisiko zu einer konkreten Gefahr für die versicherte Veranstaltung. Der Ausbruch der Pandemie ist deswegen das Ereignis, welches den Veranstaltungsausfall rechtfertigt. Mit anderen Worten handelt es sich um den Eintritt des Versicherungsfalls. Der Versicherungsfall verpflichtet den Versicherer, berechtigt ihn aber nicht zur Lösung vom Vertrag.


Zweitens
ist das Pandemierisiko nicht neu. SARS-CoV-2/Covid-19 stellt eine erhebliche Gefahr für das Leben und die Gesundheit des Einzelnen dar. Außerdem wirkt sich die Infektion massiv auf alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens aus. Dennoch realisieren sich diese Folgen für Versicherungsunternehmen nicht unerwartet. In der jüngeren Geschichte wurden Infektionen mehrfach durch die WHO als Pandemie qualifiziert: Zum Beispiel die Spanische Grippe 1918-1920, die Asiatische Grippe 1957-1958, die Hongkong Grippe 1968, die Russische Grippe 1977-1978 und in jüngster Vergangenheit die Schweinegrippe/H1N1 2009-2010. Diese latente Gefahrenlage ist sowohl in die Notfallpläne des staatlichen Katastrophenschutzes als auch in das Risikomanagement von Versicherungsunternehmen eingeflossen. Letzteres belegt der Umstand, dass viele Versicherungssparten den Pandemiefall als Risikoausschluss definieren.

Drittens schließt sich für Versicherer das Zeitfenster, in dem Rechte aus einer Gefahrerhöhung geltend gemacht werden können. Die §§ 23 ff. VVG sind fristgebunden. Im Regelfall erlöschen die Rechte des Versicherers wegen einer Gefahrerhöhung binnen eines Monats nach Kenntnis des gefahrerhöhenden Umstands. Die chinesischen Behörden haben der WHO den epidemischen Verlauf von Covid-19 erstmals Ende 2019 angezeigt. Spätestens seit diesem Zeitpunkt wurde die Ausbreitung des Virus massiv medial begleitet. Die meisten Maßnahmen deutscher Seuchenschutzbehörde datieren aus März 2020. Deswegen dürfte die oben genannte Monatsfrist für viele Versicherungsverträge bereits verstrichen sein. Welcher Zeitpunkt für den Fristlauf der Gefahrerhöhungsregeln erheblich ist, wurde allerdings von der Rechtsprechung bislang nicht entschieden.

Unternehmen, die sich mit einer Deckungsverweigerung ihres Veranstaltungsausfallversicherers konfrontiert sehen, raten wir zur kritischen Prüfung der zugrundeliegenden Versicherungsverträge. Dieser Beitrag zeigt, dass die pauschale Geltendmachung der §§ 23 ff. VVG nicht überzeugt. Die Rechtslage im Einzelfall kann allerdings wegen der Gestaltung des konkreten Versicherungsvertrags abweichen.

Noerr begleitet Sie gerne bei der Verhandlung von Lösungen


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