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Weitere Verschärfungen der Investitionskontrolle in Deutschland zu erwarten

02.02.2021

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie („BMWi“) hat am 22.01.2021 und damit später als ursprünglich erwartet einen Referentenentwurf für die 17. Novelle der Außenwirtschaftsverordnung („AWV“) veröffentlicht, mit dem es zum vierten Mal binnen weniger als 12 Monaten Verschärfungen der deutschen Investitionskontrolle vorschlägt. Erklärtes Ziel ist es, die AWV an die Vorschriften des erst kürzlich ebenfalls geänderten Außenwirtschaftsgesetzes („AWG“) anzupassen und weitere Inhalte der EU-Screening-Verordnung (Verordnung (EU) 2019/452 vom 19. März 2019) im deutschen Investitionsprüfungsrecht nachzuvollziehen. Der Entwurf enthält darüber hinaus erhebliche Verschärfungen und Ausweitungen des Anwendungsbereichs und ist dementsprechend umstritten.

Kernelemente des Entwurfs

Der Entwurf enthält u.a. vier wichtige Änderungen:

  • Erstens führt der Entwurf eine Vielzahl an weiteren Fallgruppen für betroffene Zielgesellschaften im Rahmen der sektorübergreifenden Prüfung (gem. §§ 4 Abs. 1 Nr. 4, 5 Abs. 2 AWG, §§ 55 bis 59 AWV) ein. Eine solche Aufnahme als Fallgruppe löst eine Meldepflicht bei Investitionen aus Drittstaaten aus, senkt den anwendbaren Schwellenwert von 25 % auf 10 %, zieht ein umfassendes Vollzugsverbot nach sich, und bedingt eine Vermutung zugunsten einer Betroffenheit der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die letztlich zu einer Beschränkung des Erwerbs führen kann. Die Anzahl der Fallgruppen soll ganz erheblich von derzeit 11 auf 27 ausgeweitet werden. Der Fokus der neuen Fallgruppen liegt dabei auf Zukunfts- und Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz, autonomes Fahren, Robotik oder Cybersicherheit. Dem BMWi ist hier hoch anzurechnen, dass es die Fallgruppen der EU-Screening-Verordnung nicht eins zu eins übernehmen, sondern weiter konkretisieren und damit einschränken möchte. Letztlich sind viele Fallgruppen aber noch sehr weit definiert, so dass die Anzahl der meldepflichtigen Erwerbe sehr wahrscheinlich stark zunehmen wird.

  • Zweitens soll die sektorspezifische Prüfung (gem. §§ 4 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 3 AWG, §§ 60 bis 62 AWV) erweitert werden auf alle Erwerbe von Unternehmen, die gelistete Rüstungsgüter entwickeln, herstellen, modifizieren oder die tatsächliche Gewalt über sie innehaben. Auch hiermit verknüpft ist eine Meldepflicht – in diesem Bereich für jede ausländische Investition, unabhängig davon, ob der Käufer aus der EU oder aus Drittstaaten kommt –, eine Senkung des anwendbaren Schwellenwerts von 25 % auf 10 %, ein umfassendes Vollzugsverbot, und eine Vermutung zugunsten einer Betroffenheit der Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland. Gerade hinsichtlich derjenigen Zielgesellschaften, die an Konzerne zuliefern, die ihrerseits Rüstungsgüter herstellen, dürfte dies die Anzahl der meldepflichtigen Erwerbe sehr erhöhen, und zwar deutlich über die im Verordnungsentwurf geschätzte Verdopplung hinaus. Denn nach dem maßgeblichen Exportkontrollrecht sind „besonders konstruierte“ Bestandteile für gelistete Rüstungsgüter ebenfalls gelistet, und die in Deutschland für Exportkontrolle zuständige Behörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, legt das Merkmal der besonderen Konstruktion sehr weit aus.

