Scheinwerkverträge im Bereich IT-Dienstleistungen
Die gute alte Juristenregel „Fehlbezeichnung schadet nicht!“ soll auf dem Rücken einer neuerlichen Reform der Leiharbeit zu Grabe getragen werden. Es lebe – nach dem Willen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – die treffende und rechtskonforme Bezeichnung, deren fehlerhafte Typisierung auch noch spürbar bestraft wird. Gerade in der IT-Branche ist es sogar für Juristen schwierig, die richtige Vertragswahl für die Durchführung von IT-Dienstleistungen zu treffen: Werk-/Dienstvertrag oder Arbeitnehmerüberlassung? Dieses Bewertungsrisiko ist in der IT-Branche aufgrund der Komplexität der Projekte, der Einführung neuer Arbeitsformen sowie der mangelnden finalen Anforderungen an die Dienst-/Werkleistung erheblich. Die externen IT-Spezialisten müssen oft „Hand in Hand“ mit den internen Know-How Trägern des Einsatzbetriebes zusammenarbeiten, was eine (verdeckte/illegale) Arbeitnehmerüberlassung indizieren kann. Bislang war es daher gängige und zulässige Praxis eine Überlassungserlaubnis vorzuhalten (sog. „Vorratserlaubnis“), um zumindest die gravierendste Rechtsfolge einer illegalen Überlassung – die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer – zu vermeiden. Nach der avisierten Änderung des AÜG soll eine solche Vorratserlaubnis ins Leere laufen: trotz Vorliegens einer AÜ-Erlaubnis sollen sämtliche Rechtsfolgen einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung eintreten, wenn die Arbeitnehmerüberlassung im Vertrag nicht ausdrücklich als solche bezeichnet wurde. Daher ist es künftig wichtiger denn je, die Einsatzformen im Rahmen von IT-Dienstleistungen kritisch zu prüfen und ggf. an die neue Gesetzeslage anzupassen.
Schon im Koalitionsvertrag kündigte die Große Koalition an, „den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit“ verhindern zu wollen. Um dieses Vorhaben noch in diesem Jahr in die Tat umzusetzen, liegt seit Mitte Februar ein neuer Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vor. Mit tiefgreifenden Beschränkungen, einer strikteren Abgrenzung der verschiedenen Einsatzarten sowie empfindlichen Konsequenzen bei Verstößen stellt das BMAS Unternehmen vor neue Herausforderungen.
Wir geben Ihnen einen ersten Überblick:
Entfall der Vorratserlaubnis bei Werk- und Dienstverträgen
Aktuelle Rechtslage |
Geplante Änderungen |
Rechtsfolgen bei Verstoß |
Risiko fehlerhafter Einordnung und Benennung von Vertragstypen (Dienst-/Werkvertrag oder Arbeitnehmerüberlassung) durch Vorhalten einer Arbeitnehmer- |
Vorratserlaubnis schützt nicht mehr bei Werk- oder Dienstverträgen, die aufgrund der tatsächlichen Durchführung als Arbeitnehmerüberlassung zu bewerten sind Grund: Arbeitnehmerüberlassung muss im Vertrag ausdrücklich als solche bezeichnet sein; Arbeitnehmer ist vor Überlassung über Einsatz als Leiharbeitnehmer zu informieren |
Ordnungswidrigkeit: Bußgelder bis zu 30.000 € je Einzelfall Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher Ausnahme: Der Arbeitnehmer erklärt binnen eines Monats ab Beginn des Einsatzes beim „Entleiher“, dass er am Arbeitsvertrag mit dem „Verleiher“ festhalten wolle |
Durch die oftmals bestehenden Schwierigkeiten bei der Bestimmung des passenden Vertragstyps tragen Unternehmen künftig ein noch größeres Risiko beim Einsatz von Fremdpersonal. Diese zeigen sich insbesondere bei komplexer Projektarbeit, die darauf abzielt, Know-How Träger für einen begrenzten Zeitraum zusammenzuführen. Auch neue Formen der Zusammenarbeit, wie beispielsweise „Scrum“, stellen die Praxis bei der Beantwortung der Frage, welcher Vertragstyp zugrunde zu legen ist, vor besondere Herausforderungen. Ein Berufen auf eine irrtümliche Falschbezeichnung scheint in diesem Ausschnitt des Rechtsverkehrs nicht mehr möglich.
