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EuGH stützt deutsches Modell der Unternehmens­mitbestimmung

19.07.2017

Der EuGH hat mit seinem Urteil vom 18.07.2017 in dem Vorlageverfahren in der Rechtssache „Erzberger ./. TUI AG“ bestätigt, dass die deutschen Vorschriften zur Unternehmensmitbestimmung mit dem Unionsrecht vereinbar sind. In seiner Argumentation ist der EuGH dabei im Wesentlichen den Schlussanträgen des Generalanwalts (siehe EuGH-Generalanwalt: Deutsche Unternehmensmitbestimmung europarechtskonform) gefolgt. Für die Praxis besteht nun Rechtssicherheit. Arbeitnehmer, die bei einer Konzerntochter in einem anderen EU-Mitgliedstaat beschäftigt sind, müssen an den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der deutschen Konzernmutter nicht beteiligt werden. Ob dies auch für die Berechnung der mitbestimmungsrechtlich relevanten Schwellenwerte gilt, hat der EuGH nicht entschieden. Hierzu stehen aber nun Entscheidungen nationaler Gerichte an.

Vorlagefrage des KG Berlin

Im Statusverfahren um die Besetzung des Aufsichtsrats der TUI AG hatte der Kläger Konrad Erzberger geltend gemacht, dass das deutsche Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 45 AEUV) und das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) verstößt, weil es das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat nur solchen Arbeitnehmern einräumt, die im Inland in Betrieben des Unternehmens oder seiner Konzernunternehmen beschäftigt sind. Das KG Berlin hatte die Frage der Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit Unionsrecht dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (siehe Wahlrecht ausländischer Arbeitnehmer zum Aufsichtsrat).

Entscheidung des EuGH

Nach Ansicht des EuGH verstoßen die betreffenden Vorschriften des MitbestG nicht gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Mit dem allgemeinen Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit hat sich der Gerichtshof nicht weiter befasst, da Art. 45 Abs. 2 AEUV für den vorliegend einschlägigen Bereich der Arbeitsbedingungen ein spezielleres Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vorsehe.

Er unterscheidet dabei im Wesentlichen 3 Fallgruppen:

  • In Bezug auf die bei einer Tochtergesellschaft außerhalb Deutschlands beschäftigten Arbeitnehmer hält der EuGH die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV bereits für nicht betroffen, weil der erforderliche grenzüberschreitende Bezug fehle.

  • In Bezug auf die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer, die Deutschland verlassen, um bei einer Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat eine neue Stelle anzutreten, sei zwar der Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit eröffnet. Deren Arbeitnehmerfreizügigkeit werde aber nicht dadurch beschränkt, dass sie in diesem Fall das aktive und passive Wahlrecht für die Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der deutschen Konzernmutter sowie gegebenenfalls das Recht auf Ausübung oder weitere Ausübung eines Aufsichtsratsmandats verlieren.

  • Mit der Situation von Arbeitnehmern, die im EU-Ausland in einem Betrieb oder einer unselbständigen Niederlassung einer deutschen Gesellschaft beschäftigt sind, hat sich der EuGH – mangels Existenz in der TUI-Gruppe – ausdrücklich nicht weiter befasst. Der Generalanwalt hatte darauf hingewiesen, dass jedenfalls deren Arbeitsverhältnis grenzüberschreitenden Charakter habe, da diese Arbeitnehmer unmittelbar bei der deutschen Gesellschaft beschäftigt sind. In Bezug auf diese Arbeitnehmer könnte daher – im Unterschied zur Situation der Arbeitnehmer ausländischer Tochtergesellschaften – die Arbeitnehmerfreizügigkeit zumindest betroffen sein. Das Urteil des EuGH lässt jedoch keine Erwägungen erkennen, nach denen der Gerichtshof nicht auch in Bezug auf diese Gruppe von Arbeitnehmern jedenfalls eine fehlende Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit angenommen hätte.

Auswirkungen auf die Schwellenwertberechnung

Für viele Unternehmen noch weitaus bedeutsamer ist die Frage, ob die im EU-Ausland beschäftigten Arbeitnehmer von Konzernunternehmen auch bei der Berechnung der für die Anwendbarkeit des Drittelbeteiligungsgesetzes und des MitbestG relevanten Schwellenwerte von 500 bzw. 2.000 regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern mitgezählt werden müssen. Diese „Zählfrage“ war nicht Gegenstand des Vorlageverfahrens. Obwohl der Verlauf der mündlichen Verhandlung zuletzt teilweise entsprechende Erwartungen geweckt hatte, hat der EuGH deshalb hierzu nicht ergänzend Stellung genommen.

Bei der Nichtberücksichtigung der im EU-Ausland beschäftigten Arbeitnehmer von Konzernunternehmen im Rahmen der Schwellenwertberechnung liegt ein Verstoß gegen Art. 45 AEUV grundsätzlich fern, weil der hieran anknüpfende Status der Unternehmensmitbestimmung die Arbeitnehmer des Konzerns im In- und Ausland gleichermaßen trifft. Diese in der Rechtsprechung dennoch zuletzt umstrittene Frage ist insbesondere Gegenstand des Statusverfahrens im Fall „Deutsche Börse“ (siehe Berücksichtigung ausländischer Arbeitnehmer bei Schwellenwerten der Mitbestimmung), das vom OLG Frankfurt a.M. (OLG Frankfurt vom 17.06.2016 – 21 W 91/15) als Beschwerdegericht bis zu der vorliegenden EuGH-Entscheidung zuletzt ausgesetzt wurde. Es spricht viel dafür, dass das OLG Frankfurt a.M. in der „Zählfrage“ nun zu dem gleichen Ergebnis wie der EuGH in der „Wahlfrage“ kommen wird.

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