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Fusions­kontrolle für Start-ups – Viel Lärm um Nichts?

15.02.2016

Im Jahreswirtschaftsbericht 2016 kündigt die Bundesregierung an, im Rahmen der anstehenden 9. GWB-Novelle „die Fusionskontrolle auf Fälle auszuweiten, bei denen trotz geringer Umsätze des erworbenen Unternehmens der Transaktionswert einer Übernahme (etwa der Kaufpreis) besonders hoch ist“. Aus den weiteren Ausführungen ergibt sich, dass die Bundesregierung hierbei insbesondere den Einstieg großer Unternehmen bei innovativen Start-ups im Blick hat. Diese Transaktionen laufen derzeit häufig „unter dem Radar“ des Bundeskartellamtes, weil die Umsatzerlöse der Zielgesellschaft meist nicht ausreichend hoch sind, um die Aufgreifschwellen der deutschen Fusionskontrolle zu erfüllen. Nach geltendem Recht sind Transaktionen in Deutschland nur dann beim Bundeskartellamt anzumelden, wenn – neben einem gemeinsamen weltweiten Umsatz der beteiligten Unternehmen von 500 Mio. Euro – in Deutschland ein beteiligtes Unternehmen Umsätze von mehr als 25 Mio. Euro und ein anderes beteiligtes Unternehmen Umsätze von mehr als 5 Mio. Euro erzielt.

Die Beweggründe der Bundesregierung und erste Marktreaktionen

Nach Ansicht der Bundesregierung können die Geschäftsideen der Start-ups eine „große wirtschaftliche Bedeutung für den etablierten Erwerber haben und zu einer gesamtwirtschaftlich unerwünschten Marktbeherrschung führen“. Als Problemfeld scheinen insbesondere „mehrseitige Plattformen“ wie Suchmaschinen und soziale Netzwerkdienste identifiziert worden zu sein. Diesbezüglich will die Bundesregierung prüfen, wie deren Besonderheiten – Netzwerkeffekte, Interdependenzen zwischen Plattformen, die Sammlung vieler Nutzerdaten – bei der wettbewerblichen Beurteilung auch außerhalb der Fusionskontrolle berücksichtigt werden können.

Die Ankündigung der Bundesregierung hat innerhalb kürzester Zeit ein erhebliches Echo in der deutschen Start-up-Szene erzeugt. Teilweise wird befürchtet, durch die Pläne der Bundesregierung würde nicht nur eine zusätzliche Hürde für den Einstieg finanzstarker Investoren errichtet, sondern derartige Venture-Capital-Transaktionen geradezu verhindert.

Sorgen bereitet nicht der Transaktionswert an sich …

Diese Sorge erscheint etwas übertrieben. Zwar ist derzeit noch nicht bekannt, welchen Transaktionswert das geplante Gesetz einführen wird. Ein solches fusionskontrollrechtliches Aufgreifkriterium ist zwar selten. Doch gerade die USA – quasi das Geburtsland der Internet-Start-ups – nutzen seit Jahrzehnten den Transaktionswert als Aufgreifkriterium für die Fusionskontrolle: Ab einem Transaktionswert von derzeit 312,6 Mio. US-Dollar ist eine Transaktion in den USA auch dann anmeldepflichtig, wenn die Beteiligten – insbesondere die Zielgesellschaft – nur minimale Umsatzerlöse in den USA erzielen. Beträgt der Transaktionswert mehr als 78,2 Mio. US-Dollar, aber weniger als 312,6 Mio. US-Dollar, besteht eine Anmeldepflicht grundsätzlich nur, wenn eine Partei in den USA Umsatzerlöse oder Vermögenswerte von mehr als 15,6 Mio. US-Dollar und die andere Partei von mehr als 156,3 Mio. US-Dollar aufweist.

