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Preis­bindungs­verbot im Lebens­mittel­einzel­handel - Bundes­kartell­amt veröffentlicht finales Hinweis­papier

13.07.2017

Das Bundeskartellamt („BKartA“) hat am 12.07.2017 sein finales Hinweispapier zu Fragen des Preisbindungsverbots im Bereich des stationären Lebensmitteleinzelhandels („Hinweispapier“, hier abrufbar) veröffentlicht. Anhand von Praxisbeispielen soll das Hinweispapier Unternehmen der Branche (und auch weiterer Wirtschaftsbereiche) Hintergrund, Zweck und Reichweite des Preisbindungsverbots erläutern. Vorausgegangen war eine öffentliche Konsultation zu einem bereits Ende Januar 2017 veröffentlichten Entwurf des Hinweispapiers. Die eingegangenen Stellungnahmen haben Einfluss insbesondere auf die Verständlichkeit der Praxisbeispiele genommen.

Hintergrund

Wegen illegaler Preisabsprachen zwischen Händlern und Herstellern der Lebensmittelbranche hatte das BKartA im sog. Vertikalfall Bußgelder in Höhe von insgesamt EUR 260,5 Mio. gegen 27 Unternehmen der Lebensmittelbranche verhängt. In dem umfassenden und – nach beinahe sieben Jahren – erst im Dezember 2016 abgeschlossenen Verfahren sanktionierte das BKartA damit zahlreiche Praktiken, die – aus Sicht und nach Überzeugung des BKartA – einen Verstoß gegen das Kartellverbot durch eine illegale vertikale Preisbindung und einen unzulässigen Informationsaustausch zwischen Herstellern und Händlern begründet hatten.

Den Vertikalfall, dessen Bedeutung auch nach Ansicht des BKartA über den Lebensmitteleinzelhandel („LEH“) hinausgeht, hat das BKartA zum Anlass genommen, die im Vertikalfall gesammelten Erfahrungssätze in dem Hinweispapier zu vereinen. Zusätzliche Erkenntnisse zog das Bundeskartellamt aus seiner von 2011 bis 2014 durchgeführten Sektoruntersuchung zum LEH in Deutschland (hier abrufbar). Das Hinweispapier soll insbesondere kleineren und mittleren Händlern und Herstellern als Leitfaden und Orientierungshilfe dienen. Eine erste Hilfestellung zur (vorläufigen) Bewertung vertikaler Praktiken im LEH hatte das BKartA bereits im April 2010 mit einer sog. Handreichung versucht zu geben. In der Praxis trug die Handreichung aber eher noch zur Verunsicherung im Hinblick auf die Reichweite des Preisbindungsverbots bei.

Am 25.01.2017 veröffentlichte das BKartA zunächst einen Entwurf seines Hinweispapiers und gab interessierten Kreisen im Rahmen eines Konsultationsverfahrens die Möglichkeit, Stellungnahmen abzugeben (siehe dazu und zum Inhalt des Entwurfs bereits unsere Noerr News vom 01.02.2017, hier abrufbar). Auf europäischer Ebene hat die Europäische Kommission bereits (allgemeine) Vertikalleitlinien veröffentlicht, die auch Ausführungen zur Auslegung des Preisbindungsverbots im europäischen Recht enthalten. Durch das Hinweispapier sollen diese Leitlinien um die im stationären LEH gebräuchlichen Praktiken ergänzt und konkretisiert werden.

Finale Fassung des Hinweispapiers

Bis zum Abschluss des Konsultationsverfahrens am 10.03.2017 sind zahlreiche Stellungnahmen eingegangen, unter anderem des Markenverbands, des Handelsverbands Deutschland (HDE) sowie nationaler und internationaler Rechtsanwaltsorganisationen wie der Studienvereinigung Kartellrecht und der American Bar Association (alle eingegangenen Stellungnahmen sind hier abrufbar). Nach einer Bewertung durch das BKartA haben verschiedene Anregungen in die Endfassung des Hinweispapiers Eingang gefunden. Eine von den Verfassern dieses Beitrags erstellte Fassung in Änderungskennung ist hier abrufbar und gibt die – überschaubaren – Änderungen wieder, welche die finale Fassung des Hinweispapiers gegenüber dem veröffentlichten Ausgangsentwurf erfahren hat.

