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Arbeit­nehmer­über­lassung ohne Arbeit­nehmer?

20.12.2017

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) hatte in diesem Jahr über den sozialversicherungsrechtlichen Status eines geschäftsführenden Vorstandes einer Stiftung zu entscheiden (Urteil vom 27.04.2017 Az.: L 1 KR 405/15), der als Fremdgeschäftsführer im Auftrag der Stiftung bei einem Kunden tätig war. Dabei hat das LSG einen Fall der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung angenommen, da der geschäftsführende Vorstand zumindest im Verhältnis zum Entleiher als Arbeitnehmer im Sinne einer Arbeitnehmerüberlassung gem. § 1 Abs. 1 AÜG anzusehen sei.

Landessozialgericht fingiert Arbeitsvertrag des Fremdgeschäftsführers zur GmbH

Der Entscheidung des LSG lag der aktive Einsatz des geschäftsführenden Vorstands einer Stiftung bei einem Kunden auf Basis eines Managementvertrages zugrunde. Dieser Vertrag enthielt unter anderem die Vereinbarung, wonach der geschäftsführende Vorstand zwar bei der Stiftung angestellt bleiben und von dieser seine Vergütung beziehen, bei der GmbH aber Geschäftsführeraufgaben erfüllen sollte.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) stellte anlässlich einer Routineprüfung fest, dass der geschäftsführende Vorstand bei der GmbH als deren Fremdgeschäftsführer ein abhängiges und damit sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gem. § 7 SGB IV ausübe. Hiergegen wandte sich der geschäftsführende Vorstand mit der Argumentation, dass er seine Tätigkeit für die GmbH lediglich im Rahmen seiner Vorstandstätigkeit bei der Stiftung erbringe. Das Sozialgericht gab der Klage des geschäftsführenden Vorstandes statt. In der Berufung argumentierte die DRV, dass es sich bei der vorliegenden Konstellation um eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung handele.

Das LSG nahm eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung zwischen der Stiftung als Verleiher und der GmbH als Entleiher an und begründete damit auch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung des geschäftsführenden Vorstandes bei der GmbH. Ausgangspunkt der Prüfung des LSG war die vertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien. Das Weisungsrecht der Stiftung sei vertraglich – durch den Managementvertrag und die Auftragsvereinbarung – auf die GmbH übertragen worden. Der Geschäftsführer unterläge somit allein dem Weisungsrecht der GmbH, da er an sämtliche Beschlüsse der Gesellschafterversammlung gebunden sei und dieser zu berichten habe.

Entscheidend und ausreichend – so das LSG – sei, dass der geschäftsführende Vorstand zumindest im Verhältnis zur GmbH als Arbeitnehmer im Sinne des AÜG anzusehen war. Inwiefern der geschäftsführende Vorstand auch Arbeitnehmer der Stiftung war, lies das Gericht bewusst offen. Zumindest sei laut des Gerichts von einer arbeitsrechtlichen Weisungsgebundenheit des geschäftsführende Vorstand gegenüber der GmbH als Entleiher auszugehen. Dies reiche aus, um Arbeitnehmerüberlassung anzunehmen.

Da die Stiftung nicht über eine Genehmigung zur Überlassung von Arbeitnehmern verfügte, stellte das LSG nicht nur die Unwirksamkeit des Managementvertrages sowie des „Anstellungsvertrages“ fest, sondern begründete darüber hinaus die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem geschäftsführenden Vorstand und der GmbH gem. § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG (a. F.).

Was bedeutet das Urteil für die Praxis?

Die Entscheidung des LSG verdient in vielerlei Hinsicht besondere Beachtung. Das LSG scheint in seinen Entscheidungsgründen die Differenzierung zwischen Scheinselbständigkeit und Arbeitnehmerüberlassung zu vermengen, wenn nicht sogar komplett aufzugeben. Hier wählt das LSG einen dogmatisch fragwürdigen Ansatz, indem es unter dem Mantel des § 7 Abs. 1 SGB IV eine abhängige Beschäftigung des Fremdgeschäftsführers im Betrieb der GmbH prüft, um im Ergebnis Arbeitnehmerüberlassung anzunehmen. Dabei erachtet es das Gericht als völlig belanglos, ob der geschäftsführende Vorstand überhaupt Arbeitnehmer der Stiftung, also seines „Entleihers“ war.

Nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 S. 3 AÜG liegt Arbeitnehmerüberlassung nur vor, wenn zwischen dem „Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis besteht.“ Maßgeblich hätte danach sein müssen, dass der geschäftsführende Vorstand „Arbeitnehmer“ der Stiftung ist. Dies ist gerade beim geschäftsführenden Vorstand einer Stiftung nicht zwingend der Fall. Selbst wenn das erkennende Gericht – ohne es ausdrücklich zu erwähnen – den europarechtlichen Arbeitnehmerbegriff im Sinne der Leiharbeitsrichtlinie (RL 2008/104/EG) unterstellte, erklärt dies seine Entscheidung nicht. Nach dem europarechtlichen Arbeitnehmerbegriff kann man wohl Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer im Sinne des AÜG ansehen (EuGH, Urteil vom 9.7.2015 – C-229/14). Bei Vorständen ist diese Sicht indes vollkommen neu.

Das Besondere dieser Entscheidung ist aber, dass es das LSG bewusst ausreichen lässt, dass der geschäftsführende Vorstand als „Arbeitnehmer“ im Verhältnis zur GmbH einzustufen war. Eine Vorabprüfung der Arbeitnehmereigenschaft bei der Stiftung unterlässt das LSG. Dadurch umgeht das LSG die Problematik der Scheinselbständigkeit, die die Vorinstanz noch zurecht geprüft und verneint hatte. Offensichtlich ergebnisorientiert vermischt das Gericht seine Prüfung einer abhängigen Beschäftigung einerseits mit der einer (illegalen) Arbeitnehmerüberlassung andererseits. Nach dem LSG ist es für das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung bereits ausreichend, dass das Rechtsgeschäft auf eine Arbeitnehmerüberlassung gerichtet ist. Damit schließt sich das LSG der Ansicht der Bundesagentur für Arbeit in den fachlichen Weisungen an, in denen gleichfalls eine Arbeitnehmerüberlassung bei der „Vermittlung“ von freien Mitarbeitern angenommen wird.

In der Praxis bedeutet dieses Urteil für sämtliche Beratungshäuser und das Interim Management im sog. Holländischen Modell, die ihre Beratungsleistungen durch ihre mitarbeitenden Organe und freie Mitarbeiter erbringen, eine neue Dimension rechtlicher Unsicherheit. Wurde durch die AÜG-Reform und die Schaffung des neuen § 611 a BGB schon die Rechtsprobleme der Scheinselbständigkeit nicht gelöst, so errichtet das LSG nun mit dieser dogmatisch schwer nachvollziehbaren Rechtsprechung eine zusätzliche Bedrohung für die Beratungsbranche.

Bestens
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