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Neue Regeln für den Aufsichtsrat durch das FISG

31.05.2021
Der deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung am 20. Mai 2021 aufgrund der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses - BT-Drucks. 19/29879 - den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz – FISG) - BT-Drucks. 19/26966 - angenommen. Der Bundesrat hat dem Gesetz am 28. Mai 2021 zugestimmt. Eine konsolidierte Fassung finden Sie hier.

Regelungsziele des FISG im Überblick

In jüngster Vergangenheit kam es aufgrund von Bilanzmanipulationen und mangelhafter Bilanzkontrolle zu Turbulenzen an den Kapitalmärkten, die einen Vertrauensverlust in den deutschen Finanzmarkt ausgelöst haben. Funktionsfähige Finanzmärkte sind für die deutsche Wirtschaft und den Wohlstand in der Bundesrepublik und der Europäischen Union von zentraler Bedeutung. Ziel des FISG ist daher die Wiederherstellung und nachhaltige Stärkung des Vertrauens in den deutschen Finanzmarkt.

Neben einer Reform des Bilanzkontrollverfahrens, der Abschlussprüfung sowie einer Erweiterung der Befugnisse der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat der Bundestag auch Änderungen in der Corporate Governance börsennotierter Gesellschaften beschlossen, die sowohl das Leitungs- als auch das Aufsichtsorgan der Gesellschaften betreffen.

Der Vorstand der börsennotierten Gesellschaft ist künftig verpflichtet, ein im Hinblick auf den Umfang der Geschäftstätigkeit und die Risikolage des Unternehmens angemessenes und wirksames internes Kontrollsystem und Risikomanagementsystem einzurichten (§ 91 Abs. 3 AktG-E). Diese Vorgabe tritt am 1. Januar 2022 in Kraft.

Governance des Aufsichtsrats im Fokus

Darüber hinaus nehmen die Änderungen im Aktiengesetz und SE-Ausführungsgesetz durch das FISG aber vor allem das Aufsichtsorgan von Unternehmen von öffentlichem Interesse noch stärker in die Pflicht. Gleichzeitig werden dem Aufsichtsrat aber auch neue Kompetenzen eingeräumt. Dadurch soll die Aufsichtsratsarbeit weiter professionalisiert und gestärkt werden, denn starke unternehmensinterne Aufsichtsgremien sind für eine gute Unternehmensführung von grundlegender Bedeutung.

  • Künftig muss der notwendige Sachverstand im Aufsichtsrat kapitalmarktorientierter Unternehmen auf zwei Mitglieder des Aufsichtsrats verteilt werden.
  • Der Aufsichtsrat hat zusätzlich die Qualität der Abschlussprüfung zu überwachen.
  • Unternehmen von öffentlichem Interesse müssen zwingend einen Prüfungsausschuss einrichten und die Mitglieder des Prüfungsausschusses haben ein Direktauskunftsrecht gegenüber leitenden Mitarbeitern. Darüber hinaus wird die Teilnahme des Vorstands bei Sitzungen des Aufsichtsrats und seinen Ausschüssen reguliert.

Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die gesetzlichen Neuregelungen für den Aufsichtsrat und deren erstmalige Anwendbarkeit.

Betroffene Unternehmen

Die Änderungen gelten sowohl für den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft (AG) und der Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) als auch für den Aufsichtsrat der dualistischen Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea, SE) und den Verwaltungsrat der monistischen SE.

Während sich die Pflicht des Vorstands, ein internes Kontroll- und Risikomanagementsystem einzurichten, nur an börsennotierte Gesellschaften richtet, gelten die Neuregelungen im Recht des Aufsichtsrats für Unternehmen von öffentlichem Interesse, d.h. für

  • kapitalmarktorientierte Unternehmen (§ 264d HGB),
  • CRR-Kreditinstitute (§ 1 Abs. 3d Satz 1 KWG), mit Ausnahme derjenigen Institute, die in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KWG und Art. 2 Abs. 5 Nr. 5 der Richtlinie 2013/36/EU genannt sind, sowie
  • Versicherungsunternehmen (Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 91/674/EWG).

