Konsultation zum aufsichtsrechtlichen Ansatz der Europäischen Zentralbank bei der Bankenkonsolidierung
Der europäische Bankensektor ist seit längerem durch geringe Rentabilität und Überkapazitäten gekennzeichnet. Die Konsolidierung im Bankensektor wird als ein Weg gesehen, dem zu begegnen und die Nachhaltigkeit der Geschäftsmodelle der Banken zu verbessern sowie die gesamte finanzielle Solidität des europäischen Bankensystems zu erhöhen. Den Aufsichtsbehörden kommt dabei ein wichtige Aufgabe zu, da sie sicherzustellen haben, dass die aus den Konsolidierungen resultierenden Unternehmenszusammenschlüsse den aufsichtsrechtlichen Anforderungen entsprechen und über ein wirksames Risikomanagement verfügen. Am 1. Juli 2020 veröffentlichte die Europäische Zentralbank (EZB) einen Leitfaden zum aufsichtsrechtlichen Ansatz bei der Konsolidierung im Bankensektor (Leitfaden) zur Konsultation. Mit dem Leitfaden soll die Transparenz und Vorhersehbarkeit aufsichtsrechtlicher Maßnahmen erhöht und Kreditinstitute bei der Gestaltung nachhaltiger Projekte unterstützt werden. Interessierte Parteien sind eingeladen, zum Leitfaden bis zum 1. Oktober 2020 Stellung zu nehmen. Die Kernpunkte des Leitfadens werden im Folgenden zusammengefasst.
Der Leitfaden
Der Leitfaden ist in fünf Abschnitte unterteilt und befasst sich mit dem grundsätzlichen Ansatz für die aufsichtsrechtliche Bewertung von Projekten, die eine Konsolidierung von Kreditinstituten zum Gegenstand haben. Adressiert werden die Erwartungen der Aufsicht, dies Herangehensweise an die wichtigsten aufsichtsrechtlichen Aspekte, die laufende Aufsicht über neu zusammengeschlossene Unternehmen und die Anwendung des Rahmenwerks auf Konsolidierungen, an denen weniger bedeutende Institutionen beteiligt sind. Mit dem letztgenannten Punkt wird deutlich, dass der Leitfaden in erster Linie auf Konsolidierungen abzielt, an denen mindestens ein bedeutendes Institut (significant institution) beteiligt ist und dass die Leitlinien für weniger bedeutende Institute nur mit Modifikationen anwendbar sind. Im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Leitfadens ist ferner zu berücksichtigen, dass er nicht für gruppeninterne Konsolidierungen gelten soll. Die EZB betont überdies, dass der Leitfaden keine neuen aufsichtsrechtlichen Anforderungen festlegt, sondern lediglich die Prinzipien erläutert, die dem aufsichtsrechtlichen Ansatz innerhalb der derzeitigen Regulierung zugrunde liegen. Insoweit überrascht es nicht, dass der Leitfaden keine völlig neuen Erkenntnisse enthält, sondern vielmehr eine Richtschnur für die zukünftige - und teilweise bereits bestehende - Verwaltungspraxis vorgibt.
Gesamtansatz für die aufsichtsrechtliche Beurteilung von Konsolidierungsprojekten
Nach dem Leitfaden soll mit der Bewertung von Konsolidierungsprojekten durch die Aufsicht sichergestellt werden, dass das aus dem Unternehmenszusammenschluss hervorgehende Unternehmen alle aufsichtsrechtlichen Anforderungen erfüllt. Das entstehende Unternehmen solle auch nachhaltig sein und dadurch auch die künftige Erfüllung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen ermöglichen.
