Zur EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Whistleblowing-Richtlinie)
Welche Unterschiede ergeben sich durch die Richtlinie im Hinblick auf den Schutz von Hinweisgebern?
Am 07.10.2019 beschlossen die EU-Mitgliedstaaten eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, auf die sich das Europäische Parlament und der Rat am 11.03.2019 geeinigt hatten. Binnen zwei Jahren müssen die Mitgliedsstaaten die Richtlinie nun in nationales Recht umsetzen. Nachdem unsere Kollegen Daniel Happ und Karolin Fitzer in der vergangenen Woche die Neuregelungen bereits überblicksartig dargestellt haben, soll mit diesem Beitrag eine Serie von insgesamt fünf Beiträgen erscheinen, in der die Neuerungen etwas ausführlicherer dargestellt werden sollen.
Diese Richtlinie soll sog. Whistleblower, die Hinweise über Rechtsverstöße in Unternehmen geben, nicht nur vor jeder Art von Repressalien schützen. Sie fördert Whistleblowing darüber hinaus, indem sie Unternehmen sowie öffentliche Stellen gleichermaßen in die Pflicht nimmt, Hinweiswegebersysteme zu schaffen. Während die bisherige Rechtslage solche Hinweisgebersysteme nur vereinzelt und bereichsspezifisch, schwerpunktmäßig im Finanzsektor (vgl. §§ 25a Abs. 1 S. 6 Nr. 3 KWG, § 4d Abs. 1 FinDAG, 6 Abs. 5 und 53 GwG, 25 Abs. 6 VAG, 28 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 KAGB, 55b Abs. 2 Nr. 7 WPO) vorschreibt, verlangt die Richtlinie die Schaffung solcher Meldekanäle unabhängig vom Tätigkeitsfeld des Unternehmens. Anders als bestehende nationale Regelungen stellt die Richtlinie zugleich Anforderungen an die zu schaffenden Meldesysteme auf.
Diese Beitragsserie soll aufzeigen, welche Änderungen sich für Unternehmen insbesondere in organisatorischer und arbeitsrechtlicher Hinsicht ergeben. Dabei wird dieser erste Teil der Serie zunächst beleuchten, inwiefern die Richtlinie den Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien verändert. Im 2. Teil dieser Serie werden die Anforderungen vorgestellt, die die Richtlinie an die zu schaffenden Meldesysteme stellt. Im weiteren Verlauf dieser Serie wird darauf einzugehen sein, inwiefern die Richtlinie durch den weitreichenden Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien Missbrauchspotential eröffnet und wie Arbeitgeber sich vor Missbrauch schützen können (demnächst in Teil 3 dieser Serie). Außerdem wird das Spannungsfeld zwischen den Anforderungen der Richtlinie, die Geheimhaltung der Identität des Hinweisgebers zu gewährleisten, einerseits und datenschutzrechtlichen Informations- und Auskunftspflichten der vom Hinweis betroffenen Person andererseits beleuchtet und aufgezeigt, wie beiden – scheinbar gegenläufigen Anforderungen – genügt werden kann (demnächst in Teil 4 dieser Serie). Die Beitragsserie wird mit Handlungsempfehlungen für Unternehmen abschließen (demnächst in Teil 5 dieser Serie).
1. Umfang des Schutzes von Hinweisgebern
Wesentlicher Zweck der Richtlinie ist der Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien. Melden die Hinweisgeber die erlangten Informationen intern und extern oder auf direktem Weg extern, gewährt ihnen Art. 5 der Richtlinie einen Anspruch auf Schutz, sofern sie hinreichenden Grund zur der Annahme hatten, dass die offenbarten Informationen zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen und in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Externe und interne Meldungen stehen also gleichberechtigt nebeneinander. Das war wesentlicher Streitpunkt im Rat bei der Entstehung der Richtlinie. Zusätzlich zur internen Meldung oder zur externen Meldung an Behörden sieht die Richtlinie noch vor, dass der Hinweisgeber sich an die Öffentlichkeit wenden darf, ohne Repressalien fürchten zu müssen. Dieser Schutz soll aber nur dann greifen, wenn der Hinweisgeber zuvor erfolglos interne oder behördliche Hinweissysteme in Anspruch genommen hat oder die Veröffentlichung im öffentlichen Interesse liegt. Sind die gemeldeten Informationen bereits öffentlich in vollem Umfang bekannt oder handelt es sich um unbegründete Spekulationen oder Gerüchte, genießt der Hinweisgeber allerdings nicht den Schutz der Richtlinie (Erwägungsgrund 43).
