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Schaffung einer Kapital­markt­union – EU Kommission zieht Halbzeit­bilanz

13.09.2017

Am 30. September 2015 hat die Europäische Kommission ihren „Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion“ beschlossen (hier abrufbar), der bis zum Ablauf des Jahres 2019 umgesetzt werden soll. In ihrer am 8. Juni 2017 hierzu veröffentlichten Halbzeitbilanz (hier abrufbar) hat die Kommission die bereits verwirklichten Maßnahmen aufgelistet und zugleich den bisherigen Aktionsplan überarbeitet und ergänzt. Neu sind die sogenannten „priority actions“. Sie sind Ausdruck der ökonomischen Analyse der Kommission zu langfristigen Entwicklungen und Versäumnissen innerhalb des Finanzsystems. Auch neue Entwicklungen – wie der Brexit und die Zunahme von technologischen Entwicklungen im Finanzdienstleistungsbereich („FinTech“) – wurden dabei berücksichtigt.

Was ist der Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion?


Bei dem Aktionsplan handelt es sich um ein Programm der Europäischen Kommission, das aus einem Katalog regulatorischer und nicht regulatorischer Maßnahmen besteht. Dahinter steht das übergeordnete Ziel, private und öffentliche Investitionen stärker zu fördern und die Finanzmarktintegration langfristig voranzutreiben, um das europäische Finanzsystem zu stabilisieren und zu verbessern. Diese langfristigen Ziele sollen durch ein wettbewerbsfähigeres, effizienteres, stabileres und integrierteres Kapitalmarktumfeld erreicht werden. Die operativen Ziele beinhalten die Schaffung eines leichteren – innerhalb der EU gleichlaufenden – Zugangs zu unternehmensbezogenen Informationen, einen leichteren und gerechteren Markt- und Produktzugang sowie eine bessere Durchsetzung der bestehenden Regelungen, um mehr Rechtssicherheit und einen besseren Schutz für Investoren zu gewährleisten.

Welche Kernbereiche sind betroffen?


Im Rahmen ihrer Halbzeitbilanz hat die Kommission die folgenden Kernthemen herausgearbeitet, in die sich auch die priority actions einfügen.

  • Ein Kernthema liegt in der Steigerung der Leistungsfähigkeit der europäischen Kapitalmärkte. Ziel der Kommission ist es, bestehende Hürden für grenzüberschreitende Investitionen abzubauen, indem Compliance- und Betriebskosten für grenzüberscheitend tätige Unternehmen reduziert werden. Ein Kostenfaktor liegt in den unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen auf nationaler Ebene infolge uneinheitlicher Umsetzung von Richtlinien und deren Durchsetzung. Die Kommission sieht deshalb eine Priorität darin, diese Unterschiede zu verringern, indem sie der europaweiten Aufsicht mehr ausschließliche Zuständigkeiten überträgt und die rechtlichen Rahmenbedingungen in diesem Bereich vereinheitlicht (Schlagwort: ‚Single Rule Book‘). Sie wird noch im dritten Quartal 2017 eine Gesetzesänderung der Vorschriften zur Arbeitsweise der Europäischen Finanzaufsichtsbehörden („ESA“) vorschlagen. Geplant ist unter anderem eine Erweiterung der Befugnisse der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde („ESMA“). Diese Erweiterung soll bis hin zu einer Direktaufsicht reichen, wie sie bereits auf vergleichbare Weise bei Ratingagenturen und Produktinterventionen existiert. Auch der Förderung lokaler und regionaler Kapitalmärkte, besonders in Zentral-, Ost- und Südosteuropa, misst die Kommission große Bedeutung bei. Hierzu wird sie im zweiten Quartal 2018 eine umfassende Strategie vorstellen.

  • Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Schaffung von mehr Finanzierungsmöglichkeiten für Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen („KMU“), weil für diese – gerade im Anfangsstadium – regelmäßig keine ausreichende Fremdfinanzierung über Banken (z.B. durch Kredite) zur Verfügung steht. Diesem Ziel diente bereits die Reform der Europäischen Risikokapitalfonds („EuVECA-Fonds“), welche die Registrierung und den grenzüberschreitenden Vertrieb von EuVECA Fonds vereinfachen soll, um Investitionen in KMU zu fördern (vgl. hierzu Noerr-Newsletter Ausgabe September 2016, hier abrufbar). Zudem wird die Kommission prüfen, wie FinTech nutzbar gemacht werden kann, um die Finanzierung und die grenzüberschreitenden Aktivitäten von KMU zu erleichtern (z.B durch die Schaffung eines unionsweiten Rechtsrahmen zur Zulassung von FinTech-Tätigkeiten und die Vergabe eines „Europäischen Passes“).

