Wandelschuldverschreibungen bei der Übernahme börsennotierter Aktiengesellschaften
Wenn die Zielgesellschaft einer öffentlichen Übernahme Wandelschuldverschreibungen ausgegeben hat, muss der Bieter dies bei der Transaktionsplanung berücksichtigen. Ein jüngst erschienenes Urteil des OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 19. Januar 2016, Az: 5 U 2/15, zeigt, dass verschiedene in diesem Kontext relevante Rechtsfragen noch nicht abschließend geklärt sind. Dieser Beitrag bietet einen Überblick über Besonderheiten, die bei öffentlichen Erwerbsangeboten gelten, die sich an die Aktionäre von Zielgesellschaften richten, die Wandelschuldverschreibungen ausgegeben haben, lotet die strategischen Optionen des Bieters aus und setzt sich in diesem Kontext mit der neuen Rechtsprechung des OLG Frankfurt/Main auseinander.
Rechte der Inhaber der Wandelschuldverschreibungen bei einem öffentlichen Übernahmeangebot
Ausgangspunkt der Strukturüberlegungen des Bieters sind die Rechte der Gläubiger der Wandelschuldverschreibungen bei einem öffentlichen Erwerbsangebot. Hierzu soll zunächst davon ausgegangen werden, dass sich das geplante öffentliche Angebot nur an die Aktionäre richten soll, d.h. kein unmittelbar an die Gläubiger der Wandelschuldverschreibungen gerichtetes Erwerbsangebot abgegeben wird.
Ein öffentliches Angebot zum Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft (unabhängig davon, ob es sich dabei um ein einfaches Erwerbsangebot, ein Übernahmeangebot oder ein Pflichtangebot handelt) hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf ausgegebene Wandelschuldverschreibungen. Etwas anderes gilt nur, wenn im Zusammenhang mit dem Angebot ein Kontrollwechsel stattfindet, weil ein Investor eine kontrollierende Zahl von Stimmrechten erwirbt. Unter welchen Voraussetzungen dies anzunehmen ist, richtet sich allerdings nicht nach den Vorschriften des WpÜG, sondern nach den Bedingungen der Wandelschuldverschreibungen. Bei der Definition des Kontrollwechsels gibt es keine allgemeingültige Praxis. Vielfach wird auf einen Schwellenwert von 50% der Stimmrechte abgestellt, oftmals auch in Anlehnung an den Kontrollbegriff des § 29 Abs. 2 WpÜG auf 30% der Stimmrechte. Dabei stellen die Anleihebedingungen meistens auf das „Halten“ der Stimmrechte ab, so dass für den Kontrollwechsel der Eigentumserwerb des Bieters bereits abgeschlossen sein muss.
Im Fall eines Kontrollwechsels sehen die Bedingungen von Wandelschuldverschreibungen üblicherweise vor, dass die Inhaber die vorzeitige Rückzahlung verlangen können. Der Bieter muss also in Betracht ziehen, dass der geplante Erwerb der Aktienmehrheit einen Liquiditätsabfluss bei der Zielgesellschaft auslösen kann. Hierin unterscheidet sich eine Wandelschuldverschreibung allerdings nicht von anderen Finanzierungsmitteln, die Change-of-Control-Klauseln vorsehen.
Auswirkungen hat der Kontrollwechsel ferner auf das Wandlungsrecht der Inhaber der Wandelschuldverschreibungen. Der Bieter muss das Bestehen der Wandlungsrechte bei seinem Angebot einplanen, d.h. er muss berücksichtigen, dass sich das Grundkapital der Gesellschaft infolge der Ausübung von Wandlungsrechten erhöhen kann. Regelmäßig sehen die Anleihebedingungen vor, dass im Fall eines Kontrollwechsels der Wandlungspreis reduziert wird, wobei sich der für die Reduzierung maßgebliche Faktor zum Ende der Laufzeit der Anleihe hin verringert. Durch die Verringerung des Wandlungspreises verbessert sich das Wandlungsverhältnis zugunsten der Gläubiger, die so eine größere Anzahl von neuen Aktien pro Teilschuldverschreibung erwerben können. Ferner enthalten die Bedingungen der Wandelschuldverschreibungen üblicherweise Regelungen, durch die sichergestellt wird, dass die Anpassung des Wandlungsverhältnisses und die Lieferung von neuen Aktien infolge der Wandlung zu einem so frühen Zeitpunkt erfolgt, dass die Annahme des Übernahmeangebots noch möglich ist.
