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OLG Bamberg zum Versicherungsfall in der Kfz-Rückrufkostenversicherung

24.04.2023

Gerichtsentscheidungen zur industriellen Haftpflichtversicherung sind selten; zur Rückrufkostenversicherung sind sie geradezu eine Rarität. Ein solches bereits am 16.12.2021 ergangenes Urteil des OLG Bamberg (Az. 1 U 79/20; BeckRS 2021, 60955) hat bisher überraschend wenig Beachtung gefunden (vgl. aber r+s 2023, 310, mit kritischen Anmerkungen Schimikowski).

Versicherungsschutz in der Kfz-Rückrufkostenversicherung

Die Kfz-Rückrufkostenversicherung bietet Versicherungsschutz für drei verschiedene Fallkonstellationen: den namensgebenden Rückruf zur Gefahrenabwehr, daneben für sogenannte Vorfeldmaßnahmen, soweit ein Rückruf nicht erforderlich ist, weil die betroffenen Fahrzeuge noch nicht ausgeliefert sind, und schließlich für sogenannte Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr. Letzteres betrifft Gewährleistungskonstellationen. Diese drei Deckungsbausteine unterliegen einer wechselseitigen Exklusivität. Vorfeldmaßnahmen kann es nur bis zur Auslieferung geben, danach muss gegebenenfalls zurückgerufen werden. Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr, gleich ob die Fahrzeuge noch beim Hersteller oder schon ausgeliefert sind, werden bedingungsgemäß (vgl. GDV Musterbedingungen AVB BHV A5-5.1, Stand Mai 2019) nur versichert, soweit es weder Vorfeldmaßnahmen noch einen Rückruf gibt.

„Triggerwahnsinn“

Der Bestimmung des Versicherungsfalls, im Fachjargon als Trigger (im Sinne des Auslösers des Versicherungsschutzes) bezeichnet, kommt entscheidende Bedeutung zu, wenn es darum geht, ob überhaupt und gegebenenfalls in welcher Versicherungsperiode bei welchem Versicherungsunternehmen zu welchen Bedingungen Versicherungsschutz besteht.

Dieser Trigger ist für die drei Deckungsbausteine der Kfz-Rückrufkostenversicherung nicht einheitlich definiert.

Beim gefahrrelevanten „echten“ Rückruf zur Vermeidung von Personen- oder Sachschäden ist der Trigger (AVB BHV A5-3.1) die auf gesetzlicher Verpflichtung beruhende Aufforderung des Kfz-Herstellers an Kfz-Halter, in die Werkstatt zu kommen. Der Kfz-Hersteller kommuniziert hierbei notwendigerweise nach außen.

Für die Versicherung der Vorfeldmaßnahmen (AVB BHV A5-4.2), soweit die Fahrzeuge noch bei dem Hersteller „auf dem Hof stehen“, aber auch für die Versicherung von Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr (AVB BHV A5-5.2), gleich wo die Fahrzeuge sich befinden, ist Trigger jeweils die innerbetriebliche Weisung des Kfz-Herstellers zur Überprüfung der fehlerverdächtigen Teile.

Relativ häufig weichen insbesondere Maklerbedingungen anstatt der vagen innerbetrieblichen Weisung auch auf andere Versicherungsfalldefinitionen aus, etwa (analog zum System der Produkthaftpflichtversicherung) auf den frühen Zeitpunkt des Einbaus fehlerhafter Teile, oder aber, am anderen Ende des Zeitstrahls, auf den Ausbau solcher Teile. Sogar Rufe nach flächendeckender Anwendung des aus der D&O Versicherung bekannten Claims-made Prinzips gibt es gelegentlich.

Vertreter führender Industrieversicherungsmakler sprachen angesichts dieser vielfältigen Gestaltungen schon von einem „Triggerwahnsinn“ (Grote, ZfV 2019, 212).

Keine abschließende Klärung durch das OLG Bamberg

Dem Urteil des OLG Bamberg lag – sehr stark vereinfacht – folgender Sachverhalt zugrunde:

Im Jahr 2014 ergaben sich Hinweise auf eine gefahrträchtige Fehlerhaftigkeit bestimmter Fahrzeugkomponenten. Ein Rückruf im Sinne der per Mailingaktion an Halter gerichteten Aufforderung, die Fahrzeuge in die Werkstatt zu bringen, erfolgte erst im Folgejahr 2015 – nachdem der für die Kosten der Aktion mit einem zweistelligen Millionenbetrag in Regress genommene Zulieferer zum Jahreswechsel auch seinen Versicherer gewechselt hatte.

Die Deckungsklage war (nur) gegen den Versicherer des Jahres 2014 gerichtet. Sie hatte keinen Erfolg, weil das OLG Bamberg schon nicht feststellen konnte, dass im Jahr 2014 ein den Versicherungsschutz auslösender Versicherungsfall eingetreten war.

