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Coty-Entscheidung: EuGH klärt wichtige Fragen des Internet­vertriebs

06.12.2017

In einem mit Spannung erwarteten Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) heute seine Entscheidungspraxis zu den kartellrechtlichen Rahmenbedingungen des Internetvertriebs präzisiert (EuGH, Urteil vom 06.12.2017, Rs. C-230/16 – Coty Germany).

Konkret ging es um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Markenhersteller seinen Abnehmern auf der Einzelhandelsstufe im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems verbieten darf, seine Produkte online über sog. Drittplattformen zu vertreiben. Drittplattformen sind Online-Anbieter wie z.B. Amazon Marketplace oder eBay, die – für den Kunden erkennbar – kein vom betroffenen Einzelhändler selbst betriebener Online-Shop sind.

Der EuGH hat entschieden, dass ein solches Verbot nicht per se kartellrechtswidrig ist und in selektiven Vertriebssystemen gerechtfertigt sein kann, um das Luxusimage eines Markenprodukts zu schützen. Überdies ist ein solches Verbot – jedenfalls in Fällen wie dem entschiedenen - durch die Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung 330/2010 gedeckt.

Das Urteil hat jedoch auch Bedeutung weit über den konkreten Anwendungsfall hinaus. Denn es stellt generell klar, dass qualitative Vorgaben des Markenherstellers zum Internetvertrieb seiner Vertragshändler kartellrechtlich zulässig sein können, wenn sie das „wie“ und nicht das „ob“ des Internetvertriebs betreffen und das „Luxusimage“ seiner Produkte schützen.

Hintergrund und Einzelheiten der Entscheidung:

Anlass für die Entscheidung des EuGH war ein Vorabentscheidungsersuchen des OLG Frankfurt a. M. in einem Rechtsstreit zwischen Coty Germany, einem Anbieter von Luxus-Kosmetik, und einem seiner Vertragshändler (Beschluss vom 19.04.2016, Az. 11 U 96/14 (Kart)).

Der Vertragshändler hatte sich geweigert, einer Änderung seines Vertragshändlervertrages zuzustimmen, wonach der Vertrieb von Coty-Produkten über Drittplattformen verboten werden sollte. Coty Germany erhob daraufhin Klage gegen den Vertragshändler mit dem Antrag, dem Vertragshändler den Vertrieb der streitigen Produkte über die Plattform „amazon.de“ zu untersagen. Nachdem das Landgericht Frankfurt die Klage in erster Instanz abgewiesen hatte, entschied sich das OLG Frankfurt im Berufungsverfahren, den EuGH um Klärung einiger streitentscheidender kartellrechtlicher Vorfragen zu ersuchen. Hierbei ging es im Kern um folgende Fragen:

1. Können Vorgaben zum „wie“ des Internetvertriebs in selektiven Vertriebssystemen, die das Luxusimage der Ware schützen sollen, wettbewerblich positive Effekte haben und daher von Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgenommen sein?

Ausgangspunkt des Rechtsstreits war die etablierte Entscheidungspraxis des EuGH, dass ein selektives Vertriebssystem, das auf qualitativen Auswahlkriterien beruht, wettbewerbsfördernde Wirkungen erzeugen kann. Obwohl der Preiswettbewerb zwischen den Anbietern der gleichen Marke (intra-brand-Wettbewerb) in einem gewissen Maße eingeschränkt wird, wird der Qualitätswettbewerb zwischen den Marken (inter-brand-Wettbewerb) gestärkt.

Dies ist insbesondere anerkannt in Fällen, in denen die Eigenschaften des Produkts ein solches selektives Vertriebssystem erfordern, um die Qualität des Produkts und die Gewährleistung des richtigen Gebrauchs sicherzustellen. Eine solche qualitative Anforderung kann zum Beispiel in der Sicherstellung fachgemäßer Beratung durch den Händler bei technisch komplexen Produkten liegen.

