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Verbot der Doppel­bestrafung bei Steuer­vergehen

20.04.2017

Bei Verletzung steuerlicher Vorschriften stehen den Finanzbehörden eine Vielzahl von Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung. Neben Finanzsanktionen (Zwangsgeld, Säumniszuschläge, Zinsen) droht insbesondere eine Verfolgung wegen Steuerstraftaten oder Steuerordnungswidrigkeiten gegen die verantwortlichen Personen oder die Verhängung einer Verbandsgeldbuße gegen das jeweilige Unternehmen. Dabei kann die Zahl der verantwortlichen Personen groß sein; neben demjenigen, der unmittelbar tätig war, können auch dessen Vorgesetzte in der Hierarchiekette bis zur Unternehmensleitung verantwortlich sein, insbesondere bei mangelhafter Organisation des Geschäftsbereichs oder ungenügender Aufsicht und Kontrolle. Daher stellt es bei Steuervergehen den Regelfall dar, dass mehrere Personen geahndet und auch das Unternehmen z.T. verschiedenartigen Sanktionen unterworfen ist.

Zuwiderhandlungen gegen steuerliche Vorschriften waren auch Ausgangspunkt einer Entscheidung des EuGH in den Rechtssachen Orsi (C-217/15) und Baldetti (C-350/15). In den Ausgangsverfahren hatten italienische Unternehmen Umsatzsteuer nicht fristgerecht an die Finanzbehörden bezahlt. Gegen die Unternehmen wurden nach italienischem Steuerrecht Verwaltungssanktionen in Höhe von 30 % der nicht rechtzeitig bezahlten Steuer verhängt. Später wurden gegen die Geschäftsführer der beiden Unternehmen Strafverfahren wegen nicht rechtzeitiger Steuerzahlung eingeleitet. In dem Strafverfahren haben sich die Geschäftsführer damit verteidigt, dass angesichts der Verwaltungssanktionen gegen die Unternehmen ihre Strafverfolgung gegen den ne bis in idem-Grundsatz nach Art. 50 GrCh bzw. Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK verstoßen würde.

Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthält das Verbot der Doppelbestrafung. Danach darf niemand, der wegen einer Straftat rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen wurde, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden. Da die Europäische Union der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht beigetreten ist, konnte der EuGH lediglich die Verletzung von Art. 50 GrCh prüfen. Dabei bekräftigte er den Grundsatz, dass keine Person mehr als einmal wegen desselben rechtswidrigen Verhaltens mit einer Sanktion belegt werden darf. Allerdings beschied er, das Verbot der Doppelbestrafung setze voraus, dass gegen dieselbe Person bereits einmal eine Sanktion verhängt wurde. Daher stehe der „ne bis in idem“-Grundsatz einer Ahndung sowohl des Unternehmens als auch der verantwortlichen Personen grundsätzlich nicht entgegen.

Das Urteil des EuGH überrascht im Ergebnis nicht, entspricht es doch gefestigter Rechtsprechung, dass das Verbot der Doppelbestrafung nur dann eingreift, wenn gegen die Person, die verfolgt oder sanktioniert werden soll, wegen derselben Tat bereits früher eine Sanktion verhängt oder sie freigesprochen wurde. Gleichwohl bleiben viele weitere Fragen offen. Ungeklärt ist weiterhin, ob verwaltungsrechtliche Sanktionen wie Säumniszuschläge, Zwangsgelder oder (Straf)Zinsen, die gegen den Steuerpflichtigen festgesetzt wurden, der Verhängung von Bußgeldern gegen Unternehmen bzw. einer ordnungs- oder strafrechtlichen Sanktionierung von Individualpersonen entgegenstehen. Nach deutschem Recht ist dies nicht der Fall. Ob allerdings die geübte Praxis mit den Europäischen Grundrechten in Einklang steht, kann mit guten Gründen bezweifelt werden. Ein gewisser Strafcharakter kann jedenfalls solchen Sanktionen nicht abgesprochen werden, die nicht nur an die Nichterfüllung steuerlicher Pflichten an sich anknüpfen (z.B. Verspätungszuschläge, Nachzahlungszinsen), sondern die die Begehung einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit voraussetzen (z.B. Hinterziehungszinsen). Insoweit wird die weitere Rechtsentwicklung abzuwarten bleiben.

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