In der finalen Fassung des Hinweispapiers beschäftigt sich das BKartA unverändert ausschließlich mit vertikalen Preisbindungen, d.h. Preisvereinbarungen auf verschiedenen Stufen der Vertriebskette. Zur – immer noch nicht abschließend geklärten – kartellrechtlichen Bewertung von Vertriebsmodellen im Internet etwa äußert sich das Hinweispapier dagegen weiterhin ausdrücklich nicht. Das BKartA stellt zudem nun ebenfalls ausdrücklich klar, dass sich das Hinweispapier

  • weder mit Fragen des Missbrauchs von Marktmacht entlang der Wertschöpfungskette im LEH,
  • noch mit dem Verbot (direkter) horizontaler Absprachen zwischen Herstellern,
  • noch mit dem Verbot (direkter) horizontaler Absprachen zwischen Handelsunternehmen,
  • noch mit dem Verbot (indirekter) horizontaler Absprachen zwischen Marktteilnehmern in einem Dreiecksverhältnis (etwa durch einen Markenhersteller „moderierte“ Absprachen zwischen LEH-Unternehmen; sog. „hub & spoke“-Kartelle)

befasst. Entsprechend seiner Zielsetzung als Leitfaden und Orientierungshilfe für möglichst alle Unternehmen der Branche behält das Hinweispapier auch seinen umfangreichen, gleichzeitig jedoch auch notwendigerweise verallgemeinerten und bewusst vereinfachten Informationsansatz bei. Das Hinweispapier ist dennoch bewusst nicht abschließend, da weitere denkbare Fallgestaltungen ausdrücklich nicht Gegenstand des Hinweispapiers sind.

Gegenüber dem Entwurf des Hinweispapiers vom Januar 2017 unverändert geblieben sind ebenfalls sowohl der Aufbau des Hinweispapiers und als auch die darin behandelten Fallgruppen einer möglichen Preisbindung (siehe ausführlich unsere Noerr News vom 01.02.2017, hier abrufbar). Die im zweiten Teil des Hinweispapiers – für Unternehmen des LEH, aber auch darüber hinaus gewiss am interessantesten – enthaltenen Fallgruppen betreffen die kartellrechtliche Beurteilung in der Praxis und umfassen eine Reihe von praktischen Beispielen, die das BKartA aus den Erfahrungen im Vertikalfall gebildet hat. Im Hinweispapier werden diese Beispiel auch einer kartellrechtlichen Bewertung zuführt. Dieser Teil des Hinweispapiers gliedert sich dabei unverändert in folgende Themenkomplexe:

(i) Vereinbarung von Fest- und Mindestpreisen;

(ii) Unverbindliche Preisempfehlungen („UVP“);

(iii) Mengenmanagement/Aktionsplanung;

(iv) Spannengarantien/Nachverhandlungen;

(v) Nichtaufnahme/Abbruch von Geschäftsbeziehungen; und

(vi) Fragen des Datenaustauschs zwischen Händlern und Herstellern.

Bei den gegenüber der Entwurfsfassung erfolgten Änderungen handelt es sich hauptsächlich um Klarstellungen und Erläuterungen insbesondere im Rahmen dieser Fallgruppen. So werden etwa die Praxisbeispiele zur Zulässigkeit von Höchstpreisbindung variiert und die Ausführungen zum Themenkomplex UVP um den Hinweis ergänzt, dass Kalkulationshilfen im Sinne einer hypothetischen Berechnung der Margeneffekte zulässig sind, wenn sie keinen Rückschluss auf die Preissetzungsentscheidungen konkurrierender Händler ermöglichen.

Ausblick

Das Hinweispapier kann Unternehmen – auch jenseits des LEH – einen ersten Einblick in die kartellrechtliche Problematik der vertikalen Preisbindung geben und als Hilfestellung dienen. Insoweit ist die Veröffentlichung des Hinweispapiers zu begrüßen, gibt es doch für die Unternehmen einen ersten groben Orientierungspunkt in der Praxis zum schwer abgrenzbaren Graubereich zwischen noch zulässiger Preispflege und bereits unzulässiger Preisbindung. Jedoch verbleiben auch nach Abschluss der Konsultation und der Veröffentlichung des finalen Hinweispapiers trotz – oder gerade wegen – der überschaubaren zwischenzeitlichen Klarstellungen gewichtige Unsicherheiten. Dazu zählen insbesondere der Umstand, dass das BKartA sich unverändert weite Ermessensentscheidungen vorbehält, und die Tatsache, dass weder die Europäische Kommission noch ausländische Kartell-und Wettbewerbsbehörden noch Gerichte an die Hinweise des BKartA gebunden sind. Das Hinweispapier befasst sich zudem explizit nicht mit anderen jeweils bußgeldbewehrten Verhaltensweisen, nämlich weder mit einem möglichen Missbrauch von Marktmacht entlang der Wertschöpfungskette im LEH noch mit den denkbaren Konstellationen unzulässiger horizontaler Absprachen. Schließlich sind weitere denkbare vertikale Verhaltensweisen, die bislang (noch) nicht Gegenstand eines Verfahrens des BKartA waren, ausdrücklich von dem Hinweispapier ausgenommen.

Eine eingehende einzelfallbezogene anwaltliche Prüfung und Beratung in Kartellrechts- und Compliance-Fragen bleibt daher auch weiterhin unverzichtbar.

 

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