Das Verfahren für die aufsichtsrechtliche Beurteilung umfasst nach den Leitlinien typischerweise drei Phasen. Zunächst sind die an einem Konsolidierungsprojekt beteiligten Parteien aufgefordert, sich frühzeitig mit der EZB in Verbindung zu setzen und die Kernpunkte des vorgeschlagenen Unternehmenszusammenschlusses darzulegen (frühzeitige Kommunikation). Die zweite Phase wird entweder mit einer Mitteilung über den geplanten Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem Kreditinstitut oder einem Antrag auf Genehmigung eines Unternehmenszusammenschlusses eingeleitet. Die EZB-Bankenaufsicht beurteilt dann den Antrag und entscheidet, ob sie Einwände gegen das angezeigte Projekt erhebt (Antragsphase). Schließlich wird erwartet, dass die Konsolidierung – sofern keine grundsätzlichen Einwände geltend gemacht wurden – im Einklang mit dem Integrationsplan voranschreitet. Dies müsse auf nachhaltige Weise und in voller Übereinstimmung mit den aufsichtsrechtlichen Anforderungen und Bedingungen oder mit den aus der Antragsphase resultierenden Verpflichtungen erfolgen (Umsetzungsphase).
Aufsichtsrechtliche Erwartungen in Bezug auf Konsolidierungsprojekte
Der Leitfaden erläutert die Erwartungen der EZB in Bezug auf Konsolidierungsprojekte. Die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells ist dabei einer der wichtigsten Aspekte. Die Transaktion werde im Hinblick auf Kapital, Strategie, Geschäftsbetrieb, Rentabilität und Risikoprofil bewertet. Dazu sei den Aufsichtsbehörden ein gruppenweiter Geschäftsplan vorzulegen. Dieser Ansatz ist weder für Kreditinstitute noch für interessierte Erwerber neu. Das Geschäftsmodell von Kreditinstituten wird bekanntlich im Rahmen des aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozesses (supervisory review and evaluation process, SREP) regelmäßig überprüft; auch an einem Erwerb bedeutender Beteiligungen an Kreditinstituten interessierte Parteien sind es gewohnt, dass der Geschäftsplan für die nächsten drei Jahre, den sie im Rahmen des Inhaberkontrollverfahrens vorlegen müssen, umfassend überprüft wird. Dies bedeutet freilich auch, dass gegen die entsprechenden Ausführungen im Leitfaden dieselben Bedenken angeführt werden können, nämlich dass bezweifelt werden mag, ob Aufsichtsbehörden wirklich dazu prädestiniert sind, die Tragfähigkeit von Geschäftsmodellen zu beurteilen.
Eine weitere zentrale Erwartung, die im Leitfaden zum Ausdruck kommt, betrifft die Governance- und Risikomanagementstruktur. Die Grundsätze dazu sind in den Leitlinien der Europäischen Bankaufsichtsbehörde zur internen Governance (EBA/GL/2017/11) dargelegt. Zusätzlich zu den Informationen, die in der frühen Kommunikationsphase zur Verfügung gestellt werden (auch unter Berücksichtigung des Proportionalitätsprinzips), müsse der Konsolidierungsplan weitere Einzelheiten enthalten. Dazu gehören nach dem Leitfaden eine angemessene Zusammensetzung des Leitungsgremiums, eine klare Zuweisung von Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnissen, straffe Managementstrukturen und Berichtslinien, eine starke Führungsspitze mit nachgewiesenen Erfahrungen, die zügige Integration des Risikomanagement- und Kontrollrahmens und ein angemessenes Vergütungssystem.
Aufsichtlicher Ansatz bei den zentralen Aspekten eines Konsolidierungsprojekts
Während die allgemeinen Erwartungen der Aufsichtsbehörden an Konsolidierungen nicht wirklich neue Einblicke in die aufsichtlichen Anforderungen einer solchen Transaktion gewähren, sind die Erläuterungen im Leitfaden zu den wichtigsten aufsichtsrechtlichen Aspekten aus praktischer Sicht durchaus interessant. Die EZB erläutert im Leitfaden ihren Ansatz zu drei Aspekten, die nach den Erfahrungen der Vergangenheit bei der Bewertung der Realisierbarkeit eines Unternehmenszusammenschlusses eine Schlüsselrolle spielen können: angemessene Säule-2-Kapitalanforderungen (P2R) und Säule-2-Empfehlungen (P2G)) nach Durchführung der Konsolidierungstransaktion, die aufsichtsrechtliche Behandlung von Badwilll und die Übergangsregelungen für die Verwendung interner Modelle.
