Das Bundesteilhabegesetz – Neue Regeln für die Kündigung schwerbehinderter Mitarbeiter seit dem 01.01.2017
Der Bundestag hat am 01.12.2016 das Bundesteilhabegesetz (BTHG) beschlossen, welches am 01.01.2017 in Kraft getreten ist. Ziel des BTHG ist es, die Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen zu stärken. Es wird in vier Reformstufen in Kraft treten. Von der betrieblichen Praxis erst nach und nach bemerkt wird dabei, dass seit dem 01.01.2017 bereits in der ersten Reformstufe auch der Kündigungsschutz von schwerbehinderten Menschen durch eine Ausweitung der Rechte der Schwerbehindertenvertretung deutlich gestärkt worden ist. Die Praxis muss sich damit auf noch aufwändigere Kündigungsverfahren einstellen.
Neues zur Kündigung unter Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung
Das BTHG sieht unter anderem eine Änderung des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX) vor, das die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen regelt. Im Zuge der Gesetzesänderung wird § 95 SBG IX ab dem 01.01.2018 zu § 178 SGB IX neuer Fassung (n.F.). Bereits ab dem 01.01.2017 erhält § 95 SGB IX aber in Absatz 2 einen neuen Satz 3, der vorsieht, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht, unwirksam ist. Als schwerbehindert gilt – trotz neuer Definition des Behinderungsbegriffs in § 2 Abs. 1 SGB IX – ein Arbeitnehmer mit einem anerkannten Grad der Behinderung von mindesten 50. Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 30, aber weniger als 50 können auf Antrag einem Schwerbehinderten gleichgestellt werden und genießen dann im Wesentlichen den selben Schutz.
Bisherige Rechtslage: Anhörung keine Wirksamkeitsvoraussetzung
Auch nach der bisherigen Rechtslage bedurfte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Mitarbeiters zwar der vorherigen Anhörung der Schwerbehindertenvertretung. Bislang handelte es sich jedoch um keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung.
Verschärfte Anforderungen seit dem 01.01.2017
Seit dem 01.01.2017 liegen die Dinge anders: Wird versäumt, die Schwerbehindertenvertretung vor einer Kündigung ordnungsgemäß zu unterrichten und vorher anzuhören, ist die Durchführung oder Vollziehung der Maßnahme nicht mehr nur auszusetzen und innerhalb von sieben Tagen nachzuholen. Die Kündigung ist nach § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX n.F. (ab dem 01.01.2018 § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX) unwirksam. Dass die Schwerbehindertenvertretung zur Durchsetzung des Beteiligungsanspruchs das Arbeitsgericht (im Wege der einstweiligen Verfügung) anrufen kann, genügt dem Gesetzgeber nicht mehr.
Die formalen und prozeduralen Anforderungen an eine wirksame Kündigung sind damit seit dem 01.01.2017 erheblich gestiegen. Es müssen bei Bestehen einer Schwerbehindertenvertretung und eines Betriebsrats mindestens drei Verfahren durchgeführt werden:
- neben der Zustimmung des Integrationsamtes (bisher § 85 SGB IX, und zukünftig § 168 SGB IX)
- und der ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats (§ 102 BetrVG)
- muss auch die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung sichergestellt werden (§ 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX n.F. bzw. zukünftig § 178 Abs. 2 SGB IX n.F.).
Soll die Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung erfolgen, muss zusätzlich zuvor das Verfahren nach § 17 KSchG durchgeführt werden, das durch das BTHG allerdings keine Veränderung erfährt. Soweit das Kündigungsschutzgesetz gilt, ist zusätzlich natürlich ein Kündigungsgrund erforderlich (§ 1 Abs. 2 KSchG).
Offene Fragen – Parallele zur Anhörung des Betriebsrats?
Für die betriebliche Praxis nicht hilfreich ist, dass der Gesetzgeber in § 95 SGB IX n.F. (bzw. § 178 SGB IX n.F.) keine Anhörungs- und Stellungnahmefristen geregelt hat. Nahe gelegen hätte, insoweit die differenzierte Regelung in § 102 BetrVG zu übernehmen. Dass dies nicht geschehen ist, dürfte aber keine bewusste Entscheidung gewesen sein. Klarheit wird hier zwar letztlich erst die Rechtsprechung bringen. Die betriebliche Praxis wird sich bis dahin aber an § 102 BetrVG orientieren und die dortige Fristenregelung entsprechend anwenden können. Zudem sollten Unternehmen darauf achten, vor Ausspruch einer Kündigung eine abschließende Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung zu erhalten.
Da der neu gefasste § 95 Abs. 2 SGB IX (bzw. § 178 Abs. 2 SGB IX) auch nicht klarstellt, in welchem zeitlichen Zusammenhang die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung zum Antrag des Arbeitgebers beim Integrationsamt stehen muss, sollten Schwerbehindertenvertretung und Integrationsamt zeitgleich parallel beteiligt werden, um auf diesem Wege einen einheitlichen Informationsstand zu gewährleisten und den Ausspruch einer unwirksamen Kündigung zu vermeiden. Zur Vermeidung von Verzögerungen sollten letztlich alle erforderlichen Beteiligungsverfahren parallel durchgeführt werden.
Fazit
Das Bundesteilhabegesetz stärkt die Rechte von Schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Menschen im Zusammenhang mit Kündigungen. Arbeitgeber müssen zukünftig vor Ausspruch einer Kündigung zusätzlich die Information und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung sicherstellen. Die mit der unvollständigen gesetzlichen Neuregelung verbundenen Unsicherheiten müssen die Betriebsparteien gemeinsam bewältigen. Mit ihren neuen Aufgaben steigt nämlich – infolge größeren Einflusses – auch die Verantwortung der Schwerbehindertenvertretung gegenüber dem Arbeitgeber. Unternehmen können diesbezüglich auf ihre im Rahmen des § 102 BetrVG gesammelten Erfahrungen zurückgreifen.
Bestens
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