News

Vereinfachte Eigenkapitalaufnahme in Zeiten der Krise

11.11.2020

A. Einführung des EU-Wiederaufbauprospekts zur vereinfachten Eigenkapitalaufnahme

Vor dem Hintergrund der durch die Covid-19-Pandemie ausgelösten Welle an Lockdowns innerhalb Europas sollen zur Deckung des voraussichtlichen Finanzierungsbedarfs nach den fortgeschrittenen Plänen des europäischen Verordnungsgebers vereinfachte Möglichkeiten für Emittenten zur Eigenkapitalaufnahme durch Sekundäremissionen von Aktien geschaffen werden. Dabei sollen insbesondere mit der bevorstehenden Einführung eines vereinfachten "EU-Wiederaufbauprospekts" (EU Recovery Prospectus) bisherige regulatorische Hürden für die Rekapitalisierung von Emittenten für einen befristeten Zeitraum deutlich abgebaut werden. Durch die vereinfachte Eigenkapitalaufnahme sollen Emittenten ihre Eigenkapitalbasis stärken und ihren Verschuldungsgrad verbessern. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der bislang dominierenden Fremdkapitalaufnahme durch Emittenten zur Abwendung von (potentiellen) Liquiditätsengpässen während der Covid-19-Pandemie, z.B. durch die Aufnahme von KfW-Krediten.

B. Der EU-Wiederaufbauprospekt

Mit der Einführung des EU-Wiederaufbauprospekts möchte die Europäische Kommission Emittenten zur Eigenkapitalaufnahme animieren, die bisher vom Zeit- und Kostenaufwand abgeschreckt wurden, der mit der Erstellung eines Wertpapierprospekts typischerweise verbunden ist. Dies soll insbesondere auch solche Emittenten einschließen, die aufgrund einer finanzieller Schieflage auf eine schnelle und kostengünstige Möglichkeit der Kapitalzuführung angewiesen sind. Vor diesem Hintergrund müsse nach Ansicht der Europäischen Kommission dafür Sorge getragen werden, dass eine Prospekterstellung für Sekundäremissionen von Aktien kein Hindernis für die Eigenkapitalaufnahme sei. Zum Abbau dieses (vermeintlichen) Hindernisses möchte die Europäische Kommission durch ihren Vorschlag zur Änderung der Prospektverordnung vom 24. Juli 2020 ("Kommissionsentwurf")[1] mit dem EU-Wiederaufbauprospekt eine Art „Kurzprospekt“ schaffen, der durch eine (zunächst vorübergehende) Änderung der geltenden Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 ("EU-Prospektverordnung") eingeführt werden soll.

Ziel der Initiative ist es, einen Prospekt zu ermöglichen, der für Emittenten leicht zu erstellen, für Anleger leicht zu verstehen und für die zuständige Billigungsbehörde leicht zu überprüfen und zu billigen ist. Hierbei wird ein enger Zusammenhang mit der Covid-19 Pandemie hergestellt, weshalb diese neue Form des Prospekts voraussichtlich zunächst nur bis zum 31. Dezember 2022[2] genutzt werden kann. Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (Committee on Economic and Monetary Affairs) des Europäischen Parlaments ("ECON") hat in seinem Berichtsentwurf vom 8. Oktober 2020 ("Berichtsentwurf")[3] jedoch bereits signalisiert, dass er sich auch dauerhaft eine vereinfachte Prospektform vorstellen könne, um den Aufwand für Sekundäremissionen von Aktien künftig zu erleichtern.[4] Eine solche Änderung des Prospektrechts könnte schon im Zuge der geplanten Überarbeitung der EU-Prospektverordnung im Jahr 2022 eingeführt werden.

I. Prospektadressaten

Der EU-Wiederaufbauprospekt soll ausschließlich für Sekundäremissionen von Aktien bereits notierter Emittenten zur Verfügung stehen. Dies steht im Einklang mit der geltenden EU-Prospektverordnung, die vereinfachte Prospektregelungen nur in engen Grenzen bzw. für einen eng begrenzten Adressatenkreis vorsieht. Hiermit trägt der europäische Verordnungsgeber dem Umstand Rechnung, dass eine Vielzahl der im Prospekt darzustellenden Informationen bereits öffentlich verfügbar ist, insbesondere infolge von Regelberichterstattung, Ad-hoc-Mitteilungen und anderen Zulassungsfolgepflichten dieser Emittenten.

