Anwendung des § 64 GmbHG auf den Direktor einer Limited
Der EuGH hatte sich vorliegend mit einem Vorabentscheidungsersuchen des BGH zu beschäftigen. Eine nach englischem/walisischen Recht gegründete Ltd. war in Insolvenz geraten. Über das Vermögen der Gesellschaft hatte das AG Erfurt das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Ltd. war im Handelsregister in Cardiff eingetragen und hatte eine im Handelsregister des Amtsgerichts Jena eingetragene deutsche Zweigniederlassung. Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Ltd. lag in Deutschland. Der Insolvenzverwalter erhob gegen die Direktorin der Ltd. Zahlungsklage auf der Grundlage von § 64 Abs. 2 GmbHG a.F., da die Direktorin noch nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Ltd. Zahlungen veranlasst haben soll. Der BGH möchte nun vom EuGH geklärt wissen, ob § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. (§ 64 Satz 1 GmbHG n.F.) auf Geschäftsführer von Gesellschaften angewandt werden kann, die zwar nach dem Recht eines anderen EU-Mitgliedstaates gegründet worden wurden, doch den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen in Deutschland haben und ob eine solche Klage gegen die Niederlassungsfreiheit nach Artikel 49 und 54 AEUV verstößt.
Gemäß Artikel 4 Abs. 1 der EU-Insolvenzverordnung Nr. 1346/2000 gilt für ein Insolvenzverfahren das Insolvenzrecht desjenigen Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird. Zuständig für die Insolvenzeröffnung sind nach Artikel 3 Abs. 1 der EU-Insolvenzverordnung die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, hier also Deutschland. Der EuGH stellte nun fest, dass § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. eine insolvenzrechtliche Norm im Sinne des Artikel 4 Abs. 1 der EU-Insolvenzverordnung ist, die auf Geschäftsführer ausländischer Gesellschaften im Falle eines in Deutschland eröffneten Insolvenzverfahrens Anwendung finden kann. Um die praktische Wirksamkeit von Artikel 4 Abs. 2 der EU-Insolvenzverordnung sicherzustellen, sei der Wortlaut („Das Recht des Staates…, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird…“) nämlich dahin auszulegen, dass in seinen Anwendungsbereich erstens die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, zweitens die Regeln für die Bestimmung der zur Stellung des Antrags auf Eröffnung dieses Verfahrens verpflichteten Personen und drittens die Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung fallen. Daher seien nationale Bestimmungen wie § 64 Abs. 1 und 2 S. 1 GmbHG, mit denen der Sache nach ein Verstoß gegen die Pflicht zur Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geahndet wird, auch aus diesem Blickwinkel als in den Anwendungsbereich von Artikel 4 der EU-Insolvenzverordnung fallend anzusehen.
Ferner stellte der EuGH fest, dass die Anwendung dieser Norm auf die Organe einer Ltd. keinen Verstoß gegen die europarechtlich garantierte Niederlassungsfreiheit darstellt. Die Anwendung einer nationalen Bestimmung wie § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG betreffe weder die Gründung einer Gesellschaft in einem bestimmten Mitgliedstaat noch ihre spätere Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat. Diese Bestimmung des nationalen Rechts finde nur nach der Gründung der Gesellschaft im Rahmen ihrer Tätigkeit Anwendung, genauer gesagt, entweder ab dem Zeitpunkt, zu dem sie nach dem nationalen Recht, das gemäß Artikel 4 der EU-Insolvenzverordnung anwendbar ist, als zahlungsunfähig anzusehen sei, oder ab dem Zeitpunkt, zu dem ihre Überschuldung im Einklang mit diesem nationalen Recht festgestellt werde.
Bestens
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