Die Bayerische Abstandsflächenregelung für Windenergieanlagen
I. Ausgangslage
Am 01.08.2014 ist die sogenannte Länderöffnungsklausel des § 249 Abs. 3 BauGB in Kraft getreten, welche die Länder dazu ermächtigt, länderspezifische Regelungen zu treffen, die bestimmen, dass die Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB nur dann auf Windenergieanlagen Anwendung findet, wenn diese einen Mindestabstand zu zulässigen baulichen Nutzungen einhalten. Windenergieanlagen, die diese Mindestabstände nicht einhalten, unterliegen als „entprivilegierte“ Vorhaben dann den strengeren Regelungen des § 35 Abs. 2 BauGB. Als einziges Bundesland hat Bayern von der Länderöffnungsklausel Gebrauch gemacht. Nach Art. 82 Abs.1 und 2 BayBO findet § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB nur auf solche Vorhaben Anwendung, die einen Mindestabstand vom 10-fachen ihrer Höhe zu Wohngebäuden in bestimmten, abschließend bezeichneten Gebieten einhalten. Eine Ausnahme gilt nach Art. 84 Abs. 1 BayBO dann, wenn vor Ablauf des 04.02.2014 bei der zuständigen Behörde ein vollständiger Antrag auf Genehmigung der Anlage eingegangen ist. Art. 82 Abs. 5 BayBO verpflichtet die Gemeinden, bei der Aufstellung von Bauleitplänen, die für Windenergieanlagen einen geringeren als den vorgeschriebenen Mindestabstand festsetzen sollen, im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BayBO auf eine einvernehmliche Festlegung mit der Nachbargemeinde hinzuwirken.
Gegen Art. 82 BayBO wurde vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) Popularklage erhoben. Die Antragsteller machten dabei geltend, die Regelung sei mit der Bayerischen Verfassung nicht vereinbar. Insbesondere habe der Landesgesetzgeber seine, ihm in § 249 Abs.3 BauGB eingeräumte, Kompetenz überdehnt. Da eine nach heutigem Stand der Technik üblicherweise verwendete Windenergieanlage eine Gesamthöhe von ca. 200 m habe, verringere sich die Potenzialfläche für die Windenergie in Bayern in einem Ausmaß, das der Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB nicht mehr gerecht werde. Dies gelte umso mehr, wenn man berücksichtigte, dass nicht die gesamte, dem Grunde nach zur Verfügung stehende Fläche faktisch für den Betrieb von Windenergieanlagen geeignet sei (z.B. mangelnde Windhöffigkeit). Diese quasi vollständige Entprivilegierung der Windenergie sei von § 249 Abs.3 BauGB nicht mehr gedeckt und verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip. Zudem sei die Regelung auch mit Blick auf die verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsgarantie, den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie das kommunale Selbstverwaltungsrecht problematisch.
II. Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) hat die Regelung im Wesentlichen als mit der Bayerischen Verfassung vereinbar angesehen (Entscheidung v. 09.05.2016, Vf. 14-VII-14, Vf. 3-VIII-15, Vf. 4-VIII-15).
Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip liegt nicht vor. Zwar kann der Landesgesetzgeber aufgrund der bundesrechtlichen Privilegierung keinen so hohen Mindestabstand festlegen, dass der Windenergienutzung faktisch kein Raum mehr verbleibt. Dies ist bei der Festlegung eines Mindestabstandes auf die 10-fache Anlagenhöhe jedoch auch nicht der Fall. Zwar werde der Anwendungsbereich der Privilegierung beschränkt, nicht jedoch beseitigt. Die Möglichkeit, niedrigere Windenergieanlagen zu verwenden, dürfe bei der Bewertung des noch zur Verfügung stehenden Raumes nicht außer Acht gelassen werden. Der Umstand, dass nach dem aktuellen Stand der Technik insbesondere Windenergieanlagen mit einer Höhe von 200 m rentabel betrieben werden können, hat dabei außer Acht zu bleiben, da nicht auf die bestmöglichste Ausnutzung der technischen Möglichkeiten abgestellt werden muss. Ebenso konnte bei dem Erlass der Regelung des Art. 82 BayBO außer Acht bleiben, dass nicht alle abstrakt zur Verfügung stehenden Flächen wegen anderer tatsächlicher oder rechtlicher Hindernisse (z.B. fehlende Windhöffigkeit) für die Windenergienutzung konkret geeignet sind. Dem Landesgesetzgeber kommt insoweit keine dem Planungsträger entsprechende Aufgabe zu, der bei der Ausweisung von Konzentrationszonen nach § 35 Abs. 3 S.3 BauGB die Flächen nach ihrer Eignung für die Windenergienutzung bewerten muss.