Zum Schutz des Hinweisgebers verbietet die Richtlinie gemäß Art. 19 Repressalien jeder Art. Als mögliche Repressalien nennt Art. 19 die Suspendierung oder Entlassung, die Degradierung oder die Versagung einer Beförderung, die Versetzung, eine negative Leistungsbeurteilung, eine Abmahnung oder sonstige Diskriminierung. Die Schutzmaßnahmen können nicht vorab in einem Arbeitsvertrag individualvertraglich abbedungen werden (Art. 24). Erleidet der Hinweisgeber entgegen dem Verbot in Art. 19 Repressalien, hat er einen Anspruch auf Entschädigung. Dieser umfasst neben Wiederherstellung und finanziellem Ausgleich auch die Zahlung von Schmerzensgeld (Erwägungsgrund 96).
2. Voraussetzungen für den Schutz von Hinweisgebern
Den vorgenannten Schutz gewährt die Richtlinie Hinweisgebern, die im privaten oder öffentlichen Sektor tätig sind und im beruflichen Kontext Informationen erlangt haben. Umfasst sind insbesondere Arbeitnehmer, Beamte, Selbstständige, Anteilseigner und Organmitglieder, Praktikanten und Volontäre sowie Mitarbeiter von Unterauftragnehmern und Lieferanten. Auch Mittler, Dritte, die mit dem Hinweisgeber in Verbindung stehen (z.B. Kollegen, Verwandte), sowie juristische Personen aus dem Wirkungskreis des Hinweisgebers fallen in den Schutzbereich (Art. 4 Abs. 4). Personen, die in keinem Arbeitsverhältnis zum Unternehmen stehen, haben als Repressalie nach Vorstellung des Richtliniengebers etwa Rufschädigungen zu befürchten (Erwägungsgrund 41). Die Richtlinie gilt zwar auch für Personen, deren Arbeitsverhältnis noch nicht begonnen hat oder bereits beendet ist. In beiden Konstellationen ist aber eine tatsächliche Wirkung der Richtlinie fraglich, da das Verbot jedenfalls von arbeitsrechtlichen Repressalien in erster Linie für aktuelle Arbeitnehmer sinnvoll sein dürfte. Erwägungsgrund 40 der Richtlinie sieht für solche Personen trotzdem eine Gefahr für negative Empfehlungen oder das Führen schwarzer Listen bzw. geschäftlichen Boykott.
In sachlicher Hinsicht ist der Anwendungsbereich der Richtlinie aus kompetenzrechtlichen Gründen auf solche Informationen beschränkt, die Verstöße gegen Rechtsakte des Unionsrechts aus den Bereichen Vergaberecht, Finanzdienstleistungen einschließlich Geldwäscherecht, Produktsicherheit einschließlich Lebens- und Futtermittelsicherheit sowie Tierschutz, Umwelt- und Gesundheitsschutz, Verbraucher- und Datenschutz betreffen (Art. 6). Das erfasst schon eine Vielzahl von Rechtsgebieten. Die Beschränkung ist aber lediglich Folge der nur eingeschränkten Rechtssetzungskompetenz des Unionsgesetzgebers. Für die Umsetzung ins nationale Recht steht zu erwarten, dass der deutsche Gesetzgeber den Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzes auf weitere Verstöße gegen nationales Recht, insbesondere auf Korruptionstaten, ausweitet, zumal Art. 2 Abs. 2 dies ausdrücklich gestattet. Das wäre nachvollziehbar, da Hinweisgeber nicht ermutigt würden, wenn ihr Schutz von der anschließenden rechtlichen Bewertung des Verstoßes abhinge. Umgekehrt wäre wünschenswert, wenn eine gewisse Beschränkung auf bestimmte schwerwiegende Verstöße erhalten bliebe, um nicht einem Denunziantentum bei Bagatellen Vorschub zu leisten.
Stellt die Beschaffung der Information eine Straftat dar, werden die Hinweisgeber jedoch nicht geschützt (Art. 21 Abs. 3). Für den in der Praxis sicher häufigen Fall eines eigentlich strafrechtlich relevanten Verstoßes gegen das GeschGehG, wenn nämlich Teile der weitergegebenen Information ein Geschäftsgeheimnis darstellen, gilt diese Ausnahme nicht. § 4 Nr. 2 GeschGehG sieht hier einen ausdrücklichen Ausnahmetatbestand vor. Ob die Beschaffung zivilrechtlich bzw. vertraglich erlaubt war, soll jedoch für den Schutz des Hinweisgebers keine Relevanz haben (Erwägungsgrund 94).
Aus welcher Motivation heraus der Hinweisgeber die Informationen meldet, ist für seinen Schutz hingegen irrelevant (Erwägungsgrund 33). Auch dies weicht von der gegenwärtigen Rechtslage ab. Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entfiel der Kündigungsschutz für Hinweisgeber, die primär aus gegen den Arbeitsgeber gerichteten Gründen Informationen offenlegten, selbst dann, wenn die Meldung objektiv rechtmäßig war.
