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Haftung des Eigenverwalters geklärt

24.05.2018

Mit Urteil vom 26. April 2018 (IX ZR 238/17) hat der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) erstmals die in Literatur und Praxis bisher hochumstrittene Frage entschieden, ob Geschäftsleiter einer eigenverwalteten Gesellschaft bei Verletzung der ihnen obliegenden insolvenzspezifischen Pflichten gegenüber Dritten gemäß §§ 60, 61 InsO analog grundsätzlich persönlich haftbar gemacht werden können. Der BGH hat in seinem Urteil eine solche persönliche Haftung angenommen und damit die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen in der Eigenverwaltung verschärft.

A. Hintergrund

Über das Vermögen einer GmbH & Co. KG (Schuldnerin) war das Insolvenzverfahren eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet worden(§ 270 InsO). Der Beklagte war zunächst als Sanierungsexperte für die Schuldnerin tätig und wurde später als weiterer Geschäftsführer bei der Komplementärin der Schuldnerin bestellt.

Unter Mitwirkung des beklagten Geschäftsführers wurde für die Schuldnerin ein Insolvenzplan beschlossen. Dieser sah unter anderem die Fortführung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin und den Erhalt der Arbeitsplätze vor. Daher bestellte die Schuldnerin noch vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens bei der Klägerin Waren im Wert von rund EUR 87.000, welche die Klägerin nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens auch lieferte. Zur Begleichung der Rechnung der Klägerin war die Schuldnerin jedoch nicht in der Lage. Bereits fünf Monate nach Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens wurde ein weiteres Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Klägerin nahm den beklagten Sanierungsgeschäftsführer wegen des Forderungsausfalls auf Schadensersatz in Anspruch.

B. Die Entscheidung des BGH

Nachdem die Vorinstanz (OLG Düsseldorf) eine persönliche Haftung des Sanierungsgeschäftsführers abgelehnt hatte, entschied der BGH nun erstmals, dass die insolvenzrechtlichen Haftungsvorschriften in entsprechender Anwendung der §§ 60, 61 InsO auch für vertretungsberechtigte Geschäftsleiter von juristischen Personen, also Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer, in Eigenverwaltung gelten. Den Beteiligten des Insolvenzverfahrens steht damit die Möglichkeit offen, den Geschäftsleiter einer eigenverwalteten Gesellschaft persönlich auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, wenn dieser die ihm obliegenden insolvenzspezifischen Pflichten verletzt hat.

Der BGH begründet seine Entscheidung mit der Übertragung insolvenzspezifischer Befugnisse auf den Geschäftsleiter einer eigenverwalteten juristischen Person. Die im Regelinsolvenzverfahren auf einen Insolvenzverwalter übertragenen Rechte und Pflichten werden im Fall einer Eigenverwaltung zu großen Teilen von den Geschäftsleitern wahrgenommen. Im Gegensatz zur Bestellung eines Insolvenzverwalters im Regelverfahren fehle es hierbei lediglich an einem förmlichen Bestellungsakt. Diese Konstellation birgt nach Ansicht des BGH ein besonderes Haftungsbedürfnis, welches allein durch analoge Anwendung der §§ 60, 61 InsO befriedigt werden könne. Dies folge nicht zuletzt aus dem allgemeinen Grundsatz, dass jeder, der über erhebliche Herrschafts- und Einflussmöglichkeiten verfügt, im Falle eines Fehlgebrauchs auch einer persönlichen Haftung zu unterwerfen ist.

Die analoge Anwendung der §§ 60, 61 InsO sei insbesondere deshalb geboten, weil nur auf diesem Weg eine unmittelbare persönliche Inanspruchnahme des Geschäftsleiters durch Gläubiger ermöglicht werde. Ohne eine analoge Anwendung der insolvenzrechtlichen Haftungsvorschriften könnten Gläubiger im Insolvenzverfahren weder über die allgemeinen gesellschaftsspezifischen Haftungstatbestände für Geschäftsleiter (§§ 43 GmbHG, 93 AktG) Ansprüche gegen den Geschäftsleiter geltend machen, noch hätten diese ohne Hinzutreten besonderer Umstände einen Anspruch auf der Grundlage zivilrechtlicher Haftungstatbestände. Auch die Überwachung durch den Gläubigerausschusses (§ 69 InsO) und durch den Sachwalter (§ 274 InsO) sowie die Aufsicht des Insolvenzgerichts (§ 58 InsO) bieten nach Ansicht des BGH keinen ausreichenden Schutz des Gläubigers vor Pflichtverletzungen des Geschäftsleiters.

C. Fazit und Praxishinweise

Mit diesem Urteil ist der BGH einer in der Praxis verbreiteten Forderung nach analoger Anwendung der §§ 60, 61 InsO gefolgt (vgl. hierzu u.a. die McKinsey/Noerr Insolvenzstudie 2018). Sowohl als Geschäftsleiter bestellte Sanierungsexperten als auch die übrigen Geschäftsleiter unterliegen bei einer Eigenverwaltung insolvenzspezifischen Pflichten und verfügen – im Vergleich zur Situation vor Verfahrenseröffnung – über zusätzliche Befugnisse. Dies betrifft z.B. die Frage der Erfüllungswahl im Hinblick auf gegenseitige, noch nicht vollständig erfüllte Verträge oder die Verwertung von Sicherheiten. Sie müssen nun bei Verletzung dieser insolvenzspezifischen Pflichten mit einer direkten Inanspruchnahme durch die betroffenen Gläubiger rechnen. Diese Entscheidung ist im Hinblick auf eine weitere Professionalisierung der Sanierungsberatung auch im Rahmen der Eigenverwaltung zu begrüßen.

Eine solche Haftung gilt hingegen nicht für Sanierungsexperten, die anstelle zum Geschäftsführer oder Vorstand lediglich zum Generalbevollmächtigten ernannt werden (wie z.B. im Fall von Air Berlin). Unter dem Aspekt des Gläubigerschutzes dürfte es künftig daher fraglich sein, ob die bloße Bestellung eines (nicht dem Haftungsregime der §§ 60, 61 InsO unterliegenden) Generalbevollmächtigten genügt um gegebenenfalls bestehende Zweifel an der Kompetenz der Geschäftsleitung des Schuldners zur Durchführung der Eigenverwaltung zu beseitigen. Aus Sicht der Gläubiger jedenfalls dürfte angesichts der nun erfolgten Klarstellung zum Haftungsregime die Bestellung eines Sanierungsgeschäftsführers bzw. –vorstandes deutlich vorzugswürdig sein.

Restrukturierung & Insolvenz

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