  • Besondere Aufmerksamkeit verdient drittens eine Regelung, nach der im Investitionskontrollrecht erstmals seit seinem Bestehen auch der Erwerb von Kontroll- und Verwaltungsrechten berücksichtigt wird. Bisher kam es zur Bestimmung des Erreichens oder Überschreitens der maßgeblichen Schwellenwerte von 10 % im Bereich der meldepflichtigen Erwerbe oder 25 % bei allen anderen Erwerben allein auf die nominellen Stimmrechtsanteile an. Nach der nunmehr vorgesehenen Regelung soll es genügen, dass der Erwerber einen Stimmrechtsanteil unterhalb der einschlägigen Schwelle erwirbt, wenn dies einhergeht mit der „Zusicherung zusätzlicher Sitze oder Mehrheiten in Aufsichtsgremien oder in der Geschäftsführung“, der „Einräumung von Vetorechten bei strategischen Geschäfts- oder Personalentscheidungen“ oder auch nur der „Einräumung von Informationsrechten“ und dadurch jeweils ein Einfluss auf das inländische Unternehmen vermittelt wird, der einem Stimmrechtsanteil von 10 % bzw. 25 % entspricht. Es mag unter dem Gesichtspunkt, möglichst alle Konstruktionen zu erfassen, zwar sinnvoll erscheinen, neben dem reinen Stimmrechtsanteil auch tatsächliche Einflussmöglichkeiten zu erfassen. Allerdings verliert die Zuständigkeit des BMWi dadurch ein klar definiertes und konturiertes Bestimmungsmerkmal. Anders als die Stimmrechte lässt sich „Einfluss“ nicht quantifizieren, und damit lässt sich im Einzelfall nicht verlässlich beurteilen, ob der Einfluss des Erwerbers mit einem Stimmrechtsanteil von 10% oder 25% vergleichbar ist. In der deutschen Fusionskontrolle ist ein ähnliches Problem bekannt. Der Auffangtatbestand des „Erwerbs wettbewerblich erheblichen Einflusses“ unterhalb der formalen Anteilsschwelle von 25 % (§ 37 Abs. 2 Nr. 4 GWB) birgt ebenfalls Unsicherheiten, und seine Anwendbarkeit kann in der Praxis oftmals nur durch behördliche Konsultationen abgeklärt werden. Für das AWV-Verfahren steht Ähnliches zu erwarten. Ausländische Investoren dürften im Interesse der Transaktionssicherheit, vor allem im Hinblick auf die fehlende Meldepflicht bei Erwerb solcher Einflussmöglichkeiten, vermehrt vorsorgliche Meldungen einreichen bzw. das BMWi vorab zur Zuständigkeit konsultieren – mit entsprechenden Konsequenzen für den Transaktionszeitplan.

  • Schließlich enthält die Novelle eine als „Klarstellung“ bezeichnete Regelung, die die bisherige Prüfpraxis des BMWi kodifizieren soll und die jede Anteilsaufstockung oberhalb der einschlägigen Schwellenwerte von 10 % bzw. 25 % dem Anwendungsbereich der Investitionsprüfung unterstellt. Dies soll selbst dann gelten, wenn der Erwerber für seine vorangegangenen Anteilserwerbe eine Unbedenklichkeitsbescheinigung oder Freigabe des BMWi erhalten hat. Diese Vorschrift bzw. Praxis ist im Zusammenspiel mit der immer weiteren Ausdehnung der strafbewehrten Meldepflichten und Vollzugsverbote durchaus kritisch zu sehen. Auch minimale Anteilsveränderungen oder konzerninterne Umstrukturierungen können damit vom BMWi geprüft und müssen ggf. gemeldet werden, ohne dass hierfür ein erkennbares Bedürfnis besteht. Gerade am Kapitalmarkt erscheint es schwierig, auch bei kleineren Aufstockungen, etwa um einen günstigen Kurs auszunutzen, das BMWi notifizieren und einen Vollzug abwarten zu müssen. Genau dies wird durch die Praxis bzw. den Verordnungsentwurf allerdings verlangt. Auch hier könnte ein Blick auf die deutsche Fusionskontrolle weiterhelfen. Aufstockungen unterfallen dort nur dann der Kontrolle, wenn sie „zu einer wesentlichen Verstärkung der bestehenden Unternehmensverbindung“ führen (§ 37 Abs. 2 GWB). Alternativ oder zusätzlich dazu könnte die Prüfmöglichkeit davon abhängig gemacht werden, dass die Beteiligung des Erwerbers festgelegte Stimmrechtsschwellen überschreitet (vgl. § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB). Sollte der Verordnungsentwurf tatsächlich unverändert in Kraft treten, wird ggf. zu diskutieren sein, ob man für einen bestimmten Rahmen bereits eine „Vorratsnotifizierung“ machen kann, um entsprechend flexibel zu sein.

Auswirkungen auf die Transaktionspraxis

Die Auswirkungen des Entwurfs der 17. AWV-Novelle vorgeschlagenen auf die Transaktionspraxis wären erheblich. Das BMWi selbst schätzt – und bezeichnet diese Schätzung als „konservativ“ –, dass durch die geplanten Verschärfungen der Investitionskontrolle die Zahl der meldepflichtigen Erwerbe pro Jahr um 180 steigen wird (150 im sektorübergreifenden, 30 im sektorspezifischen Bereich). In diese Schätzung hat das BMWi einkalkuliert, dass Investoren aus dem Vereinigten Königreich in Folge des Brexit ebenfalls der Investitionsprüfung unterfallen – wir berichteten. Es ist nicht zuletzt vor diesem Hintergrund kritisch zu hinterfragen, inwieweit für die Einführung weiterer Fallgruppen in die sektorübergreifende Prüfung sowie für die Aufnahme der kompletten Liste an Rüstungsgütern in die sektorspezifische Prüfung ein sicherheitspolitisches Bedürfnis besteht – zumal das bestehende Investitionskontrollrecht dem BMWi bereits umfassende Eingriffsbefugnisse gibt.

Die betroffenen Unternehmensverbände haben nun die Möglichkeit, bis Ende Februar Stellung zu nehmen. Angesichts der kontroversen Diskussion um den Entwurf rechnen wir vor seiner Verabschiedung noch mit weitreichenden Änderungen.