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Streik-Jahr 2024? - Reaktions­möglichkeiten des Arbeit­gebers bei einem Arbeits­kampf (II)

29.01.2024

Kaum hat sich Deutschland vom letzten Bahnstreik erholt, hat die GdL in der vergangenen Woche den bisher längsten Bahnstreik der Geschichte ausgerufen und durchgeführt. Im Lichte dessen folgt Teil II unseres Beitrags zu den Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers im Fall des Arbeitskampfs, in dem die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Arbeitskampfmittel sowie die gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten erläutert werden.

Arbeitskampfmittel des Arbeitgebers

Zur Reaktion auf gewerkschaftliche Streikmaßnahmen sind für Arbeitgeber historisch gewachsene Kampfmittel wie Aussperrung oder Betriebsstilllegung in der heutigen Arbeitswelt mit stark vernetzten, häufig globalen Wirtschaftskreisläufen praktisch irrelevant, da die ohnehin schon oft erheblichen wirtschaftlichen Schäden im Zusammenhang mit dem Arbeitskampf dadurch tendenziell eher noch vertieft oder vergrößert werden. Typischerweise sollten Unternehmen versuchen, Mittel und Wege zu finden, mit denen trotz Arbeitskampfs eine möglichst optimale Betriebsfortführung sichergestellt werden kann. Zu diesem Zweck kommen verschiedene Optionen in Betracht:

Streikbruchprämien

Arbeitgeber können etwa sog. Streikbruchprämien auszahlen – hiermit werden Arbeitnehmern finanzielle Anreize versprochen, falls sie statt einer Streikbeteiligung regulär ihre Arbeitsleistung erbringen. Für die konkrete Anwendung muss berücksichtigt werden, dass eine Zahlung von Streikbruchprämien von der Rechtsprechung nur dann als zulässiges Arbeitskampfmittel angesehen wird, wenn der Arbeitgeber dahingehende Zusagen vor oder während des Arbeitskampfs tätigt (BAG v. 14.8.2018 – 1 AZR 287/17). Werden dagegen erst nach Abschluss einer Arbeitskampfmaßnahme derartige Prämien ausgelobt, liegt im Regelfall ein Verstoß gegen tarifliche und/oder gesetzliche Maßregelungsverbote vor. Allgemeingültige Vorgaben hinsichtlich der Höhe solcher Prämien bestehen nicht. Sie können deshalb je nach Situation und zugeschnitten auf den Einzelfall gestaltet werden.

Bei der Auslobung von Streikbruchprämien sollten sich Unternehmen allerdings vergegenwärtigen, dass Gewerkschaften nach Beendigung der jeweiligen Arbeitskampfmaßnahmen im Zuge des dann erfolgenden Tarifabschlusses regelmäßig einfordern, etwaige während der Tarifauseinandersetzung geleistete Prämien im Nachgang unterschiedslos sämtlichen Arbeitnehmern zukommen zu lassen. Wenngleich sich ein Teil der Belegschaft also womöglich kurzfristig durch die Zahlung einer Streikbruchprämie von der Beteiligung am Arbeitskampf abbringen lassen wird, sollten die entsprechend zu erwartenden Ausgleichsforderungen seitens der Gewerkschaft von vornherein in die strategischen Überlegungen mit einbezogen werden.

Einsatz von Streikbrechern

Allgemein sollte im Fall des Arbeitskampfs ausgelotet werden, auf welche (zusätzlichen) Arbeitskräfte das Unternehmen zurückgreifen kann, um die negativen Auswirkungen des Streiks auf die betrieblichen Abläufe möglichst abzumildern. Hierzu können Arbeitgeber versuchen, eigene Beschäftigte zur Erbringung der Arbeitsleistung zu motivieren. Weiterhin ist es sowohl zulässig, innerhalb desselben Betriebs nicht streikenden Mitarbeitern aus anderen Bereichen und Abteilungen vorübergehend Tätigkeiten von Streikteilnehmern zu übertragen, als auch Mitarbeiter aus anderen Betrieben des Unternehmens (in der Regel befristet) zu versetzen, um so eine bestmögliche Verteilung der vorhandenen Arbeitskräfte zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang kann gegenüber arbeitswilligen Arbeitnehmern auch Mehrarbeit angeordnet werden.

