Änderungen der VgV – Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Vergabe öffentlicher Aufträge – Noerr Insight No 3
Der Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Vergabe öffentlicher Aufträge („Vergabebeschleunigungsgesetz“) soll ein wesentlicher Schritt sein, um staatliche Beschaffungsprozesse an die aktuellen Anforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft anzupassen. Im Rahmen einer Newsbeitragsreihe werden die wichtigsten Aspekte des Gesetzentwurfs sowie die geplanten Änderungen des Vergaberechts ausführlich erläutert.
Im ersten Teil dieser Reihe wurden die politischen Hintergründe und die übergeordneten Ziele des Vergabebeschleunigungsgesetzes skizziert sowie ein Überblick über die wesentlichen Änderungen beim vergaberechtlichen Rechtsschutz gegeben. Bereits dort wurde deutlich, dass die geplante Reform tief in bestehende Strukturen eingreift, mit dem Ziel, die öffentliche Beschaffung effizienter, digitaler und innovationsfreundlicher zu gestalten.
Der zweite Teil der Beitragsreihe hat die geplanten Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“) hinsichtlich der Gestaltung der Vergabeverfahren beleuchtet. Aus diesen ergaben sich weitreichende Flexibilisierungen und Maßnahmen, um das Ziel zu erreichen, die öffentliche Beschaffung effizienter, digitaler und innovationsfreundlicher zu gestalten.
Der dritte Teil der Beitragsreihe legt nunmehr die geplanten Änderungen der Vergabeverordnung („VgV“) dar.
A. Förderung junger Unternehmen und des Mittelstands
Die im Entwurf vorgesehenen Änderungen der VgV zielen überwiegend auf die Förderung junger Unternehmen und solcher des Mittelstands (kleine und mittlere Unternehmen – KMU). Als junge Unternehmen gelten dabei in der Regel solche, deren Gründung nicht länger als acht Jahre zurückliegt (vgl. Begründung, Seiten 37 und 88).
Um Zugangshürden für junge Unternehmen und KMU abzubauen, soll nach dem geplanten § 42 Abs. 2 VgV bei der Auswahl der Eignungskriterien und Nachweise gemäß § 122 GWB künftig deren besondere Umstände angemessen berücksichtigt werden. Zudem sieht der beabsichtigte § 17 Abs. 5 Satz 2 VgV vor, dass öffentliche Auftraggeber diese Zielgruppe gezielt im Rahmen der Aufforderung zur Angebotsabgabe ansprechen können.
Eine weitere Änderung in § 45 VgV soll klarstellen, dass insbesondere bei jungen Unternehmen ein berechtigter Grund für die Vorlage anderer für die Unternehmen einfacher einzureichenden Nachweise bestehen kann.
Auch die geplante Einführung des § 29 Abs. 3 VgV mit der Vorgabe, dass die Zahlung durch den öffentlichen Auftraggeber spätestens 30 Tage nach Eingang der Rechnung zu erfolgen hat, dient der Unterstützung junger Unternehmen und KMU. Gerade diese sind in besonderem Maße auf eine verlässliche und zügige Zahlungsabwicklung angewiesen.
B. Stärkung der Innovation
Zudem zielen einzelne Änderungsvorschläge darauf ab, innovative Lösungen stärker zu fördern. So soll die geplante Änderung des § 28 Abs. 1 VgV sicherstellen, dass bereits im Rahmen der Markterkundung auch umweltbezogene, soziale sowie qualitative und innovative Aspekte berücksichtigt werden können.
Durch die vorgesehene Anpassung des § 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 VgV soll zudem ein Entscheidungs- und Äußerungsgebot für öffentliche Auftraggeber in Bezug auf Nebenangebote eingeführt werden. Laut der Begründung können durch die Zulassung von Nebenangeboten innovative Lösungen in das Vergabeverfahren eingebracht werden – auch solche, die vom öffentlichen Auftraggeber ursprünglich nicht vorgesehen waren – und im Verfahren erfolgreich sein (vgl. Begründung, Seite 90). Öffentliche Auftraggeber sollen daher künftig aktiv darüber entscheiden, ob sie Nebenangebote zulassen. Diese Entscheidung müssen sie in der Auftragsbekanntmachung offenlegen – eine Begründung ist jedoch nicht erforderlich. Die Regelung soll eine vertiefte Auseinandersetzung des öffentlichen Auftraggebers mit dem positiven Nutzen des Instruments der Nebenangebote bewirken und dadurch deren Anwendung erhöhen.
