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Zählen Leih­arbeit­nehmer für Aufsichts­rats­wahlen? – Das BAG meint: Ja

20.11.2015

Zählen sie oder zählen sie nicht? Die Arbeitsgerichte beantworten die Frage, ob Leiharbeitnehmer auch beim Entleiher für das Erreichen betriebsverfassungsrechtlicher Schwellenwerte zu berücksichtigen sind, zunehmend mit „Ja“. Das BAG hat diese Frage nun erstmals auch auf Ebene der Unternehmensmitbestimmung genauso beantwortet. Die konkrete Entscheidung bezieht sich zwar „nur“ auf den Schwellenwert für die Bestimmung des nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) maßgeblichen Wahlverfahrens. Sie könnte für die Praxis aber weitreichende Folgen haben. Abzuwarten bleibt dabei, ob der jüngst vorgelegte Gesetzesentwurf zur Leiharbeit in seiner endgültigen Fassung zu einer andere Bewertung führt [vgl. dazu unseren Beitrag Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen].

Pressemitteilung des BAG vom 4. November 2015

Laut seiner Pressemitteilung vom 4. November 2015 hat der 7. Senat des BAG am selben Tag entschieden (Az.: 7 ABR 42/13), dass wahlberechtigte Leiharbeitnehmer, die beim Entleiher auf Stammarbeitsplätzen beschäftigt werden, für das Erreichen des Schwellenwerts von in der Regel mehr als 8.000 Arbeitnehmern nach § 9 Abs. 1 MitbestG mitzuzählen sind. Wird dieser Schwellenwert überschritten, ist die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer in besonderer Form, nämlich als Delegiertenwahl, durchzuführen.

Bisherige Rechtsprechungsentwicklung

Damit entwickelt das BAG seine – zivilgerichtlich durchaus kritisch bewertete – Rechtsprechung zum „Mitzählen“ von Leiharbeitnehmern auf Ebene der Unternehmensmitbestimmung fort:

Im Bereich der Betriebsverfassung hatte das oberste deutsche Arbeitsgericht bereits mehrfach so entschieden, bspw. bei der Festlegung der Betriebsratsgröße (§ 9 BetrVG), aber auch bei der Berechnung des Schwellenwerts für das Vorliegen einer Betriebsänderung (§ 111 BetrVG). Bei der Berechnung der Zahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder (§ 38 BetrVG) ist nichts anderes zu erwarten.

Das BAG begründet dies immer wieder im Wesentlichen mit einer normenzweckorientierten Bewertung des maßgeblichen Schwellenwerts. Auch wenn dies für die Bestimmung der Betriebsratsgröße nachvollziehbar sein mag, blieben bereits im Hinblick auf die Bewertung des für Betriebsänderungen maßgeblichen Schwellenwerts in § 111 BetrVG berechtigte Zweifel (kritisch z. B. Lambrich/Schwab, NZA-RR 2013, S. 169 ff.).

„Fernwirkungen“ und Praxisfolgen

Ausweislich der Pressemitteilung setzt der 7. Senat des BAG diese Linie nun dennoch auf Ebene der Unternehmensmitbestimmung fort. Auf die Entscheidungsbegründung darf die Praxis indes gespannt sein, zumal sie im Widerspruch zu einem Beschluss des OLG Hamburg (v. 31.01.2014, 11 W 89/13) stehen dürfte, wonach Leiharbeitnehmer generell nicht für das Erreichen von Schwellenwerten nach dem MitbestG oder Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) zu berücksichtigen sind. Das BAG ist offensichtlich anderer Meinung: Zumindest für die Bestimmung des richtigen Wahlverfahrens nach dem MitbestG will es jedenfalls wahlberechtigte Leiharbeitnehmer, die auf Stammarbeitsplätzen tätig sind, mitzählen.

Noch nicht abschließend beantwortet ist damit indes, ob (derartige) Leiharbeitnehmer auch bei den für die Anwendbarkeit der Mitbestimmungsgesetze maßgeblichen Schwellenwerten zu berücksichtigen sind. Die Pressemitteilung lässt dies ausdrücklich offen. Große Bedeutung hat die Frage insbesondere für das Überschreiten der Schwellenwerte nach § 1 MitBestG (2000er Schwelle) und § 1 DrittelbG (500er Schwelle), das dem Grunde nach einen mitbestimmten Aufsichtsrat erforderlich macht. Betrachtet man die bisherige Rechtsprechungsentwicklung, ist sehr wahrscheinlich, dass das BAG im gleichen Sinne wie Anfang November entscheiden wird, zumal es jetzt Schützenhilfe aus dem Bundesarbeitsministerium erhält, das diese Rechtsprechung durch Gesetz bestätigen möchte.

Der Unternehmenspraxis wäre ein anderes Ergebnis zu wünschen. Überzeugend ist die arbeitsgerichtliche Rechtsprechungsentwicklung auf Ebene der Unternehmensmitbestimmung nicht (vgl. Lambrich/Reinhard, NJW 2014, S. 2229 ff.). Anders als im Betriebsverfassungsrecht (im Einzelnen Schwab, in: Lambrich/Happ/Tucci (Hrsg.), Flexibler Personaleinsatz im Konzern, 2015, Rn.369 ff.) fehlt für die Unternehmensmitbestimmung ein überzeugender Anknüpfungspunkt (vgl. z. B. Lambrich/Reinhard, NJW 2014, S. 2229 ff.).

Die Praxis wird sich gleichwohl darauf einstellen müssen, Leiharbeitnehmer bei mitbestimmungsrelevanten Schwellenwerten im Entleihunternehmen zu beachten. Dies gilt erst recht, wenn das Bundesarbeitsministerium sich mit dem Versuch durchsetzt, dies in Gesetzesform zu gießen [vgl. dazu unseren Beitrag Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen].

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