Noch ist nicht bekannt, welcher Betrag für den Transaktionswert gewählt werden soll, wenn die Planungen tatsächlich in einen Gesetzentwurf münden. Die Monopolkommission schlug in ihrem Sondergutachten „Wettbewerbspolitik: Herausforderung digitale Märkte“ einen Wert von 500 Mio. Euro vor. Ein signifikant niedrigerer Betrag dürfte weder im Interesse der Bundesregierung noch des Bundeskartellamtes sein. Denn die knappen Behördenressourcen würden dann durch eine Flut von Anmeldungen gebunden, ohne dass die angemeldeten Transaktionen wettbewerblich bedeutsam sind. Das würde den Zweck der neuen Aufgreifschwelle konterkarieren.

Der Transaktionswert als Aufgreifschwelle hat Venture-Capital-Transaktionen in den USA, insbesondere Exits durch Gründer, so scheint es, keinen Abbruch getan. Allenfalls wenn der für die Fusionskontrolle maßgebliche Transaktionswert sehr niedrig festgesetzt würde, könnte sich dies dämpfend auf das Transaktionsgeschehen auswirken.

… sondern die Auslegung dieses Begriffs …

Der Zusatzaufwand, der durch die Einführung einer auf den Transaktionswert bezogenen Aufgreifschwelle entsteht, wird indes in erster Linie nicht von der nominalen Höhe des Transaktionswerts abhängen. Für die Praxis wird es bedeutender sein, wie der Transaktionswert zu berechnen ist.

Unproblematisch dürften Transaktionen mit einem fixen Kaufpreis sein, ggf. auch einschließlich der Übernahme von Verbindlichkeiten in bestimmter Höhe. Schwierige Auslegungsfragen können sich jedoch stellen, wenn den Verkäufern als Gegenleistung Optionen auf Aktien des Erwerbers geboten und dabei Haltefristen vereinbart werden. Wäre in einem solchen Fall der Transaktionswert nach dem Wert der Optionen zu bestimmen, den sie am Tag der Vertragsunterzeichnung haben oder – voraussichtlich – am Tag ihrer Gewährung, d.h. dem Vollzug der Transaktion, haben werden? Oder bestimmt sich der Transaktionswert nach dem Optionswert zum Ablauf der Haltefrist? Wie ist mit Regelungen zu verfahren, wonach zumindest ein Teil des Kaufpreises erst zu einem späteren Zeitpunkt bestimmt werden soll? Wird es erforderlich sein, bei jeder Transaktion eine Unternehmensbewertung durchzuführen und wenn ja, soll hierfür der IDW-Standard „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“ (IDW S 1)“ maßgeblich sein? Welcher Bewertungsstandard soll Anwendung finden, wenn der Kaufvertrag nicht deutschem Recht unterliegt?

Sollte der Gesetzgeber diese Auslegungsfragen dem Bundeskartellamt überlassen wollen, wäre es wünschenswert, wenn entsprechende Leitlinien im engen Dialog mit den Betroffenen – Start-ups, Venture Capital- und Private Equity-Investoren sowie M&A-Experten – entwickelt werden, um den Marktteilnehmern praxisnahe, aber vor allem auch einfach handhabbare Leitlinien an die Hand zu geben.

Wichtig wird zudem sein, die neue Aufgreifschwelle so auszugestalten, dass der Transaktionswert eine Verbindung zu Deutschland aufweist. Nach Ansicht der Monopolkommission wäre es ausreichend, wenn wenigstens ein an der Transaktion beteiligtes Unternehmen in Deutschland Umsatzerlöse von mehr als 25 Mio. Euro erzielt. Diese Schwelle könnte aber auch allein durch den Käufer erfüllt werden. Dadurch könnte auch der Erwerb von Start-ups, die (noch) nicht in Deutschland tätig sind, der deutschen Fusionskontrolle unterfallen. Zwar könnte in diesem Fall eine Anmeldepflicht mit dem Argument fehlender Inlandsauswirkungen verneint werden (§ 130 Abs. 2 GWB). Der hierdurch entstehende Interpretationsspielraum trägt allerdings nicht zur Transaktionssicherheit bei. Somit erschiene es vorzugswürdig, wenn für den Inlandsbezug allein (oder wenigstens auch) darauf abgestellt wird, dass die Zielgesellschaft über nicht völlig unerhebliche Vermögenswerte oder Umsatzerlöse in Deutschland verfügt.