Zwei Finanzexperten im Aufsichtsrat erforderlich

Das FISG fördert und fordert mit der Neufassung des § 100 Abs. 5 AktG ein Fortschreiten der Professionalisierung des Aufsichtsrats: Die persönlichen Voraussetzungen für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat werden erweitert. Es reicht nicht mehr nur ein Mitglied des Aufsichtsrats mit Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung oder der Abschlussprüfung. Vielmehr muss künftig

  • mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf dem Gebiet der Rechnungslegung und
  • mindestens ein weiteres Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf dem Gebiet der Abschlussprüfung

verfügen. Das Erfordernis der Sektorvertrautheit bleibt im Übrigen unverändert.

An den Begriff des „Sachverstands“ knüpft der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang jedoch inhaltlich keine neuen oder höheren Erwartungen:

  • Wie bisher ist es nicht erforderlich, dass es sich bei den sachverständigen Mitgliedern des Aufsichtsrats um Angehörige eines wirtschaftsprüfenden oder steuerberatenden Berufs handelt. Der Sachverstand kann auch durch entsprechende Weiterbildung erworben werden. Ehemalige oder gegenwärtige Finanzvorstände haben ebenso wie langjährige Mitglieder in Prüfungsausschüssen, Angestellte aus den Bereichen Rechnungswesen und Controlling, Analysten oder Betriebsräte, die sich in den betreffenden Bereichen aufgrund ihrer Tätigkeit weitergebildet haben, den notwendigen fachlichen Sachverstand. Der Sachverstand muss durch entsprechende Fort- und Weiterbildungen dauerhaft aufrecht erhalten werden.
  • In der Praxis ist es – aufgrund der sachlichen Nähe der beiden Gebiete – nicht ungewöhnlich, dass Mitglieder des Aufsichtsrats über qualifizierte Kenntnisse in beiden Bereichen verfügen.

Ein Wahlbeschluss der Hauptversammlung, der die Vorgaben des § 100 Abs. 5 AktG missachtet, ist zwar nicht unwirksam. Allerdings kann ein Hauptversammlungsbeschluss, der zu einer § 100 Abs. 5 AktG nicht entsprechenden Zusammensetzung des Aufsichtsrats führt, angefochten werden.

Prüfungsausschuss wird zur Pflicht

Bislang war die Einrichtung eines Prüfungsausschusses nach dem Aktiengesetz freiwillig. Allerdings empfiehlt bereits D.3 des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) die Einrichtung eines Prüfungsausschusses, weshalb dies in der Praxis börsennotierter Unternehmen bereits etablierter Standard ist. Soweit bereits ein solcher Prüfungsausschuss eingerichtet wurde, musste mindestens ein Mitglied des Prüfungsausschusses über Sachverstand auf dem Gebiet der Rechnungslegung oder der Abschlussprüfung verfügen.

Mit der Neufassung von § 107 Abs. 4 AktG-E wird der Aufsichtsrat eines Unternehmens von öffentlichem Interesse zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses verpflichtet. Die Einrichtung eines Prüfungsausschusses soll der Wirksamkeit und der Effizienz der Arbeit des Aufsichtsrats dienen. Dabei wird klargestellt, dass der Aufsichtsrat, sofern er nur aus der gesetzlichen Mindestanzahl von drei Mitgliedern besteht, zugleich auch der Prüfungsausschuss ist.

Anforderungen an die Mitglieder des Prüfungsausschusses

Künftig muss mindestens ein Mitglied des Prüfungsausschusses über Sachverstand auf dem Gebiet der Rechnungslegung und mindestens ein weiteres Mitglied des Prüfungsausschusses über Sachverstand auf dem Gebiet der Abschlussprüfung verfügen.

Neue Aufgaben für den Prüfungsausschuss

Das Aufgabenspektrum des Prüfungsausschusses wird zudem erweitert. Wie bisher kann der Aufsichtsrat die Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems sowie der Abschlussprüfung auf den Prüfungsausschuss delegieren. Der Prüfungsausschuss hat sich künftig neben der Befassung mit der Auswahl, der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers und den vom Abschlussprüfer zusätzlich erbrachten Leistungen, auch mit der Qualität der Abschlussprüfung zu befassen (§ 107 Abs. 2 Satz 2 AktG-E). Dadurch soll frühzeitig potenziellen Pflichtverletzungen durch den Abschlussprüfer entgegengewirkt und mögliche Mängel bei der Abschlussprüfung aufgedeckt werden.

