Der 9. Noerr Competition Day – Weltweites Auseinanderdriften der Kartellrechtsstandards gefährdet den Wettbewerb

21.02.2020

Der Brexit wird Unternehmen mit einer höheren Kontrolldichte bei Fusionsvorhaben und mehr Durchsuchungen von Kartellbehörden konfrontieren. „Dies trifft Unternehmen in einer Zeit eines immer stärker spürenbaren Auseinanderdriftens der kartellrechtlichen Anforderungen – insbesondere im Digitalbereich – in Europa, China und den USA“, sagte Dr. Fabian Badtke auf dem Noerr Competition Day, den die Sozietät Noerr zum 9. Mal ausrichtete. Der Leiter der Kartellrechtspraxis von Noerr moderierte die von mehr als 200 internationalen Kartellrechtsexperten besuchte Konferenz in München.

„Nach Ablauf des Übergangszeitraums werden wir mehr parallele Untersuchungen durch die EU-Kommission und die britische Wettbewerbsbehörde sehen“, betonte Dr. Jens Peter Schmidt. Dies betrifft nach Meinung des Co-Leiters des Brüsseler Noerr-Büros nicht nur die Fusionskontrolle, bei der – trotz des grundsätzlich freiwilligen Anmeldeverfahrens im Vereinigten Königreich – mehr inländische Untersuchungen zu erwarten seien. Auch werde die Zahl der Kartelluntersuchungen steigen und zwar immer dann, wenn eine Zuwiderhandlung Auswirkungen in der EU und dem britischen Markt hat.

Der Brexit wird nach Meinung von Jens Peter Schmidt das politische Gleichgewicht innerhalb der verbleibenden „EU-27“ verschieben: „Das Vereinigte Königreich ist eine liberale Marktwirtschaft und sein Einfluss auf die Wettbewerbspolitik der EU in der Vergangenheit nicht zu unterschätzen.“ William Turtle, Partner der britischen Kanzlei Slaughter and May, wies auf die möglichen Auswirkungen dieser Verschiebung auf die Kartellrechtsdurchsetzung hin: „Während sowohl die EU als auch das Vereinigte Königreich voraussichtlich einen ähnlichen Ansatz bei der Bewertung digitaler Plattformen verfolgen werden, könnte die EU-Kommission ohne das Vereinigte Königreichs von stärkeren Mitgliedsstaaten dazu gedrängt werden, im Rahmen der EU-Fusionen einen strengeren Kurs gegenüber staatlichen oder staatlich unterstützten Unternehmen zu verfolgen.“

Doch nicht nur der Brexit bereitet den Kartellrechtsexperten Sorge. Noerr-Partner Dr. Alexander Birnstiel sieht auf die Unternehmen auch auf globaler Ebene neue Herausforderungen zukommen. „Bei der Anpassung der kartellrechtlichen Regelungen an das digitale Zeitalter setzen Europa, China und die USA unterschiedliche Akzente“, sagte Birnstiel. „Unterschiedliche Standards werden aber Wettbewerb erschweren und Monopole zementieren.“ Birnstiel diskutierte darüber im Rahmen einer Panel-Diskussion mit den General Counseln Dr. Sebastian Biedenkopf (Robert Bosch) und Duco Zoomer (DAF Trucks) sowie mit Charles F. (Rick) Rule, Co-Chair Antitrust der US-Kanzlei Paul Weiss, und Yingling Wei, Leiterin Antitrust der chinesischen Kanzlei JunHe.

Das im Rahmen der zehnten Novelle des GWB geplante Digital-Update des deutschen Kartellrechts ist nach Meinung von Dr. Kathrin Westermann, Kartellrechtspartnerin bei Noerr in Berlin, auch vor diesem Hintergrund zu beurteilen. Die geplanten Änderungen seien insgesamt sinnvoll und der deutsche Gesetzgeber demonstriere damit auch ein hohes Maß an Innovationskraft. „Einerseits könnte Deutschland neue kartellrechtliche Maßstäbe mit der Reform setzen“, sagte Westermann. „Es besteht andererseits aber die Gefahr, dass sich das ,digitale Kartellrecht global immer stärker auseinanderentwickelt.“

Auf ein weiteres grundsätzliches Problem wies der Hamburger Noerr-Partner Prof. Dr. Karsten Metzlaff hin, der gemeinsam mit Dr. Reto Batzel, Head of Competition & Compliance bei der Metro AG, einen Workshop zur Überarbeitung der Vertikal-GVO leitete. „Die rasanten Veränderungen der Digital- und Plattformökonomie lassen sich kaum noch mittels einer starren Verordnung nachzeichnen. Eine Alternative könnten regelmäßig überarbeitete Leitlinien darstellen.“