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Update: Keine Zweck­entfremdung von Corona-Mitteln – Das Bundes­verfassungs­gericht erklärt 60 Mrd. Euro-Haushalt des Klima- und Transformations­fonds für verfassungs­widrig

15.12.2023

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts („BVerfG“) vom 15. November 2023 hat politisch hohe Wellen geschlagen. Nachdem die Karlsruher Richterinnen und Richter das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 für nichtig erklärt hatten, fehlten im Klima- und Transformationsfonds („KTF“) plötzlich 60 Mrd. Euro. In einem Newsbeitrag vom 23. November 2023 haben wir die wesentliche Begründung sowie die rechtlichen und politischen Auswirkungen des Urteils aufgezeigt. Seitdem hat sich haushaltspolitisch viel bewegt. Denn das Urteil hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf den KTF, sondern auch mittelbare Folgen für andere Sondervermögen des Bundes. Darüber hinaus betrifft es sowohl den Haushalt 2023 als auch künftige Haushalte. Am 15. Dezember 2023 hat der Bundestag nunmehr das Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2023 („Nachtragshaushaltsgesetz 2023“) verabschiedet, um damit die mittelbaren Folgen des Urteils für das noch laufende Jahr abzufedern. Es ist der erste große Schritt zur Bewältigung der Folgen des Karlsruher Urteils auf Bundesebene, ehe im neuen Jahr auch über den Haushalt 2024 abgestimmt werden soll. In unserem Update zeigen wir diese jüngsten haushaltspolitischen Entwicklungen auf.

1. Regelungen des Nachtragshaushaltsgesetzes 2023

Mit dem Nachtragshaushaltsgesetz 2023 will der Gesetzgeber die Finanzierung dreier Sondervermögen für das laufende Haushaltsjahr rückwirkend sicherstellen. Im Einzelnen betrifft dies den KTF, den Wirtschaftsstabilisierungsfonds („WSF“) und den Aufbauhilfefonds 2021:

  • Der KTF ist ein Sondervermögen des Bundes. Er soll bei der Finanzierung der Energiewende und des Kilmaschutzes helfen, indem er etwa die Förderung energetischer Gebäudesanierungen, den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie künftig auch den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft im Zuge der Dekarbonisierung der Industrie ermöglicht.
  • Beim WSF handelt es sich hingegen um ein Sondervermögen, das der Bundestag 2022 zur Abfederung der Folgen der Energiekrise aktiviert hat. Er umfasst Kreditermächtigungen von insgesamt 200 Mrd. Euro und soll u.a. die Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher von den gestiegenen Energiepreisen durch die Strom- und Gaspreisbremse finanzieren. Im Haushaltsjahr 2022 nahm der Bund den WSF allerdings nur teilweise in Anspruch. Stattdessen verlagerte er die Kreditaufnahmen auf künftige Haushaltsjahre und beabsichtigte, die Kreditermächtigungen des WSF erst nach und nach „anzuzapfen“. Gemäß § 26b Abs. 1 des Gesetzes zur Errichtung eines Finanzmarkt- und eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds („Stabilisierungsfondsgesetz“) gelten die Kreditermächtigungen des WSF zwar nur für das Jahr 2022, können nach § 26b Abs. 2 Stabilisierungsfondsgesetz aber auch in den folgenden Jahren in Anspruch genommen werden.
  • Der Aufbauhilfefonds 2021 wurde – ebenfalls als Sondervermögen – im Jahr 2021 „befüllt“ und dient vornehmlich der finanziellen Unterstützung der von der Flutkatastrophe im Jahr 2021 betroffenen Ahrtal-Region.

Für diese drei Sondervermögen sieht das Nachtragshaushaltsgesetz 2023 folgende Regelungen vor:

  • Durch das Nachtragshaushaltsgesetz 2023 wird im Wirtschaftsplan des KTF die Entnahme aus der Rücklage um 60 Mrd. Euro verringert. Diese Summe entspricht der durch das Karlsruher Urteil entfallenen Rücklage.
  • Die bereits erfolgten Kreditaufnahmen des WSF und des Aufbauhilfefonds 2021 werden durch das Nachtragshaushaltsgesetz 2023 rückwirkend auf eine wirksame Rechtsgrundlage gestellt, indem für beide eine außergewöhnliche Notsituation des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG für das Haushaltsjahr 2023 festgestellt und eine Kreditermächtigung für 2023 eingeräumt wird. Zur Begründung der außergewöhnlichen Notsituation verweist der Gesetzgeber auf die Folgen des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der Flutkatastrophe im Sommer 2021.