Bei einem ebenfalls denkbaren Rückgriff auf externe Arbeitskräfte ist zu beachten, dass ein solcher Einsatz als echte Fremdvergabe (Outsourcing) im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrags ausgestaltet und tatsächlich umgesetzt (vgl. § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB) werden muss. Denn nur auf diese Weise gewonnenes Drittpersonal darf anstelle der streikenden Belegschaft überhaupt als Streikbrecher eingesetzt werden. Handelt es sich nämlich um Scheinwerkverträge bzw. verdeckte Arbeitnehmerüberlassung, greift das Verbot des § 11 Abs. 5 AÜG ein, wonach Leiharbeitnehmer nicht in unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffenen Betrieben tätig werden dürfen. Dieses weitreichende Einsatzverbot wurde bei dessen Einführung im Jahr 2017 zwar kontrovers diskutiert, letztlich aber durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungsgemäß erachtet (BVerfG v. 19.06.2020 – 1 BvR 842/17). Soweit der Einsatzbetrieb vom Streikaufruf der Gewerkschaft erfasst wird, ist es Arbeitgebern jetzt gesetzlich untersagt, Leiharbeitnehmer – unmittelbar oder mittelbar – Tätigkeiten von Streikenden übernehmen zu lassen. Um diesbezüglich – insbesondere auch der kampfführenden Gewerkschaft – keinerlei Angriffsfläche zu bieten, sollten insoweit deshalb von vornherein nur eindeutig als zulässig abgrenzbare, rechtliche Gestaltungen gewählt werden.

Betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf

Hinsichtlich sämtlicher Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers im Arbeitskampf gilt, dass dahingehend zugunsten des Betriebsrats bestehende Mitbestimmungsrechte nach der Rechtsprechung im Wege arbeitskampfkonformer Auslegung einzuschränken sind (st. Rspr., BAG v. 13.12.2011 – 1 ABR 2/10). Die zuvor beschriebenen arbeitskampfbedingten Einstellungen oder Versetzungen i.S.v. § 99 BetrVG können arbeitgeberseitig also im Grundsatz ohne Beteiligung des Betriebsrats vorgenommen werden.

Gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten

Zum Schutz vor rechtwidrigen Arbeitskampfmaßnahmen kommen für Arbeitgeber verschiedene Rechtsschutzmöglichkeiten in Betracht.

Einstweilige Verfügung

Steht ein Streik unmittelbar bevor, ist die einstweilige Verfügung das richtige Rechtsmittel, um den drohenden Streik ggf. noch aufhalten oder wenigstens eine Notdienstvereinbarung erzielen zu können. Voraussetzung ist, dass die Streikmaßnahmen rechtswidrig sind. Dies ist etwa der Fall, wenn durch den Streik ein Ziel verfolgt wird, das tariflich gar nicht regelbar ist. So erklärte beispielsweise das LAG Hessen einen Pilotenstreik für rechtswidrig, weil sich dieser gegen die Gründung einer Fluggesellschaft im Ausland richtete (LAG Hessen v. 09.09.2015 – 9 SaGa 1082/15).

Darüber hinaus bildet die Verhältnismäßigkeit der Streikmaßnahmen, die im Rahmen einer Abwägung der betroffenen Grundrechte zu beurteilen ist, den häufigsten Angriffspunkt. Eine Rolle spielen hierbei z.B. die Ankündigungsfrist, die Streikdauer, der Umfang und die Auswirkungen auf den Arbeitgeber sowie außenstehende Dritte. An eine mögliche Unverhältnismäßigkeit sind aufgrund der verfassungsrechtlichen Verankerung des Streikrechts jedoch sehr hohe Anforderungen zu stellen. Daher kann selbst ein Streik im Bereich der Daseinsvorsorge (etwa im Krankenhaus) rechtmäßig sein, wenn die Versorgung der Menschen ausreichend durch eine Notdienstvereinbarung gesichert ist. Im Zweifelsfall ist die – ggf. auch gerichtlich erzwungene – Einrichtung eines Notdienstes das mildere Mittel gegenüber der gänzlichen Untersagung des Streiks.