Auch sonstige Vorschriften der Bayerischen Verfassung sind nach Auffassung des BayVerfGH nicht verletzt.
Die Eigentumsgarantie sei nicht verletzt, da die Beschränkung der Bebauung mit Windenergieanlagen dazu diene, um die Akzeptanz der Windenergienutzung in der Bevölkerung zu fördern. Die Beschränkung bewege sich im Rahmen der zulässigen Sozialbindung des Eigentums. Dies gelte insbesondere mit Blick darauf, dass allen anderen durch § 35 BauGB eröffneten Nutzungsmöglichkeiten im Außenbereich erhalten bleiben und Art. 103 Abs. 1 BV nicht die rentabelste Nutzung des Eigentums schützt. Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liege nicht vor, da sich die unterschiedliche Behandlung der Windenergieanlagen gegenüber anderen baulichen Anlagen aus deren baulichen Besonderheiten und dem daraus resultierenden spezifischen Störpotenzial rechtfertige.
Zuletzt sieht der BayVerfGH in der Regelung des Art. 82 Abs. I, II BayBO auch keinen Verstoß gegen die kommunale Selbstverwaltungsgarantie, da den Gemeinden nach wie vor die Möglichkeit verbleibe, der Windenergienutzung durch eine entsprechende Bauleitplanung für nicht privilegierte Vorhaben ein Baurecht zu verschaffen.
Einzig die Regelung des Art. 82 V BayBO, wonach die Gemeinden, soweit sie einen geringeren als den in Art. 82 I BayBO vorgesehenen Mindestabstand festlegen wollen, auf eine einvernehmliche Festlegung mit der Nachbargemeinde hinwirken müssen, wurde vom BayVerfGH als verfassungswidrig eingestuft. Diese Regelung sei von der Ermächtigung des § 249 Abs. 3 BauGB nicht mehr gedeckt, da sie weder die Einzelheiten des Mindestabstandes für die Privilegierung der Windenergie im Außenbereich noch die Auswirkungen der festgelegten Abstände auf Ausweisungen in geltenden Flächennutzungs- oder Raumordnungsplänen regele. Vielmehr werde in die künftige gemeindliche Bauleitplanung und damit in die gemeindliche Planungshoheit eingegriffen. Hinzu kommt, dass das Gebot der interkommunalen Abstimmung auf Bundeebene mit § 3 Abs. 2 BauGB bereits abschließend geregelt sei.
III. Fazit
Bayern hat als einziges Bundesland von der Möglichkeit der Einschränkung der bauplanungsrechtlichen Privilegierung der Windenergie Gebrauch gemacht. Das Urteil des BayVerfGH besiegelt dies nun. Abzuwarten bleibt, inwieweit sich dies auf den Bestand der Windenergie in Bayern tatsächlich auswirken wird. Grundsätzlich verbleibt den Gemeinden die Möglichkeit, Windenergieanlagen, die die in Art. 82 Abs. 1 und 2 BayBO vorgesehenen Abstandsflächen nicht einhalten, als nicht privilegierte Vorhaben in ihre Bauleitplanung einzubeziehen und entsprechend zu genehmigen. Fest steht jedoch, dass dies einen erhöhten Planungsaufwand bei den jeweiligen Gemeinden zur Folge haben wird, da die Aufstellung und Entwicklung eines Bebauungsplanes aus einem Flächennutzungsplan vielfach aufwendiger ist, als die Festsetzung einer Konzentrationszone im Flächennutzungsplan mit der Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 S.3 BauGB. Zu beachten ist auch, dass Baugenehmigungsanträge für „entprivilegierte“ Windenergieanlagen einfacher abzulehnen sind als für privilegierte Vorhaben. Grund dafür ist, dass nicht privilegierte Vorhaben bereits dann unzulässig sind, wenn öffentliche Belange „beeinträchtigt“ sind. Die Hürde der „Beeinträchtigung“ ist deutlich niedriger als die des „Entgegenstehens“, welche für privilegierte Außenbereichsvorhaben gilt. Die Entwicklung der Windenergie in den einzelnen Gemeinden wird insoweit auch maßgeblich von der „Windenergiegeneigtheit“ der planenden Gemeinde abhängen. Auch wenn die tatsächlichen Auswirkungen in ihrer Gänze bislang noch nicht absehbar sind, steht zu erwarten, dass Bayern als ohnehin eher windenergiearmes Bundesland beim Ausbau der Windenergie noch weiter ins Hintertreffen gerät.
Bestens
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