Konkret sollen die folgenden Emittenten bzw. Anbieter einen EU-Wiederaufbauprospekt erstellen können:

  • Emittenten, deren Aktien mindestens während der letzten 18 Monate ununterbrochen zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen waren und die Aktien emittieren, die mit den vorhandenen zuvor begebenen Aktien fungibel sind,

  • Emittenten, deren Aktien mindestens während der letzten 18 Monate ununterbrochen auf einem KMU-Wachstumsmarkt gehandelt wurden, vorausgesetzt, dass ein Prospekt für das Angebot dieser Aktien veröffentlicht wurde, und die Aktien emittieren, die mit den vorhandenen zuvor begebenen Aktien fungibel sind, sowie

  • Anbieter von Wertpapieren, die mindestens während der letzten 18 Monate ununterbrochen zum Handel an einem geregelten Markt oder an einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen waren[5].

Der vorstehende Adressatenkreis entspricht damit dem bereits bekannten Adressatenkreis des vereinfachten Prospektregimes für Sekundäremissionen nach Artikel 14 Abs. 1 lit. a) und c) der EU-Prospektverordnung. Somit können in Deutschland auch Emittenten, deren Aktien im Scale-Segment des Freiverkehrs der Frankfurter Wertpapierbörse gehandelt werden, dem einzigem KMU-Wachstumsmarkt in Deutschland, einen EU-Wiederaufbauprospekt erstellen.[6]

Der EU-Wiederaufbauprospekt kann sowohl für das öffentliche Angebot von neuen Aktien als auch für deren Zulassung zum Handel am regulierten Markt genutzt werden. Auf die Emission von Anleihen oder anderen Finanzinstrumenten ist die neue Prospektart hingegen nicht anwendbar.[7]

II. Prospektform/-umfang

Der EU-Wiederaufbauprospekt ist als einheitliches Dokument zu erstellen und soll nach dem Kommissionsentwurf einen Umfang von 30 DIN-A4-Seiten nicht überschreiten. Der ECON hat den Kommissionsentwurf insoweit konkretisiert, als dass auch die Zusammenfassung, die ihrerseits nicht mehr als zwei DIN-A4-Seiten umfassen darf, von den 30 Seiten umfasst sein muss. Die Zusammenfassung soll dabei – wie üblich – den Anfang des Prospekts bilden. Insgesamt ist der Umfang des EU-Wiederaufbauprospekts im Vergleich zu einem (vereinfachten) Prospekt für Dividendenwerte, der in der Regel weit mehr als 100 Seiten umfasst, damit stark verkürzt.

III. Prospektinhalt

Der EU-Wiederaufbauprospekt soll verkürzte Informationen enthalten, die es Anlegern ermöglichen, sich über (i) die Aussichten des Emittenten und bedeutende Änderungen seiner Geschäfts- und Finanzlage seit Ablauf des letzten Geschäftsjahres und (ii) die wesentliche Informationen über die Aktien, die Gründe für die Emission und ihre Auswirkungen auf die Kapitalstruktur des Emittenten insgesamt sowie die Verwendung der Erlöse zu informieren. Der Inhalt des EU-Wiederaufbauprospekt ist dabei in leicht zu analysierender, knapper und verständlicher Form zu präsentieren, wobei die Reihenfolge des dargestellten Inhalts im Ermessen der Prospektverantwortlichen steht.

Dazu sind wesentliche Erleichterungen gegenüber dem vereinfachten Prospektregime für Sekundäremissionen nach Artikel 14 der EU-Prospektverordnung vorgesehen. Ins Gewicht fällt dabei insbesondere, dass eine Beschreibung der Geschäftstätigkeit des Emittenten nicht erforderlich ist. Insoweit soll es für den Anleger zumutbar sein, sich selbstständig auf der Website des Emittenten zu informieren, die im Prospekt genannt sein muss. Zudem muss der EU-Wiederaufbauprospekt auch keine Angaben zu den wesentlichen Verträgen, zu den Führungsgremien des Emittenten, zu Geschäften mit verbundenen Parteien und zu Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren enthalten. Auch ist eine Darstellung der Verwässerung der Aktionäre durch die geplante Emission entbehrlich. Schließlich entfallen weitere Angaben wie der Warnhinweis zur Steuergesetzgebung, Angaben zum Aktienkapital, zu Wertpapieren mit Wandel-, Umtausch- oder Optionsrechten, und zu Akquisitionsrechten sowie Angaben zu öffentlichen Übernahmeangeboten und die Erklärung zur Existenz nationaler Rechtsvorschriften zu Übernahmen. Der Emittent ist ferner nicht verpflichtet, die in den letzten zwölf Monaten gemäß VO (EU) Nr. 596/2014 offengelegten Informationen, die zum Datum des Prospekts relevant sind, zusammenzufassen.