2. Notwendigkeit einer Neujustierung des Haushalts 2023

Die nunmehr beschlossene Neujustierung des Haushalts 2023 ist eine Folge aus dem Karlsruher Urteil vom 15. November 2023. Zwar erklärte das BVerfG nur das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 für nichtig. Doch die verfassungsrechtlichen Leitplanken, die der Zweite Senat in seiner Entscheidung aufgestellt hat, wirken sich auch auf den noch laufenden Haushalt sowie auf künftige Haushalte aus. Im Einzelnen stützt das BVerfG seine Entscheidung auf drei, jeweils für sich tragfähige Gründe (siehe hierzu ausführlich Newsbeitrag vom 23. November 2023):

  • Verstoß gegen die Darlegungslast bezüglich des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals des sachlichen Veranlassungszusammenhangs,
  • Verstoß gegen wesentliche Haushaltsgrundsätze (Jährigkeit, Jährlichkeit und Fälligkeit),
  • Verstoß gegen das Gebot der Vorherigkeit.

Diese haushaltsrechtlichen Bestimmungen haben nicht nur für das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz Bedeutung, sondern sind gleichsam haushaltsrechtliche Leitplanken, die vom BVerfG konkretisiert wurden und auch für das nun verabschiedete Nachtragshaushaltsgesetz 2023 gelten. Ihnen liegt folgendes Verständnis zugrunde:

  • Nach dem sachlichen Veranlassungszusammenhang muss zwischen der Notsituation auf der einen und der außerregulären Kreditermächtigung auf der anderen Seite ein konkreter Bezug bestehen. Die außerreguläre Kreditermächtigung muss – auch der Höhe nach – auf die Notlage als Anlass rückführbar sein. Zwar habe der Gesetzgeber hierfür einen Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum. Gleichwohl treffe ihn aber eine Darlegungslast, deren konkrete Reichweite vom Einzelfall abhänge.
  • Nach dem Grundsatz der Jährlichkeit ist die zulässige Höhe der Kreditaufnahme nach Jahren getrennt zu ermitteln. Nach Ablauf eines Jahres ist die zulässige Nettokreditaufnahme für das Folgejahr neu zu ermitteln.
  • Der Grundsatz der Jährigkeit besagt, dass Kreditermächtigung und Kreditaufnahme auf dasselbe Haushaltsjahr fallen müssen.
  • Gemäß dem Grundsatz der Fälligkeit sind die im jeweiligen Haushaltsjahr voraussichtlich kassenwirksam werdenden Einnahmen und Ausgaben im Haushaltsgesetz desselben Jahres zu veranschlagen. Hierfür kommt es aber nicht auf den Zeitpunkt der Kreditermächtigung, sondern auf den Zeitpunkt der zu erwartenden tatsächlichen Kreditaufnahme an.
  • Nach dem Gebot der Vorherigkeit muss die Aufstellung des Haushaltsplanes vor dem Haushaltsjahr erfolgen. Für einen Nachtragshaushalt ist das Gebot dahingehend modifiziert, dass der Gesetzgeber ein Nachtragshaushaltsgesetz nur bis zum Ende des zu beplanenden Haushaltsjahres erlassen darf.

Nach dem Urteil des BVerfG am 15. November 2023 war schnell klar, dass es einer haushaltsrechtlichen Nachjustierung bedurfte, da die finanzwirtschaftlichen Mechanismen des WSF und des Aufbauhilfefonds 2021 mit den Grundsätzen der Jährlichkeit, der Jährigkeit und der Fälligkeit nicht zu vereinbaren sind. Eine klare Trennung nach Haushaltsjahren sowie nach Kreditaufnahme und Kreditermächtigung war nicht vorhanden. Durch das Nachtragshaushaltsgesetz 2023 werden die in diesem Jahr aufgenommenen Kredite für den WSF und Aufbauhilfefonds 2021 durch eine auf das Jahr 2023 lautende Kreditermächtigung gedeckt. Der Gesetzgeber hat zugleich seine Darlegungslast im Hinblick auf den sachlichen Veranlassungszusammenhang erfüllt. Im Entwurf des Gesetzes finden sich detaillierte Erläuterungen zu den Notsituationen und der Verknüpfung mit den Kreditermächtigungen.