Säule-2-Kapitalanforderungen und Säule-2-Empfehlungen
Nach dem Leitfaden soll der aufsichtliche Ansatz für die Berechnung von P2R und P2G nach dem Zusammenschluss von zwei Grundprinzipien geleitet wird. Zum einen soll eine gründliche Bewertung und Abmilderung etwaiger Schwachstellen des zusammengeschlossenen Unternehmens sowie der mit dem Geschäftsplan verbundenen Umsetzungsrisiken erfolgen. Zum anderen soll eine auf das Risikoprofil des zusammengeschlossenen Unternehmens abgestimmte angemessene Höhe des Säule-2-Kapitals gewährleistet sein. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob es sich tatsächlich um zwei Grundprinzipien handeln kann oder ob nicht vielmehr die Festlegung der angemessenen Höhe des Säule-2-Kapitals aus der gründlichen Bewertung des zusammengeschlossenen Unternehmens resultieren muss. Ohne sich mit solchen Überlegungen aufzuhalten, wird im Leitfaden die praktische Anwendung der Prinzipien konkretisiert. So sei eine Erhöhung der qualitativen Kapitalanforderungen zu erwarten, wenn sich mit einem Zusammenschluss das Risikoprofil nicht verbessere oder erhebliche Umsetzungsrisiken wie bspw. bei der IT-Integration entstünden. Dagegen könnte eine Absenkung der Säule-2-Anforderungen erfolgen, wenn mit dem Zusammenschluss eine wirksame Verbesserung der Belastbarkeit des Geschäftsmodells sowie des Risikoprofils des zusammengeschlossenen Unternehmens zu erwarten seien. Die Bestimmung des Ex-post-Kapitalanforderungen der Säule-2 sollten während des Antragsverfahrens mit dem Ziel geklärt werden, für das zusammengeschlossene Unternehmen Planungssicherheit für grundsätzlich mindestens ein Jahr zu schaffen.
Badwill
Von besonderem praktischen Interesse sind die Ausführungen im Leitfaden zum regulatorischen Umgang mit dem sog. Badwill. Dies war eines der intensiv diskutierten Themen bei den Fusionsgesprächen zwischen den beiden größten deutschen Banken im Jahr 2019. Im gegenwärtigen Marktumfeld bei niedrigen Bewertungen von Banken ist Badwill eine durchaus wahrscheinliche Begleiterscheinung eines Zusammenschlusses zweier Banken. Badwill entsteht, wenn ein Unternehmen einen Vermögenswert zu einem geringeren als seinem Nettomarktwert erwirbt, d.h. im Rahmen einer M&A-Transaktion, wenn eine Bank ein anderes Kreditinstitut zu einem Preis erwirbt, der unter seinem Buchwert liegt. Der aufsichtsrechtliche Ansatz in Bezug auf Badwill basiert auf der Erfassung seines bilanziellen Wertes. Im Grundsatz erkennt die EZB einen ordnungsgemäß geprüften, buchhalterischen Badwill aus aufsichtsrechtlicher Sicht an. Sie erwartet allerdings, dass er dazu verwendet wird, die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells des zusammengeschlossenen Unternehmens zu erhöhen. Dies bedeutet insbesondere, dass Badwill nicht dazu verwendet wird, Ausschüttungen an Aktionäre zu ermöglichen, bevor sich die Nachhaltigkeit des zusammengeschlossenen Instituts gezeigt hat. Die EZB will daher sowohl die tatsächliche Verwendung des Badwill als auch die Frage prüfen, wie er zur Stärkung der Eigenmittel des zusammengeschlossenen Unternehmens nach der Fusion beitragen wird. Dies macht deutlich, dass die EZB nicht generell Badwill für die Zwecke der Stärkung der regulatorischen Kapitaldecke ablehnt. Daraus folgt für die Praxis, dass die EZB den Aufsichtsbehörden Flexibilität bei der Einschätzung einzelner Transaktionen einräumt.
