Umsatzberechnung bei Joint Ventures im EU-Fusionskontrollrecht
Das Europäische Gericht hat mit Urteil vom 5. Oktober 2020 (T‑380/17, HeidelbergCement AG/Schwenk Zement KG v. European Commission) zu wichtigen Fragen der Umsatzberechnung Stellung bezogen.
Hintergrund
Transaktionen sind bei Kartellbehörden anzumelden, wenn ein Zusammenschlusstatbestand erfüllt ist, und die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen Schwellenwerte bezogen auf Umsatz, Marktanteile oder Vermögenswerte erreichen. Demgemäß gilt in der Europäischen Union, dass ein Kontrollerwerb vorliegen muss, und die Beteiligten im Geschäftsjahr vor der Transaktion (i) gemeinsame Umsätze weltweit und – kumulativ – (ii) mindestens zwei Beteiligte jeweils bestimmte EU-weite Umsätze bzw. unter Umständen auch Umsätze in einzelnen Mitgliedstaaten erzielt haben müssen.
Die konsolidierten Konzernumsätze stehen dabei für die wirtschaftliche Bedeutung und Ressourcen der beteiligten Unternehmen und sind der Filter, um Transaktionen von EU-weiter Bedeutung von solchen lediglich nationaler Dimension zu unterscheiden. Die richtige Umsatzberechnung entscheidet daher über die Zuständigkeit der Kartellbehörden und stellt sicher, dass eine anmeldepflichtige Transaktion vor Vollzug angemeldet und von der zuständigen Behörde genehmigt worden ist.
Joint Ventures als Erwerber
In Fällen, in denen ein Erwerber ein Unternehmen erwirbt, sind die für die Umsatzberechnung maßgeblichen Beteiligten einerseits der Erwerber und andererseits das zu erwerbende Unternehmen. Erwirbt ein gemeinsam gehaltenes Joint Venture ein Unternehmen, stellt sich für die Umsatzberechnung und Zuständigkeit der Europäischen Kommission die hochrelevante Frage, wer die beteiligten Unternehmen sind – dies soll folgendes Schaubild illustrieren.
Beteiligte Unternehmen sind hier einerseits (i) das Joint Venture, dessen konsolidierter Umsatz die Umsätze der beiden Muttergesellschaften einschließt, und andererseits (ii) das Zielunternehmen. Eine EU-Anmeldung ist dann notwendig, wenn das Joint Venture und das Zielunternehmen gemeinsam die weltweite Umsatzschwelle, und das Joint Venture und das Zielunternehmen jeweils den EU-bezogenen Umsatzwert erreichen. Erzielt das Zielunternehmen zu geringe Umsätze, scheidet eine Anmeldung in Brüssel aus, und nationale Anmeldungen sind möglicherweise notwendig.
Anders stellt es sich dar, wenn nicht das Joint Venture ein beteiligtes Unternehmen ist, sondern die Muttergesellschaften - dies verdeutlicht folgendes Schaubild:
Hier sind beteiligte Unternehmen (i) die Muttergesellschaft 1, (ii) die Muttergesellschaft 2 – jeweils einschließlich der hälftigen Umsätze des Joint Ventures – und (iii) das Zielunternehmen. Somit können bereits Muttergesellschaft 1 und Muttergesellschaft 2 die EU-bezogenen Umsatzwerte erreichen, ohne dass es auf die Umsätze des Zielunternehmens ankommt. Erzielt das Zielunternehmen geringe oder keine Umsätze in der EU, kann eine Anmeldung in Brüssel dennoch notwendig sein.
Urteil
Für die Frage, ob für die Umsatzberechnung „durch das Joint Venture“ auf die Muttergesellschaften geschaut wird, ist für das Europäische Gericht die wirtschaftliche Realität maßgeblich. Für die Umsatzberechnung folgt daraus, dass jedenfalls in Situationen, in denen das Joint Venture ein reines Akquisitionsvehikel für den Erwerb des Zielunternehmens ist, die Muttergesellschaften beteiligte Unternehmen sind. Über dieses Szenario hinaus ist grundsätzlich darauf abzustellen, wer wirtschaftlich die eigentlichen Akteure sind, die eine Transaktion wesentlich initiieren, organisieren und finanzieren.
Das Europäische Gericht misst für diese Bewertung der aktiven Einbindung (auch nur einer der) Muttergesellschaften im Erwerbsprozess große Bedeutung zu, und führt folgende Elemente an, die für die bedeutsame Rolle der Muttergesellschaften streiten:
- Vertreter einer Muttergesellschaft bestimmten die Zusammensetzung des Steering Committees und nahmen – bereits zu einem frühen Zeitpunkt - an Verhandlungen teil, verhandelten Vertraulichkeitsvereinbarungen, organisierten und führten die Due Diligence durch, planten die Integration, erstellten die Dokumentation, sprachen mit Banken und verhandelten den Kaufpreis.
- Auch wenn die andere Muttergesellschaft eine eher passive Rolle hatte, signalisierte diese zu Beginn des Erwerbsprozesses Zustimmung, wurde regelmäßig informiert und in Erwägungen zur Transaktionsstruktur einbezogen.
- Zudem hatte das Joint Venture keine personellen und sachlichen Ressourcen, um eine Transaktion dieser Größenordnung alleine zu stemmen.
- Auch wenn das Joint Venture 80% des Kaufpreises finanziert hatte und 20% aus Eigenmitteln bestreiten konnte, war für das Europäische Gericht maßgeblich, dass die Muttergesellschaften letztlich das Kapital für die Eigenmittel stellten und die Finanzierung insgesamt autorisierten.
Unbeachtlich ist für das Europäische Gericht, dass das Joint Venture eigenständige Marktpräsenz (sogenannte Voll-Funktion) hatte und mit eigenem strategischen Interesse am Transaktionsprozess beteiligt war.
Kommentar
Das Urteil zeigt einmal mehr, wie wichtig die sorgfältige Analyse der für die Zuständigkeit relevanten Informationen ist. Hierzu gehört die richtige Umsatzberechnung, die sicherstellt, dass eine anmeldepflichtige Transaktion vor Vollzug bei der zuständigen Behörde angemeldet wird. Ein Irrtum kann unangenehm werden, wenn eine eigentlich gebotene Anmeldung unterlassen und die notwendige behördliche Genehmigung nicht erteilt wurde, und damit ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot im Raum steht, der rechtliche (schwebende Unwirksamkeit der Transaktionsverträge) und finanzielle (Bußgeld) Sanktionen nach sich ziehen kann. Zudem mag der Transaktionszeitplan nicht gehalten werden, wenn noch Behörden einzuschalten sind, die ursprünglich nicht bedacht wurden.
Wichtig ist in diesem Kontext zunächst ein klares Verständnis über die Rolle der Muttergesellschaften. Bei Zweifelsfragen empfiehlt das Europäische Gericht, die Zuständigkeit mit der Europäischen Kommission vorab zu klären. Hier gilt, dass ein informelles Konsultationsverfahren mit der Generaldirektion Wettbewerb nicht innerhalb weniger Tage abzuschließen ist. Teilweise sind viele Informationen einzureichen, bevor das Case Team – u.U. erst nach Wochen und unter Einschaltung z.B. des Juristischen Diensts – eine für Unternehmen robuste Aussage machen kann.
Bestens
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