Modernisierung des Vergaberechts
Die 2014 in Kraft getretenen EU-Richtlinien zur Modernisierung des Vergaberechts sind bis April 2016 in nationales Recht umzusetzen – der kürzlich vorgelegte Regierungsentwurf zur Änderung des GWB gibt Aufschluss über geplante Neuerungen.
I. Vergaberechtsmodernisierung - Hintergrund
Ein wenig verspätet hat das Bundeskabinett am 08.07.2015 den seitens des BMWi vorgelegten “Gesetzentwurf zur Modernisierung des Vergaberechts” verabschiedet. Dem Referentenentwurf des Ministeriums war ein Eckpunktepapier der Bundesregierung vom 07.01.2015 vorangegangen, das die grobe Struktur und den Zeitplan zur Umsetzung der am 17.04.2014 in Kraft getretenen EU-Vergaberichtlinien 2014/23/EU, 2014/24/EU und 2014/25/EU in nationales Recht umrissen hatte.
Vorgenannte EU-Richtlinien, von denen die RL 2014/24/EU (klassische Vergaben) und ggf. die RL 2014/23/EU (Konzessionsrichtlinie) für die Healthcare-Industrie von Interesse sein dürften, sind bis zum 18.04.2016 in nationales Recht umzusetzen.
Der Gesetzgeber plant, die anstehende Novelle auch zur Vereinfachung des derzeit bestehenden Vergaberechtsregimes in Deutschland zu nutzen. Dementsprechend soll inhaltlich mehr als derzeit im 4. Teil des GWB geregelt werden, die Regelungen der VOL/A (und der VOF) sollen vollständig in das GWB sowie die – neu gefasste – Vergabeverordnung (VgV) überführt und die Konzessionsvergabe erstmalig in einer eigenen Verordnung normiert werden.
Insbesondere der 4. Teil des GWB wird künftig erheblich an Bedeutung gewinnen, da hier nunmehr alle wesentlichen Vorgaben zur Vergabe öffentlicher Aufträge (und von Konzessionen) enthalten sein werden – von der Leistungsbeschreibung über den Ablauf des Vergabeverfahrens bis zur Zuschlagserteilung und Ausführung des Auftrags.
II. Wesentliche Eckpunkte des GWB-E – mit Healthcare-Bezug
In dem vorgelegten Regierungsentwurf zur Änderung des 4. Teils des GWB (GWB-E) werden die Grundzüge des Vergabeverfahrens in Kapitel 1 (§§ 97 – 154 GWB-E) und das Nachprüfungsverfahren in Kapitel 2 (§§ 15 – 184 GWB-E) beschrieben.
Allgemeine Neuerungen
Ebenso wie in vielen anderen Branchen werden sich auch Auftraggeber und Auftragnehmer im Bereich der Erbringung von medizinischen Dienstleistungen und in der Pharma- und Medizintechnikindustrie bei der Auftragsvergabe ab April 2016 mit einer Reihe von Änderungen und Ergänzungen innerhalb des GWB-E auseinanderzusetzen haben.
So werden bspw. Einzelheiten zu Rahmenvereinbarungen (§ 103 Abs. 5 GWB-E), zur Vergabe von Konzessionen (§§ 105, 148 ff. GWB-E), zur Leistungsbeschreibung (§ 121 GWB-E) und Eignung der Unternehmen (§ 122 GWB-E) sowie zu Ausschlussgründen (§§ 123 f. GWB-E) und zu Vertragsausführungsbedingungen (§§ 128 f. GWB-E) in das GWB-E ein- bzw. in überarbeiteter Form aus der VgV und den Vergabeordnungen in das GWB-E überführt.
Abweichend von der bisherigen Rechtslage wird dem Auftraggeber ab April 2016 auch Wahlfreiheit zwischen dem offenen Verfahren (als einstufigem Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb) und dem nichtoffenen Verfahren (als zweistufigem Verfahren mit Teilnahmewettbewerb) eingeräumt (§ 119 Abs. 2 GWB-E).
Die in den Vergaberichtlinien vorgesehene, zwingende Vorgabe zur Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel (ggf. unter Rückgriff auf längere Umsetzungsfristen) wird in § 97 Abs. 5 GWB-E lediglich angelegt – Näheres wird den zu überarbeiteten Vergabeverordnungen zu entnehmen sein.
Im Einklang mit den Richtlinienvorgaben sind darüber hinaus einige Regelungen nun erstmalig normiert. Dies trifft bspw. auf Monitoring- und Statistikpflichten zu (§ 114 GWB-E). In materieller Hinsicht sieht das GWB-E nunmehr auch ausdrückliche Regelungen zu Selbstreinigungsmechanismen vor, nach denen Bieter Compliance-Verstöße mit Ausschlusswirkung bereinigen können (§ 125 GWB-E). Auch die Regelungen zu Auftragsänderungen sowie dem Umgang mit (ausschreibungspflichtigen) „wesentlichen“ Vertragsänderungen und der Kündigungsmöglichkeit des Auftraggebers als Rechtsfolge einer ausgebliebenen Ausschreibung in solchen Fällen (§§ 132, 133 GWB-E) sind neu und erstmalig normiert. Schließlich finden sich auch konkrete Regelungen zur Möglichkeit einer ausschreibungsfreien (vertikalen oder horizontalen) Kooperation zwischen öffentlichen Stellen im GWB-E (§ 108 GWB-E).