Dies erscheint hinsichtlich der beiden Deckungsbausteine des Rückrufs – der, wenn überhaupt, erst mit Halteraufforderungen im Jahr 2015 durchgeführt wurde – bzw. der Vorfeldmaßnahmen – alle betroffenen Fahrzeuge befanden sich offenbar bereits bei Kunden – jedenfalls im Ergebnis greifbar richtig.

Streitig war auch, ob nicht im Jahr 2014 bereits der Versicherungsfall des Deckungsbausteins für Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr mit einer entsprechenden innerbetrieblichen Weisung eingetreten war. Die Versicherungsnehmerin berief sich darauf, dass der Fahrzeughersteller noch im Jahr 2014 – innerbetrieblich – die Durchführung einer Lebensdaueruntersuchung der betroffenen Fahrzeugkomponenten angeordnet hatte. Außerdem war zumindest für den in Asien betriebenen Teil der betroffenen Fahrzeuge die Entscheidung zum Austausch der fraglichen Komponenten ebenfalls noch im Jahr 2014 getroffen, wenngleich dann erst im Jahr 2015 umgesetzt worden.

Das OLG Bamberg folgte dem nicht. In Form der Halteraufforderungen im Jahr 2015 sei, in Abgrenzung zu einer bloß innerbetrieblichen Weisung, ein Rückruf erfolgt, der auch der Gefahrenabwehr diente. Ausweislich der Lebensdaueruntersuchungen des Fahrzeugherstellers und der im Prozess vorgelegten Sachverständigengutachten bestand die Gefahr von „kapitalen Motorschäden“ und, mehr oder weniger naheliegend, auch von Personenschäden. Deshalb sei für die Heranziehung des Deckungsbausteins für Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr kein Raum.

Diese Begründung bzw. Abgrenzung überzeugt nicht.

Der Versicherungsschutz für Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr besteht unabhängig davon, ob die betroffenen Fahrzeuge noch beim Hersteller „auf dem Hof stehen“, oder schon „im Feld“ bei Kunden sind. Dieser Versicherungsschutz ist deshalb nicht schon ausgeschlossen, nur weil die betroffenen Fahrzeuge möglicherweise erst im Wege von Halteraufforderungen in die Werkstätten gerufen werden müssen. Ob man insoweit von einem „gefahrlosen Rückruf“ (Nickel/Nickel-Fiedler, Rückrufkostenversicherung, KfzRückRM, Ziff. 8 Rn.1), von Serviceaktion oder Ähnlichem spricht, ist für den Versicherungsschutz irrelevant.

Abgesehen davon ist auch nicht jeder Rückruf zur Vermeidung von Personen- oder Sachschäden automatisch auch ein Rückruf im Sinne der Versicherungsbedingungen. Ein Rückruf setzt nach den typischen Versicherungsbedingen (AVB BHV A5-3.1), vielmehr eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung voraus. Spätestens seitdem der BGH in seinem Pflegebetten-Urteil (NJW 2009, 1080) – unter den speziellen Umständen jenes Falles – bei brandgefährdeten Pflegebetten eine Rückrufpflicht verneinte, wird man jeweils im Einzelfall zu prüfen haben, ob wirklich wegen der Gefahr von Personenschäden und erst recht wegen etwaigen Sachschäden (auch in Form sogenannter Weiterfresserschäden, die ja auf das Fahrzeug selbst beschränkt blieben?) tatsächlich eine gesetzliche Rückrufpflicht besteht. Diese Prüfung wird außerdem für jede Jurisdiktion, in der sich betroffene Fahrzeuge befinden, durchzuführen sein, mit möglicherweise unterschiedlichen Ergebnissen (Schimikowski, r+s 2023, 315 f.). Das OLG Bamberg hat sich damit nicht befasst und setzt sich deshalb auch nicht gar näher mit dem Trigger der innerbetrieblichen Weisung auseinanderzusetzen.

Gefahr von Deckungslücken

Der Fall, dass in einer Jurisdiktion mangels gesetzlicher Rückrufverpflichtung der frühere Trigger einer innerbetrieblichen Weisung mit Blick auf Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr maßgeblich ist, in der anderen aber ein Rückruf, der erst in einer späteren Versicherungsperiode bei einem anderen Versicherer eintritt, ist denkbar.

Eine Zersplitterung des Versicherungsschutzes oder gar ein Ausschluss, weil sich der Folgeversicherer nicht auf bereits bekannte bzw. sich anbahnende Risiken einlassen will, lässt sich gegebenenfalls mit einer Serienschadenklausel, die auch nachlaufende Versicherungsfälle noch in die Deckung beim Vorversicherer zieht, unter Umständen auch mit der Möglichkeit einer Umstandsmeldung beim Vorversicherer vermeiden. Beides ist nicht unbedingt Marktstandard. Eine sorgfältige Prüfung der Versicherungsbedingungen empfiehlt sich insbesondere, wenn ein Wechsel des Versicherers erwogen wird.

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