Der Bieter muss analysieren, ob das Kündigen, die Wandlung oder das weitere Halten der Wandelschuldverschreibungen das für die Gläubiger der Wandelschuldverschreibung bei den geplanten Angebotskonditionen die ökonomisch sinnvollste Verhaltensweise ist. Eine Kündigung werden die Gläubiger vor allem in Betracht ziehen, wenn sie infolge der Übernahme eine Verschlechterung der finanziellen Verhältnisse der Zielgesellschaft befürchten. Ob die Inhaber dagegen ihr Wandlungsrecht ausüben werden, um die Aktien anschließend dem Bieter im Rahmen des Angebots anzubieten, hängt in erster Linie von der Attraktivität des Angebotspreises ab.
Erwerbsstrategien in Bezug auf die Wandelschuldverschreibungen
Im Hinblick auf die Wandelschuldverschreibungen bestehen für den Bieter im Grundsatz drei strategische Varianten:
- Passives Verhalten: Der Bieter ist frei, ob er im Hinblick auf die Wandelschuldverschreibungen Erwerbsbemühungen unternimmt oder nicht. Er kann darauf vertrauen, dass der von ihm gebotene Erwerbspreis für die Inhaber der Wandelschuldverschreibungen genauso attraktiv ist wie für die Aktionäre. Dann muss er nichts weiter veranlassen. Zum Teil werden Übernahmeangebote abgegeben, damit der Bieter die Kontrollschwelle zu einem aus seiner Sicht günstigen Erwerbspreis überschreiten kann, um nach Abschluss des Angebots weitere Zukäufe ohne Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots zu tätigen (sog. low-balling bid). In diesen Konstellationen muss er sicherstellen, dass seine Beteiligungsquote nach Vollzug des Angebots so hoch ist, dass die durch spätere Wandlungen eintretende Verwässerung nicht dazu führt, dass er die Kontrollschwelle wieder unterschreitet.
- Öffentliches Erwerbsangebot: Das strategische Gegenstück zur ersten Variante ist ein öffentliches Erwerbsangebot an die Inhaber der Wandelschuldverschreibungen. Hiermit entfaltet der Bieter ein Höchstmaß an Aktivität, um Wandelschuldverschreibungen zu erwerben. In der Praxis findet man derartige öffentliche Angebote indes kaum. Das dürfte primär daran liegen, dass der Bieter nur am Erwerb der aufgrund der Wandlung auszugebenden neuen Aktien interessiert ist. Einen Anreiz, diese Aktien anzudienen, kann er aber bereits durch einen attraktiven Angebotspreis für die Aktien schaffen. Die Inhaber von Wandelschuldverschreibungen haben ja die Möglichkeit, während der Annahmefrist für das Angebot ihr Wandlungsrecht auszuüben und dem Bieter die neuen Aktien anzudienen. Bietet der Bieter den Inhabern der Wandelschuldverschreibungen umgerechnet auf die infolge der Wandlung auszugebenden neuen Aktien einen höheren Erwerbspreis als den Aktionären, stellt sich die Frage, ob dies mindestpreiserhöhend wirkt (hierzu eingehend unten „Erwerb von Wandelschuldverschreibungen als mindestpreisbeeinflussender Faktor“).
- Paketerwerb von Wandelschuldverschreibungen: Schließlich hat der Erwerber die Möglichkeit, Wandelschuldverschreibungen börslich oder außerbörslich zu erwerben. Wandelschuldverschreibungen werden im Rahmen von Platzierungen meistens nicht so breit gestreut wie Aktien und sind im Handel weniger liquide. Wenn der Bieter dies anstrebt, besteht daher eine gute Chance, auch ohne öffentliches Angebot Zugriff auf einen signifikanten Anteil der Wandelschuldverschreibungen zu erlangen. Bei der hierfür zu zahlenden Gegenleistung stellt sich wiederum die Frage, ob diese für das Angebot an die Aktionäre mindestpreiserhöhend wirkt.