Der EuGH hatte im Rahmen seiner sog. Metro-Rechtsprechung insoweit mehrfach entschieden, dass die Organisation eines selektiven Vertriebssystems nicht unter das Kartellverbot (Art. 101 Abs. 1 AEUV) fällt, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Die Auswahl der Wiederverkäufer erfolgt anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art.
  • Die Kriterien werden einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet.
  • Die Eigenschaften des fraglichen Erzeugnisses zur Wahrung seiner Qualität und zur Gewährleistung seines richtigen Gebrauchs erfordern ein solches Vertriebssystem und die festgelegten Kriterien gehen nicht über das erforderliche Maß hinaus.

Im konkreten Fall war streitig, ob ein solches Vertriebssystem auch erforderlich sein kann, um das „Luxusimage“ eines Produkts zu schützen und ein in diesem Zusammenhang ausgesprochenes Drittplattformverbot hierfür erforderlich und angemessen ist. Beide Fragen hat der EuGH in seinem Urteil bejaht. Auch wenn es nach wie vor auf die konkrete Ausgestaltung im Einzelfall ankommt, können Hersteller von Luxuswaren ihren Vertragshändlern deshalb grundsätzlich Vorgaben dazu machen, über welche Kanäle sie die Produkte online verkaufen.

Im Vorfeld bestand eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit hinsichtlich dieses Punktes, die der EuGH selbst (wohl unbeabsichtigt) hervorgerufen hatte. In seinem Pierre Fabre-Urteil aus dem Jahr 2011 (Urteil vom 13.10.2011, Rs. C‑439/09) führte der EuGH aus, dass „[d]as Ziel, den Prestigecharakter zu schützen, … kein legitimes Ziel zur Beschränkung des Wettbewerbs sein [kann] und … es daher nicht rechtfertigen [kann], dass eine Vertragsklausel, mit der ein solches Ziel verfolgt wird, nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt“. Obwohl es im damaligen Fall um ein faktisches vollständiges Verbot des Internetvertriebs gegangen war, wurden die Ausführungen von einigen dahingehend interpretiert, dass die Wahrung des Luxusimages einer Marke grundsätzlich keine Rechtfertigung dafür bieten kann, Vertragshändlern im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems Vorgaben zum Internetvertrieb zu machen. Dieser Auffassung hatte sich insbesondere das Bundeskartellamt angeschlossen.

Der EuGH stellt nun klar, dass sein damaliges Urteil nicht den Schluss zulassen soll, dass der Schutz des Prestigecharakters eine Wettbewerbsbeschränkung, wie sie sich aus der Existenz eines selektiven Vertriebsnetzes ergibt, nunmehr für sämtliche Waren, insbesondere Luxuswaren, nicht mehr rechtfertigen könnte. Im Ergebnis bleibt der EuGH damit auf der Linie der Rechtsprechung in den sog. Parfum-Fällen (vgl. EuGH, Urteil vom vom 11. 12.1980, Rs. 31/80 - L’Oréal sowie EuG, Urteil vom 12.12.1996, Rs. T-88/92 – Givenchy / Leclerc und Urteil vom 12.12.1996, Rs. T-19/92 - Yves Saint Laurent Parfums / Leclerc), in denen er den Schutz des Luxuscharakters eines Produkts als legitimes Bedürfnis für ein selektives Vertriebssystems anerkannt hatte.

2. Kommt für Drittplattformverbote eine Ausnahme vom Kartellverbot nach der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung 330/2010 in Betracht, oder handelt es sich um sog. Kernbeschränkungen im Sinne von Art. 4 lit. b oder c der Verordnung, die eine solche Ausnahme ausschließen?

Für den Fall, dass kein selektives Vertriebssystem vorliegt oder das selektive Vertriebssystem die oben dargestellten Voraussetzungen nicht erfüllt, stellt sich weiter die Frage, ob ein Drittplattformverbot grundsätzlich unter die Voraussetzungen der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung 330/2010 fällt. Diese nimmt Vereinbarungen zwischen Hersteller und Händler grundsätzlich vom Kartellverbot aus, solange die relevanten Marktanteile unter 30% liegen.

Dies gilt dann nicht, wenn die Vereinbarung dem Händler untersagt, an bestimmte Kundengruppen zu verkaufen (Art. 4 lit. b VO 330/2010) oder (in einem selektiven Vertriebssystem) die Möglichkeit des Vertragshändlers eingeschränkt wird, an Endkunden zu verkaufen (Art 4 lit. c. VO 330/2010) (sog. Kernbeschränkungen).