Auch hohe wirtschaftliche Einbußen als solche führen nicht zwingend zur Unverhältnismäßigkeit eines Streiks. Etwas anderes gilt indes, wenn die Arbeitskampmaßnahmen auf die Existenzvernichtung des Unternehmens abzielen, wenngleich dies wohl nur in Ausnahmefällen belegt werden kann. Die Erfolgsaussichten einer einstweiligen Verfügung hängen daher stets von den Umständen des Einzelfalls ab.

Auch im jüngst geführten einstweiligen Verfügungsverfahren betreffend den Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main und dem Hessischen Landesarbeitsgericht ging es im Wesentlichen um die Verhältnismäßigkeit des Streiks. Die Bahnunternehmen hatten jeweils auch enorme wirtschaftliche Einbußen geltend gemacht und darüber hinaus auf den volkswirtschaftlichen Schaden der tagelangen Zugausfälle verwiesen. Die Gerichte sahen die finanziellen Einbußen indes nicht als existenzbedrohend an und stellten klar, dass Streikmaßnahmen zwangsläufig mit wirtschaftlichen Schäden verbunden seien.

Schadensersatz

Werden Arbeitskampfmaßnahmen von den Gerichten als rechtswidrig eingestuft, steht Arbeitgebern grundsätzlich ein Anspruch auf Ersatz der entstandenen Schäden zu. Als Anspruchsgegner kommt dabei vor allem die den Streik tragende Gewerkschaft in Betracht. Rechtswidrig streikende Arbeitnehmer können aufgrund der Verletzung ihrer arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung wirksamer mit disziplinarischen Maßnahmen bis hin zur fristlosen Kündigung belangt werden.

Auf vertraglicher Ebene kann die Gewerkschaft nur im Fall von Friedenspflichtverletzungen in Anspruch genommen werden. Vordergründig praxisrelevant ist daher der gesetzliche Schadensersatzanspruch. Geschütztes Rechtsgut ist häufig der sog. eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb. Die Berechnung des Schadens erfolgt zumeist auf Basis des entgangenen Gewinns, wobei in der Praxis die Beweisführung herausfordern sein kann.

Zu beachten ist weiterhin, dass nur Arbeitgeber anspruchsberechtigt sind, die durch den Streik ihrer eigenen Arbeitnehmer unmittelbar betroffen sind. So wurden bspw. Fluggesellschaften, die durch einen Streik der Fluglotsen nur mittelbar betroffen waren, Schadensersatzansprüche versagt.

Angriff auf die Tariffähigkeit der Gewerkschaft?

Streikmaßnahmen können nur durchgeführt werden, wenn die Gewerkschaft berechtigt ist, einen Tarifvertrag abzuschließen. Hierzu muss sie u.a. tariffähig sein. Letzteres kann gerichtlich überprüft werden. In der Praxis kommt dies hin und wieder vor (siehe bspw. die Entscheidungen des BAG zur Tariffähigkeit der CGZP oder des DHV – Die Berufsgewerkschaft eV).

Der Gesetzgeber sieht für die Überprüfung der Tariffähigkeit der Gewerkschaft in § 97 ArbGG ein besonderes Verfahren vor. Unmittelbar bevorstehende Arbeitskampfmaßnahmen können hierdurch jedoch nicht verhindert werden, da derartige Prozesse bis zum BAG geführt werden können und damit mehrere Monate / Jahre Zeit in Anspruch nehmen, ehe eine rechtkräftige Entscheidung vorliegt. Im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens greift der Einwand nur, wenn die fehlende Tariffähigkeit der Gewerkschaft offensichtlich ist. Das wird in der Praxis kaum nachweisbar sein, wie zuletzt im Verfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht zum Bahnstreik deutlich wurde. Davon abgesehen wird die Tariffähigkeit der etablierten Gewerkschaften regelmäßig ohnehin nicht in Frage stehen. Das von der Deutschen Bahn eingeleitete Antragsverfahren nach § 97 ArbGG dürfte allein der Besonderheit der Gründung der Fair Train e.G. durch die GdL geschuldet sein. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Gerichte hierzu positionieren werden.

Fazit

Insgesamt stehen Arbeitgebern im Fall eines Arbeitskampfes einige unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung. Welche davon erfolgsversprechend sind, hängt in hohem Maße vom betroffenen Unternehmen, von der streikenden Gewerkschaft sowie den jeweiligen Umständen des Einzelfalls – insb. der Intensität des (angekündigten) Streiks – ab.