Konkret soll der EU-Wiederaufbauprospekt nach dem Kommissionsentwurf insbesondere die folgenden Mindestangaben enthalten:

  • eine Zusammenfassung, die in die für die anderen Prospektarten bekannten vier Abschnitte (I. Einleitung mit Warnhinweisen; II. Basisinformationen über den Emittenten; III. Basisinformationen über die Wertpapiere; IV: Basisinformationen über das öffentliche Angebot/die Zulassung zum Handel am geregelten Markt) zu gliedern ist,

  • eine Erklärung der für den Prospekt verantwortlichen Personen,

  • eine Beschreibung der wesentlichsten Risiken, die speziell den Emittenten und die Aktien betreffen,

  • eine Darstellung der relevanten Finanzinformationen für die letzten zwölf Monate vor der Billigung des EU-Wiederaufbauprospekts. Eine Einbeziehung der bereits veröffentlichten Abschlüsse durch Verweis ist zulässig. Darüber hinaus muss der Emittent jede wesentliche Veränderung der Finanzlage seit dem letzten Stichtag der Abschlüsse beschreiben,

  • eine Darstellung der (i) wichtigsten Trends in Bezug auf Produktion, Umsatz und Vorräte sowie Kosten und Ausgabepreise seit dem Ende des letzten Geschäftsjahres bis zum Datum des EU-Wiederaufbauprospekts und (ii) bekannte Trends, Unsicherheiten, Nachfragen, Verpflichtungen oder Ereignisse, die voraussichtlich die Aussichten des Emittenten zumindest im laufenden Geschäftsjahr wesentlich beeinflussen dürften,

  • eine Erklärung, ob das Geschäftskapital des Emittenten für dessen aktuelle Verpflichtungen ausreicht,

  • den endgültigen Emissionskurs und Aktienvolumen, einschließlich Zusage von Aktionären über mehr als 5 % und Namen der Zeichner, und

  • weitere Informationen zum Ort und Zeitpunkt der Zeichnung der Aktien, zu den Gründen für das Angebot und zur Verwendung der Erlöse, zu etwaigen Interessenkonflikten im Zusammenhang mit der Emission und zum Aktienbesitz nach der Emission.

Der ECON hat in seinem Berichtsentwurf vorgeschlagen, die Mindestangaben des EU-Wiederaufbauprospekts gegenüber dem Kommissionentwurf an zwei Stellen zu erweitern. Danach soll ein EU-Wiederaufbauprospekt zusätzlich die folgenden Angaben enthalten:

  • eine Übersicht zur Kapitalausstattung und Verschuldung, die nicht älter als 90 Tage sein darf, sowie

  • eine Beschreibung der Dividendenpolitik des Emittenten.

Das Ziel eines erleichterten Prospektentwurfs für Emittenten wird dadurch teilweise relativiert, weil insbesondere die Aufstellung der Übersicht zur Kapitalausstattung und Verschuldung mit nicht unerheblichem Aufwand verbunden ist. Andererseits erscheint es naheliegend, dass der Gesetzgeber Angaben zur Kapitalausstattung und Verschuldung als wesentliche Information für Anleger ansieht, wenn der Emittent aufgrund der Covid-19-Pandemie eine Rekapitalisierung anstrebt.

Zweifelhaft ist die Vorgabe, dass der Emittent den endgültigen Emissionskurs in den EU-Wiederaufbauprospekt aufzunehmen hat. Dies könnte dahingehend zu verstehen sein, dass ein EU-Wiederaufbauprospekt nur für Sekundäremissionen mit einem vorab festgelegten Platzierungspreis zur Anwendung gelangen kann. Dann müsste für Bezugsrechtskapitalerhöhungen, bei denen eine aktienrechtlich zulässige Festlegung des Bezugspreises während der laufenden Bezugsfrist erfolgen soll, ein vollumfänglicher Prospekt oder ein vereinfachter Prospekt für Sekundäremissionen erstellt werden. Warum die Anleger aber gerade in diesen Fällen besonders schutzbedürftig sein sollen, erschließt sich nicht.

IV. Prospektbilligung

Abweichend von der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen für Prospekte nach der EU-Prospektverordnung soll die Prüfungsfrist der zuständigen Behörde für einen EU-Wiederaufbauprospekt lediglich fünf Arbeitstage betragen. Zudem hat der Emittent die zuständige Behörde mindestens fünf Arbeitstage vor dem Antrag auf Billigung des EU-Wiederaufbauprospekts über die Antragstellung zu unterrichten.