C. Beschleunigung der Vergabeverfahren
Darüber hinaus sind auch in der VgV Änderungen vorgesehen, die das Vergabeverfahren beschleunigen sollen: Erwähnenswert ist dabei zunächst die geplante Änderung des § 42 Abs. 4 VgV: Künftig soll im offenen Verfahren der sogenannte einfache Wertungsvorgang – also die Angebotsprüfung vor der Eignungsprüfung – zum gesetzlichen Regelfall werden. In der Praxis wird dieses Vorgehen bereits seit Längerem angewendet. Im Sinne der Beschleunigung darf der öffentliche Auftraggeber auch von der Durchführung des vereinfachten Wertungsvorgangs abweichen, wenn durch diesen ein deutlicher erhöhter Aufwand, etwa zeitlicher oder personeller Natur, entstehen würde, namentlich also insbesondere dann, wenn sich die Prüfung der Angebote als deutlich aufwändiger als die Prüfung der Eignung darstellt (vgl. Begründung, Seite 92).
Wie bisher soll § 48 Abs. 1 VgV vorsehen, dass der öffentliche Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung bzw. der Aufforderung zur Interessensbestätigung neben den Eignungskriterien auch die zum Nachweis dieser Kriterien sowie des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen vorzulegenden Unterlagen angeben muss. Der Entwurf sieht darüber hinaus vor, die Vorschrift dahingehend zu ergänzen, dass der öffentliche Auftraggeber zusätzlich angeben muss, wann welche Unterlagen einzureichen sind. Dadurch sollen Bewerber und Bieter eindeutig erkennen können, welche Unterlagen zu welchem Zeitpunkt vorzulegen sind. Die geplante Änderung des § 48 Abs. 2 VgV soll die in § 122 Abs. 3 Satz 2 GWB neu eingeführten Vorschriften (hierzu bereits unter Buchstabe G unseres Noerr Insights vom 06.08.2025) konkretisieren, nach der nur noch diejenigen Unternehmen, die vom öffentlichen Auftraggeber als aussichtsreich identifiziert wurden, Unterlagen vorlegen müssen, die über die Eigenerklärung hinausgehen. Unterlagen, die über die Eignungserklärung hinausgehen, soll der öffentliche Auftraggeber demnach grundsätzlich nicht mehr mit dem Angebot bei Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb oder bei Verfahren mit dem Teilnahmeantrag bei Verfahren mit Teilnahmewettbewerb anfordern. Stattdessen sollen diese Unterlagen erst zu einem späteren Zeitpunkt und nur auf Aufforderung durch den öffentlichen Auftraggeber eingereicht werden.
Der Entwurf sieht zudem vor, dass es hierzu im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers liegen soll, wie viele Unternehmen er zur Einreichung weiterer Unterlagen auffordert. Ihm soll es dabei auch freistehen, den Kreis der aussichtsreichen Unternehmen eng zu fassen – etwa im offenen Verfahren nur vom aussichtsreichsten Unternehmen weitere Unterlagen anzufordern. Hat der Auftraggeber die Anzahl der Bewerber nach Maßgabe von § 51 VgV begrenzt, so muss er diese auch im Rahmen der Aufforderung berücksichtigen.
Dabei soll der geplante § 48 Abs. 2 Satz 2 VgV vorsehen, dass der Auftraggeber bei Anforderung der Unterlagen eine angemessene Frist zur Einreichung setzen muss. Versäumt ein Unternehmen die Einreichung innerhalb der gesetzten Frist, sollen die Vorschriften des §§ 56 und 57 VgV entsprechend gelten. Der Auftraggeber kann die Unterlagen gemäß § 56 VgV nachfordern oder muss das Angebot nach Maßgabe von § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV von der Wertung ausschließen.