  • Die Kommission beabsichtigt zudem, die Kapitalbeschaffung für KMU über den Kapitalmarkt zu erleichtern. In ihrer Halbzeitbilanz weist sie darauf hin, dass für KMU aufgrund von höheren Informationsasymmetrien, höheren Fixkosten und der geringeren Nachfrage von institutionellen Investoren und Privatanlegern noch immer strukturelle Hemmnisse beim Zugang zu öffentlichen Kapitalmärkten bestehen. Sie beabsichtigt, ein mit Rücksicht auf die geringe Größe von KMU angemessenes regulatorisches Umfeld zu schaffen, welches Börsengänge für KMU attraktiver macht, aber gleichzeitig ausreichend Schutz für Investoren bietet. Mit der Reformierung der Prospektrichtlinie, die bis zum 21. Juli 2019 vollständig umgesetzt werden soll, wurden bereits erste Schritte getan, um den Kapitalmarktzugang für KMU zu erleichtern (vgl. Noerr-Newsletter Ausgabe Oktober 2015, hier abrufbar; und Ausgabe Juli 2017, hier abrufbar). Die Kommission wird zudem noch im vierten Quartal 2017 einen Gesetzesvorschlag zur Änderung der aufsichtsrechtlichen Behandlung von Wertpapierfirmen nach CRD/CRR vorlegen. Dieser könnte zu einer Reduzierung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen auf ein für die Größe und das Wesen der Wertpapierfirmen angemessenes Maß führen.

  • Die Kommission hat sich auch einige Maßnahmen vorgenommen, um langfristige Investitionen, Investitionen in Infrastruktur und Investitionen mit einem ökologischen, sozialen oder ethischen Schwerpunkt zu unterstützen. Maßnahmen in diesem Bereich umfassen unter anderem eine Untersuchung der Anreize zu Eigenkapitalinvestitionen für Rentenfonds und Versicherungsunternehmen, eine Änderung der aufsichtsrechtlichen Behandlung von Private Equity und Privatplatzierungen und die Überprüfung des Risikozuschlags für Investitionen in Infrastrukturunternehmen.

  • Nach Ansicht der Kommission werden der europäischen Wirtschaft derzeit zu wenig private Mittel über Investitionen auf dem Kapitalmarkt zur Verfügung gestellt. Ein weiterer Kernbereich betrifft deshalb die Förderung derartiger Investitionen, beispielsweise durch die Entwicklung eines Produkts für die unionsweite Altersvorsorge (Pan-European Pension Product – „PEPP“).

  • Ein weiteres Ziel ist es, die Leistungsfähigkeit von Banken zu steigern und dadurch deren Bereitschaft zur Bewilligung von Krediten – insbesondere für KMU – zu erhöhen, um die Wirtschaft insgesamt zu stärken. Gedeckte Schuldverschreibungen (hierunter fallen insbesondere deutsche Pfandbriefe) spielen dabei eine große Rolle, denn sie stellen eine wichtige Finanzierungsquelle für Banken dar. Derzeit sind Investitionen in gedeckte Schuldverschreibungen infolge der regulatorischen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten mit hohen Kosten verbunden. Deshalb soll ein für Anfang 2018 geplanter Gesetzesvorschlag einen unionsweiten Rechtsrahmen für gedeckte Schuldverschreibungen schaffen. Darüber hinaus möchte die Kommission den Handel mit notleidenden Krediten auf dem Sekundärmarkt durch Maßnahmen zur Schaffung höherer Transparenz verbessern, da diese Kredite die Bilanz von Banken stark belasten. Im Jahr 2018 könnte zudem eine Gesetzesinitiative erfolgen, durch die es Gläubigern erleichtert werden soll, ihre Kreditsicherheiten gegenüber Unternehmen durchzusetzen.

  • Das letzte Kernthema betrifft allgemein die Erleichterung grenzüberschreitender Investitionen. Unter anderem will die Kommission einen Gesetzesvorschlag zu Kollisionsregeln bezüglich der Auswirkungen von Transaktionen mit Wertpapieren und Forderungen auf Dritte vorantreiben. Daneben erwägt sie für das erste Quartal 2018 einen Gesetzesvorschlag zur Verbesserung des grenzüberschreitenden Vertriebs von alternativen Investmentfonds („AIFs“) und von Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere („OGAW“) und deren Beaufsichtigung. Es sind aber auch weitere Maßnahmen in anderen Bereichen, wie z.B. Steuern und Corporate Governance geplant.

Ausblick


Die Schaffung der Kapitalmarktunion ist ein Großprojekt, das aufgrund der Komplexität des Vorhabens viele Einzelmaßnahmen in verschiedenen Regelungsbereichen erfordert. Die Halbzeitbilanz legt die Vermutung nahe, dass die Kommission dazu tendiert, ihr Ziel der Schaffung einer Kapitalmarktunion zunehmend über regulatorische Maßnahmen auf supranationaler Ebene zu erreichen. Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung könnte darin liegen, dass die nationalen Finanzaufsichtsbehörden große Unterschiede in ihren Arbeitsweisen aufweisen. Ein weiterer Grund könnte auch darin zu sehen sein, dass die Kommission verhindern möchte, dass die nationalen aufsichtsrechtlichen Standards unter dem – infolge des Brexits zu erwartenden – Wettbewerb der Mitgliedsstaaten um das britische Geschäft leiden. Über die weiteren Entwicklungen halten wir Sie selbstverständlich auf dem Laufenden.