Die verkürzte Prüfungsfrist ist grundsätzlich zu begrüßen. Die konkrete Verfahrensdauer wird jedoch letztlich von der Verfahrenspraxis und Auslastung der Aufsichtsbehörden wie der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ("BaFin") im konkreten Einzelfall abhängen. Aufgrund der zuletzt teilweise sehr hohen Auslastung der zuständigen BaFin-Referate wird daher auch die Erstellung und Billigung eines EU-Wiederaufbauprospekts einer sorgfältigen und möglichst frühzeitigen Vorabstimmung mit der BaFin bedürfen.

C. Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Die Europäische Kommission hat den Kommissionsentwurf am 24. Juli 2020 verabschiedet. Gegenwärtig ist das Europäische Parlament mit diesem Vorschlag befasst und bereitet seine Stellungnahme in erster Lesung vor. Gleichzeitig hat der ECON bereits am 8. Oktober 2020 seinen Berichtsentwurf veröffentlicht, in dem er dem Europäischen Parlament vielfältige Änderungen vorgeschlagen hat. Zudem hat der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (Committee on the Internal Market and Consumer Protection) des Europäischen Parlaments am 9. November 2020 über den Entwurf einer Stellungnahme an den ECON beraten, der weitere Änderungen des Kommissionsentwurfs empfiehlt. Die finale Entscheidung des ECON über seinen Bericht wird für den 19. November 2020 erwartet. Anschließend wird das Plenum des Europäischen Parlaments über den geänderten Entwurf beschließen und diesen an den Rat weiterleiten.

Billigt der Rat den Vorschlag in der Fassung des Europäischen Parlaments, ist dieser als Gesetz erlassen. Hat der Rat hingegen weitere Änderungswünsche, wird der Vorschlag erneut dem Europäischen Parlament zur zweiten Lesung übermittelt. Der weitere zeitliche Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens hängt demnach davon ob, ob der Rat den Vorschlag in seiner gegenwärtigen Entwurfsform akzeptiert.

Wir werden Sie über die weiteren Entwicklungen auf dem Laufenden halten.

D. Fazit

Der EU-Wiederaufbauprospekt wird Emittenten bis zum 31. Dezember 2022 voraussichtlich eine schnelle Eigenkapitalaufnahme mit geringem prospektrechtlichem Aufwand ermöglichen. Emittenten, die in den Anwendungsbereich des EU-Wiederaufbauprospekts fallen und eine Kapitalerhöhung beabsichtigen, sollten die Inanspruchnahme des neuen Prospektregimes daher im Rahmen der Prüfung einer Eigenkapitaltransaktion berücksichtigen. Denn mit der Einführung des EU-Wiederaufbauprospekts wird die hohe Hürde einer Prospekterstellung erheblich gesenkt und damit der Weg für eine kurzfristige Durchführung einer (Bezugsrechts-)Kapitalerhöhung geebnet.

Die Einführung eines Maximalumfangs für den gesamten Prospekt ist ein Novum in der Geschichte des Prospektrechts. Für die Praxis wird die Einhaltung dieses Maximalumfangs daher eine neue Herausforderung darstellen. Es bleibt daher abzuwarten, wie die neue Prospektart insbesondere von den transaktionsbegleitenden Banken aufgenommen werden wird. Eigenkapitaltransaktionen unter Nutzung des EU-Wiederaufbauprospekts sollten daher frühzeitig mit der/den Banken, den beteiligten Rechtsberatern und der BaFin abgestimmt werden.

[1]    Abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52020PC0281
[2]    Seite 8 des Berichtsentwurfs (wie nachstehend definiert). Die Europäische Kommission hatte zuvor eine Dauer von 18 Monaten ab Einführung des EU-Wiederaufbauprospekts vorgeschlagen.
[3]    Abrufbar unter https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/ECON-PR-658908_DE.pdf
[4]    Ebenda.
[5]    Seite 10 des Berichtsentwurfs.
[6]    Zwar ist das Scale-Segment erst seit dem 16. Dezember 2019 als KMU-Wachstumsmarkt registriert, weshalb die Frist von 18 Monaten erst am 16. Juni 2021 abliefe. Es dürfte allerdings ausreichen, dass die Aktien des Emittenten ununterbrochen 18 Monate im Scale-Segment gehandelt wurden, ohne dass das Segment selbst bereits 18 Monate als KMU-Wachstumsmarkt registriert ist.
[7]    Vgl. Seite 3 des Kommissionsentwurfs, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52020PC0281.