Insbesondere das Bundeskartellamt und einige Gerichte hatten argumentiert, dass durch das Drittplattformverbot jedenfalls faktisch der Internetvertrieb kleinerer Händler an eine Vielzahl von Kunden (nämlich diejenigen, die Drittplattformen nutzen) ausgeschlossen werde. Denn bei Verwendung eigener Online-Shops könne der Händler bei weitem nicht die gleiche Reichweite erzielen wie bei einem Verkauf über Plattformen wie amazon.de oder eBay. Es handle sich daher um eine Beschränkung des Verkaufs an bestimmte Kunden („Besucher von Drittplattformen“), die nach Art. 4 lit. b und c der VO 330/2010 zu einem Ausschluss der Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung führe. Demgegenüber vertrat die Europäische Kommission den Standpunkt, dass es sich nicht um ein Verbot des Verkaufs an diese Kunden („ob“), sondern lediglich um eine Regelung über das „wie“ des Verkaufs handle. Die Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (und damit die Freistellung vom Kartellverbot) sei deshalb grundsätzlich auf Drittplattformverbote anwendbar.

Dieser Auffassung ist der EuGH im Ergebnis gefolgt.

Kunden von Drittplattformen stellten innerhalb der Gruppe der Online-Käufer bereits keine abgrenzbare Untergruppe dar. Ein Verbot, an eine bestimmte Kundengruppe zu liefern (Art. 4 lit. b. der VO 330/2010), liege deshalb nicht vor. Und auch eine unzulässige Beschränkung des Verkaufs an Endkunden (Art. 4 lit. c. VO 330/2010) sei nicht gegeben. Insoweit war für den EuGH insbesondere ausschlaggebend, dass der Händler die Produkte weiterhin online über seinen eigenen Shop verkaufen durfte und zugleich die Möglichkeit hatte, über das Internet (insbesondere im Rahmen von Online-Suchmaschinen) Werbung zu betreiben, um so Kunden zu seinem Online-Shop zu führen.

Fazit und Ausblick

Mit seinem Urteil hat der EuGH zunächst eine lange überfällige Klarstellung seines Pierre Fabre-Urteils nachgeholt. Zugleich stellt er fest, dass Drittplattformverbote grundsätzlich durch die Vertikal-GVO 330/2010 vom Kartellverbot freigestellt sind. Unabhängig davon, ob ein selektives Vertriebssystem vorliegt oder nicht, können sich Markenhersteller deshalb in vielen Fällen auf diese Ausnahmeregelung berufen und ihren Abnehmern die Nutzung von Drittplattformen verbieten.

Wie so oft kommt es hier jedoch auf die Umstände des Einzelfalles an. Insbesondere bleibt offen, ob der EuGH den Fall anders beurteilt hätte, wenn beispielsweise auch die Online-Werbung auf Drittplattformen untersagt gewesen wäre.

Ergänzend zu bemerken ist, dass durch das heutige Urteil die Fortsetzung der bisherigen Entscheidungspraxis des Bundeskartellamtes nicht vollständig ausgeschlossen ist. Wenn kein selektives Vertriebssystem vorliegt oder das Bundeskartellamt zu dem Ergebnis kommt, dass die „Metro-Kriterien“ im konkreten Einzelfall nicht eingehalten sind, kann das Bundeskartellamt sich dazu entscheiden, für eine solche Vereinbarung die Wirkung der Vertikal-GVO  für die Zukunft aufzuheben (Art. 29 Abs. 2 VO 1/2003). Ein solches Verfahren ist jedoch – im Vergleich zur bisherigen Praxis – deutlich aufwändiger und an den Nachweis weiterer Voraussetzungen geknüpft.

Auch nach dem Urteil des EuGH ist daher – jedenfalls bis sich das Bundeskartellamt eindeutig positioniert hat – nach wie vor eine sorgfältige Prüfung der Verwendung von Drittplattformverboten und vergleichbaren Klauseln dringend anzuraten.

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