Kettenverleih
Aktuelle Rechtslage |
Geplante Änderungen |
Rechtsfolgen bei Verstoß |
Durch die Bundesagentur für Arbeit an sich untersagt, jedoch nach h. M. sanktionslos, wenn mindestens der Erstverleiher eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis innehat |
Ketten-, Zwischen- oder Weiterverleih untersagt Grund: Arbeitnehmer dürfen nur von ihrem vertraglichen Arbeitgeber als Verleiher überlassen werden |
Ordnungswidrigkeit: Bußgelder bis zu 30.000 € je Einzelfall Bei kumulativen Verstößen (z. B. keine Erlaubnis, nur „Vorratserlaubnis“, Überschreiten der Höchstüberlassungsdauer) Rechtsfolgen entsprechend |
Kettenverleih liegt vor, wenn der Entleiher den Leiharbeitnehmer an einen Dritten (weiter-) verleiht. Ein solcher Kettenverleih tritt insbesondere und regelmäßig unabsichtlich bei der Einschaltung von Unternehmen und Subunternehmen auf Basis von Dienst- oder Werkverträgen auf, wenn Arbeitnehmer des Subunternehmens in den Betrieb des ursprünglichen Werkbestellers oder Dienstberechtigten eingegliedert werden. Ein derartiger verdeckter Kettenverleih dürfte unter Zugrundelegung des Referentenentwurfs nun mit der Begründung von Arbeitsverhältnissen mit dem Werkbesteller oder Dienstberechtigten besonders gravierende Folgen haben, vor denen auch das Vorhalten einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nicht mehr schützen wird.
Überlassungshöchstdauer
Aktuelle Rechtslage |
Geplante Änderungen |
Rechtsfolgen bei Verstoß |
Überlassung darf nur „vorübergehend“, also nicht dauerhaft sein Nicht nur vorübergehende Überlassung ist derzeit sanktionslos |
„Derselbe Leiharbeitnehmer darf nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen werden.“ Abweichungen durch oder aufgrund eines Tarifvertrags der Einsatzbranche - des Entleihers - möglich, ggf. sogar verkürzend Nicht tarifgebundene Entleiher können in sehr engen Grenzen in Anlehnung an einschlägige Tarifverträge Modifizierungen vorsehen |
Ordnungswidrigkeit: Bußgelder bis zu 30.000 € je Einzelfall Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher Ausnahme: Der Arbeitnehmer erklärt binnen eines Monats nach Überschreitung der Höchstdauer schriftlich, dass er am Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhalten wolle |
Auf derzeit laufende Fremdpersonaleinsätze wird die Überlassungshöchstdauer vorerst keinen Einfluss haben, denn Überlassungszeiten vor dem 1. Januar 2017 werden bei der Berechnung der Überlassungshöchstdauer nicht berücksichtigt. Beachtenswert ist die Einführung der Widerspruchsmöglichkeit gegen die Fiktion des Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher als neue Rechtsfigur. Diese wird in der Praxis vielfach Gestaltungsversuche und Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen.
Equal Pay
Aktuelle Rechtslage |
Geplante Änderungen |
Rechtsfolgen bei Verstoß |
Vergütung unmittelbar nach Equal Pay Zeitlich unbegrenzte Abweichungen durch Tarifvertrag der Leiharbeitsbranche möglich und üblich |
Zeitliche Abweichung von Equal Pay grundsätzlich nur noch für längstens neun Monate, in bestimmten Einzelfällen bis 15 Monate zulässig |
Ordnungswidrigkeit: Bußgelder bis zu 500.000 € je Einzelfall Versagungsgrund für Erlaubniserteilung bzw. Widerrufsgrund für bereits erteilte (auch unbefristete) Erlaubnisse |
Entleiher werden hierdurch vor die Wahl gestellt: Austausch des Leiharbeitnehmers nach neun Monaten oder Inkaufnahme höherer Kosten durch Weiterbelastung des Equal Pay.
Definition des Arbeitnehmers
Aktuelle Rechtslage |
Geplante Änderungen |
Rechtsfolgen bei Verstoß |
Die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft findet auf Basis einer wertenden Gesamtbetrachtung im Einzelfall statt |
Der Begriff des Arbeitnehmers wird gesetzlich definiert |
Risiko der fehlerhaften Einordnung von Vertragsverhältnissen, insbesondere im Spannungsfeld Arbeitnehmer/Selbständiger |
Die gesetzliche Festlegung der in der Rechtsprechung entwickelten Definition soll insbesondere den Kontrollbehörden helfen, Missbrauchsfälle leichter aufzudecken. Der Mehrwert dieser Regelung ist jedoch fraglich, da die Definition im Zweifel mehr Missverständnisse schafft als Beurteilungen erleichtert.
Nach derzeitiger Planung soll der Entwurf am 1. Januar 2017 in Kraft treten. Dennoch sind kleinere Änderungen als Ergebnis parlamentarischer Beratungen durchaus denkbar und wahrscheinlich.
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