D. Änderung der Regelung über die Nachforderung
Auch die Vorschrift des § 56 Abs. 2 VgV, nach der der öffentliche Auftraggeber vom Bewerber oder Bieter unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung Unterlagen nachfordern kann, soll geändert werden und näher an den Wortlaut der Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge angelehnt sein.
Die bislang in der Norm angelegte Unterscheidung zwischen dem Nachfordern unternehmensbezogener und leistungsbezogener Unterlagen soll aufgegeben werden, da dies in der Praxis teilweise zu Abgrenzungsschwierigkeiten geführt habe. Mit der Regelung soll verhindert werden, dass Unternehmen angesichts formeller Fehler bei der Angebotsabgabe vorschnell aus dem Vergabeverfahren ausscheiden müssen, obwohl in materieller Hinsicht die erforderlichen Kriterien durch das Unternehmen erfüllt werden. Die Möglichkeit der Nachforderung von Unterlagen soll weiterhin im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers stehen bleiben (vgl. Begründung, Seite 96).
Problematisch ist hierbei indes, dass der Wortlaut des beabsichtigten § 56 Abs. 2 VgV teilweise mit der Norm des § 48 Abs. 7 VgV konfligiert, soweit nach § 56 Abs. 2 VgV künftig die Erläuterung unvollständiger oder fehlerhafter, mithin vorgelegter, Unterlagen vorgesehen sein soll. Die Erläuterung vorgelegter Unterlagen setzt zunächst ein Aufklärungsbedürfnis voraus und richtet sich nach § 48 Abs. 7 VgV; stellt mithin keine Nachforderung, also eine Einreichung neuer Unterlagen dar. § 56 Abs. 2 VgV spricht in seiner aktuell gültigen Fassung demnach nicht vom Erläutern eingereichter Unterlagen. Die Formulierung in dem geplanten § 56 Abs. 2 VgV dürfte daher im Hinblick auf das „Erläutern“ erhebliche Abgrenzungsproblematiken zu § 48 Abs. 7 VgV bergen, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob der zwingende Ausschlusstatbestand des § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV, der eindeutig auf § 48 Abs. 7 VgV keine Anwendung findet, auf eine künftig unterbliebene Erläuterung nach § 56 Abs. 2 VgV anwendbar sein soll. Die Gesetzesbegründung, die ebenfalls auf die Nachforderung von Unterlagen abstellt, verhält sich hierzu nicht.
E. Ausblick und Fazit
Resümierend zeigt sich, dass auch die geplanten Änderungen der VgV den Ball des gesamten Vergabebeschleunigungsgesetzes aufgreifen und Maßnahmen zur Flexibilisierung, Beschleunigung und Innovation im Vergaberecht umgesetzt werden. Gerade durch die Umsetzung des bereits in der Praxis häufig anzutreffenden Vorgehens einer Angebotsprüfung vor der Eignungsprüfung kann das Vergabeverfahren weiter beschleunigt werden.
Insbesondere stehen die Änderungen der VgV im Zeichen der Förderung junger und innovativer Unternehmen sowie KMU. Gerade hierdurch können „Newcomer“ und zukunftsweisende Start-Ups weiter in den Fokus der öffentlichen Beschaffung rücken und damit zu Gunsten der Auftraggeber für innovativere Lösungen sorgen.
Abzuwarten bliebt im parlamentarischen Verfahren weiterhin, ob der Gesetzgeber im Hinblick auf die Differenzierung zwischen der Erläuterung vorgelegter Unterlagen nach § 48 Abs. 7 VgV sowie der Nachforderung von Unterlagen nach § 56 Abs. 2 VgV, welche durch § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV mit einem Anschlussgrund flankiert ist, eine rechtssichere Nachjustierung vornimmt.
Im vierten Teil dieser Beitragsreihe werden die geplanten Anpassungen in der Konzessionsvergabeverordnung sowie der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit beleuchtet. Jene stehen maßgeblich im Zeichen der Reduktion von Dokumentationspflichten im Bereich der Konzessionsvergabe sowie der flexiblen Beschleunigung und europäischen Zusammenarbeit im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich.
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