… und vor allem die wettbewerbliche Beurteilung durch das Bundeskartellamt

Die Notwendigkeit eines Fusionskontrollverfahrens bei Erwerb eines Start-ups wird sich vor allem dann als Hindernis darstellen, wenn die Transaktion wettbewerbliche Probleme aufwirft. Von entscheidender Bedeutung ist somit, ob sich im Rahmen der 9. GWB-Novelle auch der Prüfungsmaßstab des Bundeskartellamtes verschärfen soll.

Bislang kann eine Transaktion nur untersagt werden, wenn das Bundeskartellamt nachweist, dass hierdurch wirksamer Wettbewerb erheblich behindert, insbesondere eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird. An diesem Maßstab sollte der Gesetzgeber auch in Zukunft nichts ändern.

Start-ups bieten häufig Leistungen an, die es bislang noch nicht oder nicht in dieser Form gab. Deshalb ist oft fraglich, ob diese Leistungen zu einem bereits etablierten oder zu einem neuen Produkt- bzw. Dienstleistungsmarkt zu zählen sind und wie im letzteren Fall dieser genau abzugrenzen ist. Die Geschäftsideen von Start-ups sind zudem oft vergleichsweise einfach reproduzierbar, so dass schnell viele konkurrierende Anbieter mit einem gleichen oder ähnlichen Angebot entstehen. Nicht zuletzt im Bereich der Plattformen kann Marktdominanz eine kurze Halbwertszeit haben. Wer erinnert sich heute noch an die früheren „Internet-Giganten“ AOL, MySpace oder StudiVZ?

Diese Dynamik der „neuen Märkte“ wird das Bundeskartellamt bei seiner Prognoseentscheidung zu den wettbewerblichen Auswirkungen der Transaktion – wie schon bisher – berücksichtigen müssen. Dabei wäre auch in Zukunft eine übermäßige Vorsicht schädlicher als eine „falsch positive“ Entscheidung, d.h. die Freigabe einer Transaktion, die sich im weiteren Verlauf als wettbewerblich problematisch entpuppt. Denn wie die Beispiele der Hotelbuchungsportale Booking.com, Expedia und HRS zeigen, bedürfen die Wettbewerbsbehörden nicht der Fusionskontrolle, um (vermeintlich) wettbewerbsbeschränkendes Verhalten von Internet-Plattformen untersuchen zu können. Demgegenüber könnte eine zu kritische Bewertung von Transaktionen im Start-up-Bereich mittel- und langfristig zu größeren volkswirtschaftlichen Nachteilen führen.

Zusammenfassung

Die geplante Einführung einer weiteren fusionskontrollrechtlichen Aufgreifschwelle, die auf den Transaktionswert abstellt, dürfte allein für sich genommen Transaktionen im Venture Capital-Bereich nicht verhindern. Die Höhe und die Definition des maßgeblichen Transaktionswerts sollten allerdings mit Augenmaß bestimmt werden. Um den Bezug zum Wettbewerb in Deutschland sicher zu stellen, sollte zusätzlich zum Transaktionswert auf ein Mindestmaß an Umsatzerlösen oder Vermögenswerten der Zielgesellschaft im Inland abgestellt werden.

Welches Maß an zusätzlicher Belastung aus der geplanten Neuregelung folgt, wird somit weniger vom „Ob“ einer fusionskontrollrechtlichen Prüfung, sondern viel stärker durch das „Wie“ bestimmt werden. Sowohl der Gesetzgeber als auch das Bundeskartellamt sind aufgerufen, Behutsamkeit walten zu lassen. Das geltende Kartellrecht bietet bereits ein ausreichendes Instrumentarium, um tatsächlichen oder vermeintlichen Wettbewerbsbeschränkungen und dem Missbrauch von Marktmacht Herr zu werden. Sollte die Bundesregierung nicht nur eine zusätzliche Aufgreifschwelle, sondern zugleich auch eine Verschärfung des Prüfungsmaßstabs in der Fusionskontrolle beabsichtigen wollen, wäre dies nicht nur überflüssig, sondern auch wenig förderlich für eine lebhafte Venture Capital-Szene und somit volkswirtschaftlich kontraproduktiv.