3. Änderungen der bisherigen arbeitsrechtlichen Behandlung in Deutschland
Das nationale Recht sieht nur vereinzelt einen Schutz der Hinweisgeber vor Repressalien vor (etwa §§ 4d Abs. 6 FinDAG, 53 Abs. 5 GwG). Gegen arbeitsrechtliche Repressalien ohne AGG-rechtlichen Hintergrund konnte der Hinweisgeber bislang daher häufig nur nach § 612a BGB vorgehen. Das allgemeine Maßregelverbot des § 612a BGB verbietet eine Benachteiligung eines rechtmäßig agierenden Arbeitnehmers. Diesen bislang geltenden Maßstab verändert die Richtlinie in zweierlei Hinsicht.
Zum einen greift der Schutz des § 612a BGB tatbestandlich nur ein, wenn der Arbeitnehmer sein Recht in zulässiger Weise ausübt. Dies war nach der bisherigen Rechtslage nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer die Hinweise ohne vorherige interne Meldung direkt extern gemeldet hat, sofern er durch die Offenlegung von Informationen seine Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitsgeber verletzte. Nachdem das Verhältnis von internen und externen Meldekanälen Gegenstand von Diskussionen während des Gesetzgebungsverfahrens war, sieht die Richtlinie nun vor, dass internen Meldungen kein Vorrang gegenüber externen Meldungen zukommt. Zwar sind die Mitgliedstaaten in Art. 7 Abs. 2 dazu aufgerufen, sich für eine vorrangig interne Meldung einzusetzen. Wie eine solche Motivation zur vorrangigen Nutzung interner Meldewege aber konkret ausgestaltet sein soll, ist unklar. Denn der Schutz des Hinweisgebers vor Repressalien hängt nach der Richtlinie nicht davon ab, ob der Hinweisgeber die Verstöße zunächst intern oder direkt extern gemeldet hat.
Zum anderen kehrt die Richtlinie die Beweislastregeln des § 612a BGB um. Im Rahmen von § 612a BGB obliegt es nämlich dem Arbeitnehmer, den Beweis zu erbringen, dass die Offenlegung von Informationen ursächlich für seine Benachteiligung durch seinen Arbeitgeber war. Gemäß Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie muss hingegen der Veranlasser der Benachteiligung beweisen, dass die Benachteiligung nicht im Zusammenhang mit dem Whistleblowing erfolgte. Begründet wird diese Beweislastverteilung damit, Unternehmen verfügten über die notwendigen Ressourcen, die Gründe für die benachteiligende Maßnahme zu dokumentieren und nachzuweisen (Erwägungsgrund 95). Zwar ist von einem Verstoß gegen das Verbot von Repressalien nur dann auszugehen, wenn ein enger kausaler Zusammenhang zwischen der Meldung und der erlittenen Benachteiligung besteht (Erwägungsgrund 44). Relativiert wird diese Einschränkung aber bereits dadurch, dass trotz eines engen Zusammenhangs mittelbare Benachteiligungen genügen sollen. Bedenklich ist die beim Arbeitgeber liegende Beweislast besonders insofern, als die Richtlinie in Art. 19 ein sehr weites Verständnis von Repressalien festlegt. So steht das Verbot von Repressalien bspw. einer Nichtverlängerung eines Zeitarbeitsvertrages entgegen. Kann ein Unternehmen den Nachweis, dass die Nichtverlängerung des Arbeitsvertrages in keinem engen Zusammenhang mit dem Whistleblowing steht, nicht erbringen, greift dieses Verbot zumindest faktisch erheblich in die geltende Vertragsfreiheit ein. Daran ändert auch Erwägungsgrund 44 nichts, demzufolge Arbeitgeber durch die Richtlinie nicht daran gehindert werden sollen, Entscheidungen über das Beschäftigungsverhältnis unabhängig von der Offenlegung zu treffen.
Faktisch wird ein Arbeitnehmer damit nahezu unkündbar, wenn (i) er einen Rechtsverstoß im Unternehmen behauptet, sofern er nicht sicher weiß oder grob fahrlässig nicht weiß, dass dieser unrichtig ist und (ii) das Unternehmen den fehlenden Zusammenhang zur Kündigung nicht nachweisen kann. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Anschuldigungen des Hinweisgebers als richtig herausstellen. Denn der Arbeitnehmer kommt gemäß Art. 5 Abs. 1 bereits dann in den Genuss des Schutzes vor Repressalien, wenn er nur mit genügendem Anlass glaubte, dass in dem Unternehmen Rechtsverstöße begangen werden. Die mit der Richtlinie insoweit verbundene Schwächung der Stellung der Unternehmen gegenüber von Arbeitnehmern spitzt sich dadurch weiter zu, dass weder die Richtlinie noch die Erwägungsgründe die Geltung der Beweislastumkehr eine zeitliche Nähe zwischen der Offenbarung und der Benachteiligung verlangt. Damit kann der Arbeitnehmer auch noch lange Zeit nach der Abgabe seines Hinweises den von der Richtlinie gewährte Schutz vor Repressalien für sich beanspruchen.
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