Am 5. Dezember 2023 fand eine Anhörung von Sachverständigen im Haushaltsausschuss des Bundestags statt. Die Sachverständigen billigten weitgehend den Nachtragshaushalt 2023 sowie die erneute Aussetzung der Schuldenbremse wegen einer außergewöhnlichen Notsituation. Sie setzten sich auch mit der Entscheidung des BVerfG und dessen Folgen auseinander. Der ebenfalls angehörte Bundesrechnungshof („BRH“) äußerte allerdings Bedenken hinsichtlich zweier Aspekte:

  • Im Nachtragshaushaltsgesetz 2023 wurden andere Sondervermögen nicht miteinbezogen. Aus Sicht des BRH müsse der Gesetzgeber indes die kassenmäßige Kreditfinanzierung sämtlicher Sondervermögen bei der Berechnung der in die Schuldenregel einzubeziehenden Kreditaufnahme jahresbezogen berücksichtigen. Für das Nachtragshaushaltsgesetz 2023 lasse der Gesetzgeber dies außer Acht und berechne die für die Schuldenbremse maßgebliche Kreditaufnahme nur unvollständig, indem er lediglich die drei oben genannten Sondervermögen miteinbeziehe. Im Entwurf des Nachtragshaushaltsgesetzes 2023 heißt es mit Blick auf die weiteren Sondervermögen, dass die Bundesregierung „auch mit Hilfe externer staatsrechtlicher Expertise“ klären lassen möchte, welche Rücklagen bestehender Sondervermögen noch in welchem Umfang genutzt werden können.
  • Auch die nachträgliche Feststellung einer außergewöhnlichen Notsituation für das Haushaltsjahr 2023 stößt beim BRH auf Bedenken. Er kritisiert, dass hierdurch „eine bereits weitgehend vollzogene Haushaltsbewirtschaftung nachträglich legitimiert“ werde, was mit dem Budgetrecht des Parlaments und der Planungsfunktion des Haushalts nicht zu vereinbaren sei.

Die Klärung dieser verfassungsrechtlichen Kritikpunkte ist jedenfalls für das Nachtragshaushaltsgesetz 2023 nicht zu erwarten. Unter den angehörten Sachverständigen im Haushaltsausschuss herrschte indes weitgehend Konsens, dass eine andere Lösung der haushaltsverfassungsrechtlichen Lage für 2023 aufgrund des Urteils aus Karlsruhe und des zeitlichen Engpasses nicht möglich sei.

3. Ausblick auf den Haushalt 2024

Am 13. Dezember 2023 verkündete die Bundesregierung, dass sie nun auch eine Einigung für die Aufstellung des Haushalts 2024 erzielt habe. Der Tenor: Man wolle sparen und trotzdem das Klima schützen. Konkret plant die Bundesregierung, das Finanzvolumen des KTF um 12 Mrd. Euro zu kürzen und durch den Abbau klimaschädlicher Subventionen 3 Mrd. Euro einzusparen. Weitere Mittel sollen zudem eine Erhöhung des CO2-Preises beim Tanken und Heizen sowie weitere ressortspezifische Einsparungen bringen.

Damit ist eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse für das Haushaltsjahr 2024 vorerst vom Tisch. Unter Zugrundelegung der neuen Maßstäbe des BVerfG dürfte ein solches Vorgehen auch schwer begründbar sein. Denn zur Feststellung einer außergewöhnlichen Notsituation hätte es wegen des Zeitablaufs seit Beginn der Energiekrise und der Flutkatastrophe im Ahrtal eines erhöhten Darlegungsaufwands bedurft

Obgleich die Bundesregierung nunmehr eine politische Einigung erzielt hat, bleiben weiterhin rechtliche Fragen offen:

  • Der vom BRH aufgeworfene Kritikpunkt, wonach eine nachträgliche Legitimierung des Haushaltes mit dem Budgetrecht des Parlaments und der Planungsfunktion des Haushalts nicht zu vereinbaren sei, stellt sich für das rechtzeitige Haushaltsgesetz 2024 zwar nicht, könnte jedoch für etwaige Nachtragshaushalte für das Jahr 2024 erneut relevant werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn bei weitgehend vollzogener Haushaltsbewirtschaftung nachträglich die außergewöhnliche Notsituation im Nachtragshaushalt festgestellt werden soll.
  • Die Frage, welche bestehenden Rücklagen von Sondervermögen noch genutzt werden können, stellt sich weiterhin für das Haushaltsjahr 2024.

Für die von der Bundesregierung in Aussicht gestellte externe staatsrechtliche Expertise besteht daher noch ausreichend Prüfungs- und Beratungsbedarf. Es bleibt abzuwarten, wie sich die haushaltpolitische Lage zu Beginn des kommenden Jahres entwickelt und wie der Entwurf des Haushaltsgesetzes 2024 aussehen wird.