EU-Kommission: Neues „zweiseitiges“ Whistleblower-Programm für Kartellverstöße
Nach u.a. dem Bundeskartellamt hat nunmehr auch die Europäische Kommission ein „zweiseitiges“ Whistleblower-Programm eingeführt. Dabei wird der Kommunikation ein externer Dienstleister zwischengeschaltet, um eine anonyme „zweiseitige“ Kommunikation zwischen Kommission und Hinweisgeber zu ermöglichen. Parallel zum neuen Hinweisgebersystem gibt es noch bis zum 29.05.2017 eine öffentliche Konsultation der Kommission zum effektiven Schutz von Whistleblowern, auch und gerade abseits des Kartellrechts.
Hintergrund
Kartelle operieren meist im Geheimen. Kartellbehörden sind daher in besonderem Maße auf Hinweise von Wettbewerbern, Geschäftspartnern oder sogar direkt von den kartellbeteiligten Unternehmen angewiesen, um Kartelle aufdecken und in der Folge auch effektiv sanktionieren zu können. Mitarbeiter kartellbeteiligter Unternehmen, die als Eingeweihte oder zumindest Mitwisser über entsprechende Informationen verfügen, schrecken aber oftmals bereits davor zurück, mögliche Verstöße gegen das Kartellrecht überhaupt ihren eigenen Vorgesetzten zu melden. Sie müssen befürchten, Repressalien am Arbeitsplatz zu erleiden oder anderen Nachteilen ausgesetzt zu sein. Erst recht scheuen potenzielle Whistleblower, Hinweise auf Kartellrechtsverstöße einer Kartellbehörde zu melden, wenn sie dabei noch ihre Identität preisgeben müssen. Nicht anders ergeht es Wettbewerbern von Kartellanten oder insbesondere Unternehmen, die wegen eines namentlichen Hinweises etwa eine Einstellung der Belieferung befürchten müssen.
Um die Identität von Hinweisgebern zu schützen, nimmt die Europäische Kommission vor diesem Hintergrund bereits seit einiger Zeit über ihr „einseitiges“ Whistleblower-Programm auch anonyme Hinweise zu kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen von Unternehmen entgegen. Geben Informanten ihre Identität nicht preis, hat dies bislang allerdings den großen Nachteil, dass die Europäische Kommission daran gehindert ist, weitere relevante Informationen einzuholen, die für die Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens und etwa auch die Vornahmen einer Durchsuchung erforderlich sind, im ursprünglichen Hinweis aber nicht enthalten waren.
So hat beispielsweise auch das deutsche Bundeskartellamt zur Vermeidung dieser Nachteile und schon seit dem 01.06.2012 ein elektronisches Hinweisgebersystem (weitere Informationen hier abrufbar) eingerichtet, das eine anonyme „zweiseitige“ Kommunikation zwischen dem Bundeskartellamt und dem Whistleblower ermöglicht. Nach der ersten anonymen Meldung kann der Hinweisgeber einen eigenen, geschützten und persönlichen Postkasten einrichten und über diesen Postkasten vom Bundeskartellamt Rückmeldungen erhalten, etwaige Rückfragen des Amtes beantworten und sich sogar über den Fortgang des Hinweises informieren. Das elektronische Hinweisgebersystem wird dabei – wie auch bei verschiedenen privaten Unternehmen im Rahmen von deren Compliance-Systemen – von einem externen Softwaredienstleister gehostet, der der Kommunikation zwischen Kartellbehörde und Hinweisgeber zwischengeschaltet ist.
