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Der „fliegende Gerichtsstand“ des UWG in der aktuellen Rechtsprechung

13.04.2022

Für Klagen aufgrund des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) ist das Landgericht zuständig, an dem der Beklagte seine Niederlassung beziehungsweise seinen Wohnsitz hat. Wahlweise kann ein Mitbewerber seine Ansprüche aber auch am Begehungsort der geschäftlichen Handlung geltend machen und damit bei jedem Landgericht, in dessen Bezirk der „Erfolg“ der geschäftlichen Handlung eingetreten ist. In der Praxis hat dieser so genannte fliegende Gerichtsstand zum einen dazu geführt, dass sich an einzelnen Landgerichten besonders auf das Wettbewerbsrecht spezialisierte Kammern herausgebildet haben. Zum anderen kann der Anspruchsteller dadurch aber auch gezielt ein Gericht wählen, das eine für ihn positive Rechtsprechungslinie verfolgt oder den Anspruchsgegner z. B. mit einer weiten Anreise belastet. Dieses Wahlrecht wurde mit der Novellierung des UWG durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26.11.2020 für „Rechtsstreitigkeiten wegen Zuwiderhandlungen im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien“ (§ 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG n.F.) abgeschafft, sofern der oder die Beklagte im Inland einen allgemeinen Gerichtsstand hat. Unter den Gerichten herrscht indes Uneinigkeit, wie weit der Anwendungsbereich dieser neuen Vorschrift reicht. Angestoßen von einem einstweiligen Verfügungsverfahren vor den Düsseldorfer Gerichten haben sich im Wesentlichen zwei Positionen herausgebildet.

Kontroverse in Düsseldorf

Ausgangspunkt der Diskussion war ein einstweiliges Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf wegen eines irreführenden Werbespots, der sowohl im Fernsehen als auch auf YouTube gezeigt wurde. In ihrem dem Antrag stattgebenden Beschluss vom 15.01.2021 erklärte sich die 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf für örtlich zuständig, da sie eine Anwendung des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG ablehnte (Beschluss vom 15.01.2021, Az. 38 O 3/21). Nach Ansicht der 8. Kammer für Handelssachen werde nach Sinn und Zweck der Vorschrift der fliegende Gerichtsstand nur für wettbewerbswidriges Verhalten ausgeschlossen, das tatbestandlich zwingend an ein Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien anknüpft und bei Nutzung anderer Kommunikationskanäle nicht verwirklicht werden kann. Eine Anwendung auf jedes sonstige unlautere Handeln im Internet sei hingegen abzulehnen, da mit der Gesetzesänderung allein als besonders missbrauchsanfällig betrachtete Abmahnungen von Verstößen gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten in Telemedien verhindert werden sollten. Folge sei anderenfalls nicht nur die – vom Gesetzgeber gerade nicht gewollte – weitgehende Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes bei unerlaubten Handlungen, sondern auch sachlich nicht gerechtfertigte Ergebnisse. So könnte bei einer unbeschränkten Auslegung der Norm beispielsweise gegen einen irreführenden Werbespot für Bergschuhe bundesweit vorgegangen werden, wenn er als Kinowerbung verbreitet wird, während gegen denselben Spot eines in Hamburg ansässigen Unternehmers, der den Spot über das Internet mittels Geo-Targeting ausschließlich in Bayern ausspielen lässt, um speziell dort ansässige Verbraucher zu erreichen, nur in Hamburg vorgegangen werden könnte.

Der 20. Senat des Oberlandesgerichts Düsseldorf nahm eine sofortige Beschwerde gegen das landgerichtliche Urteil zum Anlass, dieser Auffassung per ausführlichem obiter dictum zu widersprechen (Beschluss vom 16.02.2021, Az. 20 W 11/21). Weder der Wortlaut der Vorschrift noch ihr Sinn und Zweck ließen die vom Landgericht vorgenommene Einschränkung zu. Erstens ergebe sich aus dem Gesetzgebungsverfahren nicht, dass nur für bestimmte im Internet begangene Verstöße der fliegende Gerichtsstand begrenzt werden sollte. Zweitens zieht das Oberlandesgericht einen Vergleich zu § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG n.F., mit dem der Aufwendungsersatzanspruch des Abmahnenden ausgeschlossen wird bei „im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien begangenen Verstößen gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten“. Der Gesetzgeber habe den Anwendungsbereich dieser einschränkenden Vorschrift nicht auf internetspezifische Verstöße begrenzt, sondern beispielsweise auch Verletzungen der Preisangabenverordnung dazu gezählt. Zudem zeige diese Regelung, dass der Gesetzgeber mögliche Einschränkungen des Gerichtsstands im Blick hatte, er von diesen jedoch keinen Gebrauch gemacht habe.

In Folgeentscheidungen blieben sowohl die 8. KfH (Beschluss vom 26.02.2021, Az. 38 O 19/21; Urteil vom 21.05.2021, Az. 38 O 3/21) als auch der 20. Zivilsenat (Urteil vom 16.12.2021, Az. I-20 U 83/21; Urteil vom 10.02.2022, Az. 20 U 93/21) ihren jeweiligen Auffassungen treu. Zu beachten ist jedoch, dass das Oberlandesgericht nunmehr eine Anwendung des § 14 Abs. 2 S. 3 UWG jedenfalls bei Zuwiderhandlungen in oder mittels E-Mails ausschließt (Urteil vom 27.01.2022, Az. 20 U 105/21).

Fortsetzung in weiteren Gerichtsbezirken

Die Düsseldorfer Debatte setzt sich in weiteren Gerichtsbezirken mit teils ähnlich offenem Ausgang fort.