Neues Auskunftsrecht der Mitglieder des Prüfungsausschusses

Um die Arbeit des Prüfungsausschusses zur erleichtern, sind neue Informationsrechte zugunsten der Mitglieder des Prüfungsausschusses vorgesehen:

  • Über den Ausschussvorsitzenden kann zukünftig jedes Mitglied des Prüfungsausschusses unmittelbar bei den Leitern derjenigen Zentralbereiche der Gesellschaft, die in der Gesellschaft für die den Prüfungsausschuss betreffenden Aufgaben zuständig sind, Auskünfte einholen (§ 107 Abs. 4 Satz 4 bis 6 AktG-E). Das Auskunftsrecht steht also jedem Mitglied des Prüfungsausschusses zu.
  • Um die Situation zu vermeiden, dass mehrere Mitglieder des Prüfungsausschusses unabhängig voneinander ihr Auskunftsrecht geltend machen und etwa gleichzeitig den Leiter eines Zentralbereiches befragen, hat die Einholung der Auskunft durch den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses zu erfolgen. Eine Wissenshoheit einzelner Mitglieder entsteht dadurch nicht, da zudem vorgesehen ist, dass der Ausschussvorsitzende die eingeholte Auskunft allen Mitgliedern im Prüfungsausschuss mitteilen muss.
  • Die Auskunftseinholung an sich erfolgt auch nicht ohne Unterrichtung des Vorstands. Der Vorstand der Gesellschaft muss vom Vorsitzenden des Prüfungsausschusses unverzüglich über den Vorgang der Auskunftseinholung informiert werden.

Modifikation der Teilnahmemöglichkeit des Vorstands an Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse

Durch die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses wurde schließlich noch die Teilnahmemöglichkeit des Vorstands an Sitzungen des Aufsichtsrats und dessen Ausschüssen eingeschränkt:

  • Wird der Abschlussprüfer als Sachverständiger zu Sitzungen des Aufsichtsrats oder seiner Ausschüsse hinzugezogen, nimmt der Vorstand an diesen Sitzungen des Aufsichtsrats oder seinen Ausschüssen grundsätzlich nicht teil.
  • Nur wenn der Aufsichtsrat oder der betreffende Ausschuss die Teilnahme des Vorstands für erforderlich erachten, kann von diesem Grundsatz abgewichen werden (§ 109 Abs. 1 Satz 3 AktG-E).

Durch diese Änderung soll die vertrauliche Kommunikation des Aufsichtsrates oder eines Ausschusses mit dem Abschlussprüfer gestärkt werden, wenn der Aufsichtsrat oder der Ausschuss sich mit diesem im Rahmen der Vorbereitung oder der Durchführung der Prüfung austauschen will.

Umsetzungsfristen

Die Verpflichtung zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses sowie das Auskunftsrecht der Mitglieder des Prüfungsausschusses in der Fassung des FISG finden erstmals ab dem 1. Januar 2022 Anwendung.

Die vorstehenden Änderungen von § 100 Abs. 5 AktG-E und § 107 Abs. 4 Satz 3 AktG-E, (zwei Finanzexperten im Aufsichtsrat und im Prüfungsausschuss) finden grundsätzlich bereits ab dem 1. Juli 2021 Anwendung. Sie müssen aber solange nicht angewandt werden, wie alle Mitglieder des Aufsichtsrats und des Prüfungsausschusses vor dem 1. Juli 2021 bestellt worden sind. Bereits wirksam bestellte Mitglieder des Aufsichtsrats oder des Prüfungsausschusses müssen also nicht ausgetauscht werden, wenn diese Anforderungen aktuell noch nicht erfüllt werden. Die neuen Vorgaben gelten daher für alle Aufsichtsratswahlen, die ab dem 1. Juli 2021 stattfinden und können daher für einzelne Unternehmen noch in dieser Hauptversammlungssaison sehr kurzfristig von Relevanz werden.