Interne Modelle
In der Regel wird die Genehmigung zur Verwendung interner Modelle für die Berechnung des Kapitalbedarfs einer bestimmten juristischen Person erteilt. Bei einem Unternehmenszusammenschluss kann daher die Gründung neuer Einheiten oder die Übertragung von Risiken auf bestehende juristische Personen, die andere Einheiten inkorporieren, Fragen zur weiteren Verwendung interner Modelle aufwerfen. In solchen Fällen soll es nach dem Leitfaden unter bestimmten Bedingungen einen begrenzten Zeitraum geben, in dem die aus dem Unternehmenszusammenschluss hervorgegangenen Banken die vor dem Zusammenschluss bestehenden internen Modelle weiter verwenden können. Dieses Entgegenkommen ist nicht per se unbekannt, sondern wurde in ähnlicher Weise bereits bei Umstrukturierungen von Unternehmensgruppen im Rahmen des Brexit gewährt.
Laufende Aufsicht über das neu zusammengeschlossene Unternehmen
Um bei Bedarf rasch aufsichtsrechtliche Maßnahmen ergreifen zu können, will die EZB die Umsetzung des Integrationsplans genau überwachen. Der verbesserte Überwachungsrahmen umfasst laut Leitfaden spezifische Berichtsanforderungen für das zusammengeschlossene Unternehmen, einen klaren und detaillierten Plan der EZB, ein neues Unternehmen in ihre Aufsichtstätigkeit einzubeziehen (wie z.B. im Rahmen des SREP), und Aufsichtsmaßnahmen zur Adressierung von Risiken, die nicht von den quantitativen Kapitalanforderungen abgedeckt werden. Die Dauer der verstärkten Überwachungsphase soll sich nach dem Zeitplan des Integrationsablaufs richten.
Anwendung des aufsichtsrechtlichen Ansatzes auf Konsolidierungstransaktionen mit weniger bedeutenden Institutionen (LSIs)
Der im Leitfaden enthaltene aufsichtliche Ansatz soll grundsätzlich auch für Konsolidierungsprojekte gelten, an denen weniger bedeutende Institute (LSIs) beteiligt sind. Allerdings seien in diesem Falle die Zuständigkeiten nationalen Aufsichtsbehörden zu berücksichtigen. So wird insbesondere darauf hingewiesen, dass die Zuständigkeit der EZB in Bezug auf LSIs auf Unternehmenszusammenschlüsse beschränkt ist, die den Erwerb einer bedeutenden Beteiligung beinhalten.
Schlussfolgerung und Ausblick
Die Veröffentlichung des Leitfadens zeigt, dass die EZB und andere Aufsichtsbehörden bestrebt sind, die Stabilität des Bankensystems zu erhöhen, indem sie die Konsolidierung im Finanzsektor fördern. Der Inhalt des Leitfadens unterstreicht jedoch auch, dass die EZB entschlossen ist, den Konsolidierungsprozess eng zu begleiten und die Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen zu prüfen. Ob der Leitfaden von den Marktteilnehmern vor diesem Hintergrund als Signal dafür wahrgenommen wird, dass Übernahmen und Zusammenschlüsse von Kreditinstituten begrüßt und durch regulatorische Erleichterungen unterstützt werden, erscheint ungewiss. Für die Praxis dürfte die grundsätzliche Anerkennung des Badwills durch den Leitfaden wohl der Schritt sein, der Marktteilnehmern am ehesten einen Anstoß geben könnte, Zusammenschlüsse von Kreditinstituten aktiv zu verfolgen. Freilich ist auch anzuerkennen, dass sich die Aufsichtsbehörden ein gewisses Maß an Flexibilität bewahren wollen, da es bei der Konsolidierung im Bankensektor keinen "one size fits all"-Ansatz geben kann. Im Ganzen lässt sich damit festhalten, dass mit dem Leitfaden ein Schritt in die richtige Richtung gemacht wurde. Man darf gespannt sein, ob weitere Schritte, vielleicht schon als Ergebnis des Konsultationsverfahrens, folgen werden.
Bestens
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