Besondere Auswirkungen auf den Healthcare-Sektor
Spezifische Neuerungen (ausschließlich) mit Auswirkungen auf Beschaffungsvorhaben in der Pharma- und Medizintechnikindustrie oder im Bereich der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen sind zwar nicht ausdrücklich im GWB-E geregelt. Allerdings ist durchaus zu erwarten, dass sich die Konsequenzen bestimmter Richtlinienvorgaben und Neuregelungen insbesondere im Healthcare-Sektor zeigen werden:
- So ist nicht auszuschließen, dass „kooperationsbereite“ öffentliche Auftraggeber im Bereich der Erbringung von Krankenhaus- und anderen Gesundheitsleistungen (wie Leistungen im Bereich der medizinischen Labordiagnostik oder Dienstleistungen zugunsten der GKV) die nunmehr konkretisierte Möglichkeit der ausschreibungsfreien Zusammenarbeit durch Inhouse-Vergaben oder horizontaler öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit (§ 108 GWB-E) noch aktiver nutzen werden, als bisher, um sich gegenüber ihren privaten Wettbewerbern zu positionieren. Dabei ist zu beachten, dass die Grenze des im Rahmen der ausschreibungsfreien Zusammenarbeit zulässigen Drittumsatzes außerhalb der Kooperation auf 20% festgeschrieben wurde (was nach der bisherigen Rechtsprechung zumindest unklar war).
- Sollte die Weiterentwicklung im Bereich e-Health und Telemedizin auch in Deutschland (endlich) wesentliche Ausmaße annehmen, stünde die neu eingeführte Möglichkeit der Innovationspartnerschaft (§ 119 Abs. 7 GWB-E) zwischen öffentlichen Auftraggebern (wie den Krankenkassen der GKV oder öffentlichen Krankenhausunternehmen) und bspw. den Unternehmen der Medizintechnikindustrie zur gemeinsamen Entwicklung und dem anschließenden Erwerb innovativer Produkte und Verfahren offen. Diese Partnerschaft kann unter erleichterten Bedingungen initiiert und „vergeben“ werden.
- Künftig werden „Aufträge über soziale und andere besondere Dienstleistungen“, worunter auch medizinische Dienst- und ggf. flankierende Lieferleistungen im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung zählen können, vereinfacht vergeben werden können. Dementsprechend darf der Auftraggeber (bspw. die Krankenkassen der GKV) zumindest das Verfahren frei wählen (§ 130 GWB-E).
- Schließlich bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber die neuen EU-Richtlinieninhalte zum Anlass nehmen könnte, auch im Bereich der Leistungserbringer- und Selektivverträge des SGB V – bspw. im Vergaberegime zur Hilfsmittelbeschaffung unter öffentlicher Ausschreibung oder Gestaltung als „open-house-Vertrag“ (§ 127 SGB V) oder mit Blick auf die Verträge zur Integrierten Versorgung (§ 140a SGB V) – weitergehende Änderungen, Ergänzungen oder gar Neuregelungen zur Vergabe von Gesundheitsleistungen vorsehen wird.
III. Fazit und Ausblick
Insgesamt lässt sich die anstehende Vergaberechtsmodernisierung zwar als größte, vergaberechtliche Novelle des letzten Jahrzehnts einordnen. Ohne sich kategorisch am Richtlinienwortlaut zu halten, werden die Vorgaben auf EU-Ebene mit dem GWB-E dabei in weiten Teilen 1:1 umgesetzt.
Materielle Änderungen im Vergleich zur derzeitigen Rechtslage (und dementsprechende praktische Auswirkungen der Novellierung) dürften allerdings von überschaubarem Ausmaß bleiben, da in vielen Bereichen bereits existierende und in der Praxis angewandte Grundsätze der Vergaberechtsprechung (des EuGH) ohne wesentliche Abweichungen normiert werden – so bspw. die nunmehr ausdrücklich geregelten Selbstreinigungsmechanismen (§ 125 GWB-E), die Bestimmungen zu Vertragsänderungen und Rechtsfolgen in §§ 132, 133 GWB-E oder die Regelungen zu vergabefreien öffentlich-öffentlichen Kooperationsformen (§ 108 GWB-E). Dass die bislang durch die Rechtsprechung vorgegebenen Grundsätze in diesen Bereichen nunmehr ausdrücklich geregelt und konkretisiert werden, ist angesichts damit einhergehender, gesteigerter Rechtssicherheit aber sinnvoll und begrüßenswert.
Auch die praktische Konsequenz der neuen Wahlfreiheit mit Blick auf die Verfahrensarten (offenes / nichtoffenes Verfahren) dürfte überschaubar bleiben, da die praxisrelevante Hürde, als Auftraggeber in das weitaus flexibler ausgestaltete Verhandlungsverfahren zu gelangen, nach wie vor bestehen bleiben wird (§ 119 Abs. 2 Satz 2 GWB-E).
Nachdem der Kabinettsbeschluss zur GWB-Novelle im Juli gefasst wurde, ist im Herbst 2015 mit dem Gesetzgebungsverfahren in Bundestag und Bundesrat zu rechnen. Auch der Kabinettsbeschluss zu den neu zu fassenden Verordnungen (insbesondere die VgV und die Konzessionsvergabeverordnung) ist für diesen Zeitraum angekündigt. Nach Abschluss der Gesetzgebung im Winter 2015 geht der Gesetzgeber derzeit von einem Inkrafttreten der Umsetzungsgesetzgebung pünktlich zum 18.04.2016 aus. Ob der betreffende Zeitplan tatsächlich eingehalten wird, bleibt allerdings abzuwarten.
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