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Bundespatentgericht zum Beweiswert von Internetbelegen

20.09.2021

In seiner sehr lesenswerten Entscheidung vom 18. Februar 2021 hat sich das Bundespatentgericht (Az. 30 W (pat) 807/18) mit der Frage beschäftigt, auf welche Beweismittel aus dem Internet zurückgegriffen werden kann, um die fehlende Eigenart und Neuheit eines Designs nachzuweisen.

Hintergrund und Sachverhalt

Der Antragsgegner war Inhaber eines seit April 2013 eingetragenen Designs einer Radkappe. Im April 2017 beantragte die Antragstellerin beim DPMA die Feststellung der Nichtigkeit. Sie stützte sich dabei auf die vermeintlich fehlende „Neuheit“ des eingetragenen Designs, die zwingende Schutzvoraussetzung ist. Zum Nachweis legte die Antragstellerin eine Reihe von Internetausdrucken vor:

  • Screenshots einer zeitlich begrenzten Google-Bildersuche, in der ähnliche Radkappen mit einem Zeitstempel vor der Designanmeldung zu sehen waren;
  • Screenshots von Amazon-Angeboten, die ebenfalls eine ähnliche Radkappe zeigten und laut den Produktinformationen bereits vor der Anmeldung des Designs „Im Angebot von Amazon“ erhältlich waren.

Das DPMA hatte den Nichtigkeitsantrag zurückgewiesen, jedoch offengelassen, ob die angeführten Internetnachweise für sich genommen als Beweis der neuheitsschädlichen Offenbarung genügen können.

Die Entscheidung des Bundespatentgericht (BPatG)

Das BPatG hat sich mit der umstrittenen Frage des Beweiswertes von Internetinhalten nunmehr umfassend auseinandergesetzt:

a) Zeitlich-begrenzte Suchfunktion & elektronischer „Stempelabdruck“

Das BPatG stellte fest, dass dem Screenshot einer zeitlich begrenzten Google-Suche für sich genommen kein hinreichender Beweiswert zukäme. Diese Ergebnisse seien nach Auffassung des BPatG nur „mit Vorsicht zu betrachten“. Die von Google vorgenommene Datierung der Ergebnisse könne sich auch nach dem Zeitpunkt der letzten Cache-Speicherung bzw. dem Zeitpunkt der letzten Websiteaktualisierung richten oder sich auf ein Vorprodukt beziehen. Daher könne auch ein von Google generierter „Stempelabdruck“ die Richtigkeit der Datierung nicht belegen, da er nicht denselben Beweiswert wie ein elektronischer Zeitstempel habe.

b) Ausdrucke und Screenshots von E-Commerce Plattformen

Im Hinblick auf die Screenshots verschiedener Amazon-Angebote nebst Angabe „im Angebot seit…“ äußerte das BPatG ebenfalls Bedenken hinsichtlich des Beweiswerts. Ohne weitere Belege seien sie jedenfalls nicht geeignet, die Datierung des Verkaufsangebots vor dem Anmeldezeitpunkt des Designs zu beweisen. Solche Ausdrucke und Screenshots unterlägen dem Problem einer „potentiellen Austauschbarkeit“. So könne es auf einzelnen E-Commerce Plattformen vorkommen, dass neuere Produktversionen dieselbe Datierung und Referenznummer wie deren Vorgängermodell erhielten. Die Veröffentlichung werde hiernach unter Umständen auf einen Zeitpunkt datiert, zu dem das jeweilige Produkt noch gar nicht existierte. Hinzu tritt nach Ansicht des BPatG, dass entsprechende Angaben grundsätzlich frei wähl- und rückdatierbar seien.

Im konkreten Fall waren zudem sämtliche Kundenbewertungen in einem Zeitraum erfolgt, der nach der Design-Anmeldung lag. Dem Antragsgegner war es außerdem gelungen, eine Stellungnahme des Amazon-Händlers zu erhalten, worin dieser bestätigte, dass die Datumsangabe im Angebot falsch sei.

c) Internetbelege künftig ohne Beweiswert?

Das BPatG hat deutlich gemacht, dass einigen üblichen Formen des Internetbeleges (Screenshots, Google-Datierungen, …) regelmäßig ein niedriger Beweiswert zukommt. Seine Beurteilung hat das BPatG dabei ausdrücklich auf den vom EUIPO im Rahmen des Kooperationsprojektes „CP 10“ entwickelten Kriterienkatalog gestützt, der sich mit den Stärken und Schwächen verschiedenster Formen digitaler Belege auseinandersetzt und deren Aussagekraft festlegt (vgl. EUIPO, Die Gemeinsame Praxis - Kriterien für die Bewertung der Offenbarung von Geschmacksmustern im Internet).

Das bedeutet freilich nicht, dass der Nachweis der fehlenden Neuheit oder Eigenart künftig nur analog geführt werden kann. Das BPatG äußert sich ausdrücklich positiv zu Website-Archivierungsdiensten wie der „WayBack Machine“. Diese seien durchaus geeignet, den Beweis über eine frühere Offenbarung zu erbringen. Ebenso würden digitale Zertifikate, sogenannte „qualifizierte elektronische Zeitstempel“, den Beweiswertes einer behaupteten Datierung bestimmter Dateien wesentlich erhöhen. Denn diese ermöglichten die zuverlässige Feststellung, dass ein bestimmter Inhalt zum Zeitpunkt der Anbringung des Zeitstempels tatsächlich vorhanden war. Aber auch Amazon-Angeboten fehlt mit dieser Entscheidung nicht per se jeder Beweiswert, solange sie nicht – wie im konkreten Fall – noch durch weitere Umstände zusätzlich entkräftet werden.