Das neue „zweiseitige“ Whistleblower-Programm der Europäischen Kommission
Den gleichen Weg beschreitet nunmehr auch die Europäische Kommission. Wie schon Ende 2015 grundsätzlich erwogen (siehe hierzu unsere News vom 02.10.2015), ermöglicht die Kommission seit dem 16.03.2017 über ihr „Anonymous Whistleblower Tool“ auch eine zweiseitige Kommunikation unter Einschaltung eines externen Dienstleisters (weitere Informationen hier und hier abrufbar). Auf diese Weise wird insbesondere sichergestellt, dass weder die IP-Adresse noch andere Metadaten des Hinweisgebers gegenüber der Kommission offengelegt werden, und verhindert, dass der Hinweisgeber auf diese Weise identifiziert werden kann. Gleichzeitig wird nun auch die Europäische Kommission in die Lage versetzt, bei unklaren oder unvollständigen Hinweisen beim Hinweisgeber nachzufragen sowie präzise und zuverlässig weitere relevante Informationen zu ermitteln. Wie auch im Falle des elektronischen Hinweisgebersystems des Bundeskartellamts kann der Whistleblower dieses Tool nutzen – er muss es jedoch nicht.
Durch ihr neues Tool hofft die Europäische Kommission nicht nur auf eine Ergänzung ihres bewährten Kronzeugenprogrammes („Selbstanzeige“ und Vorlage von Beweismitteln durch Kartellanten, um in den Genuss eines Bußgelderlasses oder zumindest einer Bußgeldreduktion zu kommen) und auf einen besseren Zugang zu Insiderwissen, sondern erwartet auch einen erhöhten Abschreckungseffekt durch die Weiterentwicklung ihres Hinweisgebersystems und damit eine Verbesserung der Kartellprävention.
Öffentliche Konsultation der Europäischen Kommission zum Schutz von Whistleblowern
Parallel zur Einführung des neuen, erweiterten Hinweisgebersystems hat die Europäische Kommission eine öffentliche Konsultation zum effektiven Schutz von Whistleblowern eingeleitet. Diese Konsultation ist nicht auf den Bereich des Kartellrechts beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf weitere Themengebiete wie z.B. das Vermögensstrafrecht (Betrug, Geldwäsche, Korruption etc.), Steuerhinterziehung, Lebensmittelsicherheit, Gefahrenabwehr und Datenschutz (weitere Informationen hier sowie hier abrufbar). Ziel der Konsultation ist dabei nach den Worten der Kommission insbesondere, „unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips den Handlungsspielraum für horizontale oder weitergehende sektorale Maßnahmen auf EU-Ebene auszuloten“. Interessierte Kreise haben die Möglichkeit, bis zum 29.05.2017 – namentlich oder auch nur anonym – Stellungnahmen einzureichen.
Fazit und Ausblick
Trotz des grundsätzlich beschränkten Beweiswerts und des Missbrauchspotenzials anonymer Hinweise sind Whistleblower-Programme effektive Hilfsmittel jedenfalls zur Aufdeckung kartellrechtswidrigen Verhaltens. Sie stellen aus kartellbehördlicher Sicht eine sinnvolle Ergänzung der bewährten Kronzeugenprogramme dar. Durch die Einrichtung des „zweiseitigen“ Whistleblower-Programms auch auf europäischer Ebene ist zu erwarten, dass die Europäischen Kommission in der Lage sein wird, ihre Kartellverfolgung zu intensivieren und weiter zu verbessern. Dafür sprechen vor allem die positiven Erfahrungen, die das Bundeskartellamt mit seinem elektronischen Hinweisgebersystem bereits seit 2012 gemacht hat.
Für Unternehmen besteht daher zukünftig ein noch höheres Risiko, ins Visier der Kartellbehörden zu geraten. Eingedenk des Erfahrungssatzes, dass jedes Kartell irgendwann – und erst recht bei vermehrten Hinweisen von Insidern – auffliegt, erlangt die Einrichtung und effektive Umsetzung von Compliance-Programmen – einschließlich eigener, unternehmensinterner Whistleblower-Hotlines – für Unternehmen einen nochmals erhöhten Stellenwert, um Kartellverstöße zu vermeiden oder zumindest vor den Kartellbehörden aufzudecken.
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