Erwerb von Wandelschuldverschreibungen als mindestpreisbeeinflussender Faktor
Das OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 19. Januar 2016, Az: 5 U 2/15 (eine Zusammenfassung des Urteils findet sich bereits in unserem Corporate Newsletter vom März 2016) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob bei der Ermittlung des Mindestpreises für ein Übernahmeangebot der Preis berücksichtigt werden muss, den der Bieter im maßgeblichen Vorerwerbszeitraum für Wandelschuldverschreibungen gezahlt hat. Die einschlägige Vorschrift des § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG, wonach Vereinbarungen bei der Ermittlung des Mindestpreises berücksichtigt werden, aufgrund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann, erfasst den Fall nicht eindeutig. Ein Vertrag zum Erwerb von Wandelschuldverschreibungen hat ja gerade den Erwerb der Wandelschuldverschreibungen und nicht etwa der Aktien zum Gegenstand. Andererseits vermittelt die Wandelschuldverschreibung unmittelbar ein Recht zum Aktienerwerb durch Wandlung der Anleihe. Ob die Regelung im Sinne eines Umgehungsverbots weit auszulegen ist, ist im Schrifttum umstritten. Das OLG Frankfurt/Main äußert zwar Sympathien im Hinblick auf eine Auslegung als Umgehungsverbot, lässt den Streit im Ergebnis jedoch offen. Es hält § 31 Abs. 6 Satz 1 WpÜG im zu entscheidenden Fall für anwendbar, weil ein objektiver Zusammenhang zwischen Erwerb und Übernahmeangebot bestand. Diesen erblickte das Gericht darin, dass der Bieter die Wandlungsrechte noch während der Annahmefrist des Übernahmeangebots ausübte.
Für die Transaktionspraxis sind die Ausführungen des OLG Frankfurt/Main wenig hilfreich. Ein Bieter, der Wandelschuldverschreibungen im zeitlichen Kontext eines Übernahmeangebots erwerben möchte, ist nach dieser Rechtsprechung nach wie vor der Unsicherheit ausgesetzt, ob ein solcher Erwerb bereits als in objektivem Zusammenhang mit dem Angebot stehend und damit mindestpreisbeeinflussend angesehen wird. Das Gericht lässt offen, ob hierfür stets auf die Wandlung während der laufenden Annahmefrist abzustellen ist. Insoweit ist zu hoffen, dass das Revisionsverfahren vor dem BGH, das vom Oberlandesgericht ausdrücklich zugelassen wurde, die erforderliche Klärung bringt, und der BGH die Grundsatzfrage entscheidet. Einstweilen ist der Praxis ein vorsichtiges Vorgehen zu empfehlen. Das heißt, dass der Erwerbspreis pro Aktie, der für eine Wandelschuldverschreibung gezahlt wird, den geplanten Angebotspreis nicht überschreiten sollte.
Das Urteil des OLG Frankfurt/Main zeigt eine weitere Fassette des Verfahrensrechts des WpÜG, die große Praxisbedeutung besitzt. Die Abstimmung einer Rechtsfrage mit der BaFin im Rahmen des Billigungsverfahrens für die Angebotsunterlage bringt dem Bieter keine Rechtssicherheit. Der Erwerb der Wandelschuldverschreibungen war im streitgegenständlichen Fall in der Angebotsunterlage offengelegt worden. Offenbar hatte die BaFin, die üblicherweise die Einhaltung der Mindestpreisvorschriften sehr genau prüft, dies nicht zum Anlass genommen, eine Erhöhung des Mindestpreises zu verlangen. In einem Zivilrechtsstreit mit Aktionären, die den Bieter auf Zahlung der Differenz zwischen dem gebotenen und dem angemessenen (d.h. zutreffenden) Mindestpreis in Anspruch nehmen, kann der Bieter den Klägern diese behördliche Billigung nicht mit Erfolg entgegen halten.
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