Aus Berlin ist zu diesem Thema bislang allein eine Entscheidung der 16. Zivilkammer veröffentlicht (Beschluss vom 23.08.2021, Az. 16 O 239/21), wonach – ohne nähere Begründung – der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nicht für Verstöße gelte, die im elektronischen Rechtsverkehr begangen wurden. Dies lässt sich indes nicht als eindeutige Positionierung für eine unbeschränkte Anwendung des § 14 Abs. 2 S. 3 UWG deuten. Jüngst hat sich jedoch die 52. Zivilkammer in einem bislang unveröffentlichten Urteil vom 31.03.2022 (Az. 52 O 250/21) explizit der Ansicht der 8. Düsseldorfer KfH angeschlossen.

In Frankfurt hatten sowohl die 6. KfH des Landgerichts und mit dem 6. Zivilsenat auch erstmals ein Oberlandesgericht eine teleologische Reduktion der Vorschrift im Sinne des Landgerichts Düsseldorf befürwortet (Landgericht Frankfurt a. M., Urteil vom 11.5.2021, Az. 3-06 O 14/21; Oberlandesgericht Frankfurt a. M., Beschluss vom 08.10.2021, Az. 6 W 83/21). Im Anschluss hat sich jedoch die 6. Zivilkammer (Beschluss vom 24.11.2021, Az. 2-06 O 305/21) dem explizit nicht angeschlossen, sondern eine teleologische Reduktion wie das Oberlandesgericht Düsseldorf abgelehnt. Es bleibt daher abzuwarten, welche Auffassung sich an diesem Gerichtsstand durchsetzen wird.

Die 27. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg hatte mittlerweile bereits viermal Gelegenheit dazu, die in Rede stehende Vorschrift wie § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG und damit wie das Landgericht Düsseldorf einschränkend auszulegen (Beschluss vom 26.08.2021, Az. 327 O 214/21; Beschlüsse vom 13.09.2021, 06.10.2021 und 08.11.2021, jeweils Az. 327 O 184/21).

Demgegenüber hat sich mit der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln ein wichtiger UWG-Spruchkörper gegen die einschränkende Anwendung der Vorschrift ausgesprochen, da dies Sache des Gesetzgebers sei und dieser § 14 Abs. 2 S. 3 UWG gegebenenfalls neu fassen solle (Beschluss vom 03.11.2021, Az. 84 O 161/21).

So sieht es auch die 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts München (Beschluss vom 02.06.2021, Az. 1 HK O 4892/21). Die 33. Zivilkammer hat jedoch unter Verweis auf die Gesetzgebungsgeschichte den Ausschlusstatbestand des § 14 Abs. 2 S. 3 UWG ähnlich wie bereits das Oberlandesgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 27.01.2022 (Az. 20 U 105/21) jedenfalls dann, wenn das in Rede stehende unlautere Verhalten allein in elektronisch übermittelten Nachrichten zwischen zwei Parteien stattfand, für nicht anwendbar erklärt. Offen ist bislang, ob diese Kammer auch in anderen Konstellationen diese Beschränkung des Anwendungsbereichs bejaht.

Schließlich beschreitet die 11. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart einen Mittelweg: Während eine generelle teleologische Reduktion der Norm aus denen vom Oberlandesgericht Düsseldorf genannten Gründen nicht in Betracht komme, solle sie gleichwohl nicht anwendbar sein, wenn der gegenständliche Verstoß sowohl im Internet als auch auf anderen Verbreitungswegen verwirklicht werde (Beschluss vom 27.10.2021, Az. 11 O 486/21). Damit hat sich die Kammer dem Vorschlag von Feddersen angeschlossen (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 14 Rn. 21b).

Ausblick

Eine klar vorherrschende Auffassung unter den Land- und Oberlandesgerichten zur Auslegung des § 14 Abs. 2 S. 3 UWG scheint sich in nächster Zeit nicht herauszubilden. Auch der Bundesgerichtshof wird aufgrund seines eingeschränkten Prüfungsrechts zu Fragen der örtlichen Zuständigkeit (§ 513 Abs. 2 ZPO) kaum Gelegenheiten erhalten, den Instanzgerichten einen einheitlichen Weg aufzuzeigen.

Ein mögliches Mittel, die Expertise der bisher schwerpunktmäßig mit UWG-Fällen beschäftigten Gerichte zu erhalten und der Kontroverse unter den Spruchkörpern in der Frage der örtlichen Zuständigkeit zum Teil die Grundlage zu entziehen, könnte die Inanspruchnahme der Konzentrationsermächtigung in § 14 Abs. 3 UWG durch weitere Bundesländer sein. Hiernach dürfen die Landesregierungen Wettbewerbsstreitsachen für mehrere Landgerichtsbezirke in die Zuständigkeit eines Landgerichts legen. Bislang hatten allein Sachsen (Landgericht Leipzig für die Bezirke der Landgerichte Leipzig, Chemnitz und Zwickau sowie das Landgericht Dresden für die Bezirke der Landgerichte Dresden und Görlitz) und Mecklenburg-Vorpommern (Landgericht Rostock) von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht. Nun hat auch Nordrhein-Westfalen beschlossen, dass seit dem 01.01.2022 allein die Landgerichte Düsseldorf, Bochum und Köln in den jeweiligen OLG-Bezirken für Wettbewerbsstreitigkeiten zuständig sind. Es bleibt abzuwarten, ob weitere Länder diesem Beispiel folgen.

 

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